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mein Onkel das erfahren hätte, wäre er sicherlich zunächst in Ohnmacht gefallen«33, verkündet er werbeträchtig. Jürgen Schleiß, der eine Zeitlang im Nachbarhaus von Peter Gründgens-Gorski an der Hamburger Enzianstraße mit seinem Lebensgefährten, dem Pianisten Christoph Eschenbach, zusammenwohnt, spielt von 1964 an einige kleine Rollen in Köln, Düsseldorf und Bochum, studiert unter anderem das teils umbesetzte Hippiemusical HAIR im Hamburger Besenbinderhof neu ein und inszeniert Fernando Arrabals GARTEN DER LÜSTE an den Düsseldorfer Kammerspielen. Bald jedoch gibt er die Bühnenkarriere auf und übersiedelt im November 1973 mit seinem neuen Lebenspartner Wolfgang Wandert nach Hongkong, wo die beiden als General Manager für ein deutsches Textilunternehmen die dortige Produktion überwachen. Nach zwölf Jahren kehren sie wohlhabend nach Deutschland zurück; Schleiß stirbt 1991 in München an den Folgen von AIDS. Auch Peter Gründgens-Gorski wird künstlerisch eher wenig Erfolg haben. Schon zu Lebzeiten seines Adoptivvaters hatte er nicht nur regelmäßig am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Regie geführt, sondern gelegentlich auch an anderen Bühnen gastiert, nun inszeniert er unter anderem 1964 Gounods Oper FAUST in Pretoria, 1968 in Kopenhagen Goethes FAUST nach Gründgens’ Konzeption. Am 17. Februar 1972 heiratet er in Hamburg seine Lebensgefährtin Ingeborg Bleckwedel34, eine Schulfreundin aus Berlin, die er bereits 1956 beim Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum wiedergetroffen hatte, und entzieht sich ein Jahr später einem deutschen Steuerverfahren durch die Flucht nach Ibiza, wo er seit den 60er Jahren eine Finca im typisch ibizenkischen Stil nahe der Cala Vadella besitzt. Am 1. Dezember 1999 wird diese erste Ehe geschieden, und Gorski, inzwischen nach Mallorca übergesiedelt, heiratet dort am 19. Januar 2001 die 1948 geborene Gabriele Hesse. Am 3. März 2007 stirbt er in Manacor an einem Schlaganfall, wenige Wochen darauf, am 12. April 2007, erliegt Gabriele Gründgens-Gorski ihrem Krebsleiden.

      Vier Tage nach der Testamentseröffnung findet am Sonntag, dem 20. Oktober 1963, vormittags um 11 Uhr im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die offizielle Trauerfeier für Gustaf Gründgens statt. Auf der Bühne hat man die Dekoration zum »Vorspiel auf dem Theater« aus Gründgens berühmter FAUST-Inszenierung aufgebaut. Ganz vorne nimmt, ein schwarzes Tuch um den Kopf geschlungen, Elisabeth Flickenschildt Platz, in einer der hinteren Reihen der Dirigent Herbert von Karajan. Marianne Hoppe verbirgt sich hinter einem Logenvorhang. Fritz Kortner und Rolf Liebermann sind gekommen, Pamela Wedekind, Käthe Gold und Lola Müthel. Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters unter Leitung von János Kulka spielen das Adagio aus Mozarts Bläserserenade in Es-Dur KV 375 und das Adagio aus der GRAN PARTITA, der Serenade in B-Dur KV 361. »Du warst immer der leuchtende Stern vor meinem Wagen – ich werde Dir nachstreben bis ans Ende meiner Tage. Gute Nacht – Mein Prinz«35, schließt der Schauspieler Ullrich Haupt seine Rede. »Er war eine hochgefährdete Natur, wir wußten es alle. […] Er war ein Misanthrop, von Einsamkeit umgeben, verletzlich, sogar mißtrauisch, dabei von erstaunlicher Hellsichtigkeit gegenüber den Menschen. […] Im Umgang oft nervös und schwierig, bewies er bei Proben eine unendliche Geduld«, würdigt Senator Hans-Harder Biermann-Ratjen den Verstorbenen. »Unter allen Rollen, die er gespielt hat, war die Rolle des Intendanten nicht die schlechteste.«36

      »Vom Vater her aus Aachen, von der Mutter her aus Köln stammend, bin ich in Düsseldorf geboren. Beide Familien hatten ihre große Zeit. Die Familie meines Vaters mit holländischem Einschlag ist durch viele Heiraten weit verzweigt und stellte in diesem Jahrhundert einen großen Teil der rheinischen Industrie. Die Familie meiner Mutter hatte unter anderem einen sehr bekannten Kölner Oberbürgermeister und beherrschte eine Zeitlang die Rheinschiffahrt. Der Verfall dieser Familien setzte aber bereits vor meiner Geburt ein. Was blieb, war die äußere Fassade, die angeblich gehalten werden mußte«1, heißt es in dem »Entwurf zu einer Selbstbiographie«, den Gustaf Gründgens 1952 auf eineinhalb Seiten zu Papier brachte. So oft er auch später noch davon sprach, eine Autobiographie mit dem Titel DER KÜNSTLER UND DIE MACHT verfassen zu wollen, verwirklicht hat er diese Pläne nie und auch sonst nicht ausführlicher von seiner Familie berichtet.

      Am 22. Dezember 1899 zeigen Arnold Gründgens und seine Frau Emilie »ergebenst« die »glückliche Geburt eines prächtigen Jungen«2 an. Er ist um 10 Uhr vormittags zur Welt gekommen, wie damals üblich nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause in der Graf-Adolf-Straße 92 im Zentrum der rasch wachsenden Industriestadt Düsseldorf; 85,5 Prozent ihrer 213000 Einwohner sind 45 Jahre oder jünger. Erst am 16. März hatten Arnold und Emmi Gründgens, die am 11. Februar in Köln geheiratet hatten, diese Mietwohnung bezogen. In den übrigen drei Wohnungen der gutbürgerlichen, nur wenige Schritte vom Wilhelmsplatz (dem heutigen Stresemannplatz) entfernten Liegenschaft leben Kaufleute mit ihren Familien; Arnold Gründgens ist laut Adreßbuch als Fabrikant tätig. Heute versuchen die Anwohner der Graf-Adolf-Straße, deren durch Leihhäuser und Pornokinos ramponiertes Image aufzubessern, und präsentieren die von wenig ansehnlichen acht- bis zehngeschossigen Bauten aus den 50er und 60er Jahren geprägte Straße, die vom Bahnhof zur Glamourmeile Königsallee führt, mit dem Slogan »Vielfalt, die ich mag«. Als Gründgens geboren wird, gilt sie, gesäumt von meist im Stil des Historismus erbauten, mit eleganten Stuckfassaden versehenen Häusern, als »eine der schönsten Straßen der Stadt«3, die sich bald zur Vergnügungsmeile mit Cafés, Restaurants und Theatern entwickelt. Nicht weit von der Gründgensschen Wohnung setzt an der Graf-Adolf-Straße Nr. 44 das »Arabische Café« mit mehreren Kuppeln und einem Minarett einen orientalischen Akzent. Im Erdgeschoß befindet sich das erste Selbstbedienungsrestaurant Düsseldorfs, in den reich verzierten, mit Kamelsesseln und maurischen Hockern ausgestatteten Räumen des ersten Stocks servieren als Beduinen verkleidete Bedienstete. 1906 wird im selben Gebäude das erste Kino der Stadt eröffnet werden: Die Wunderhalle zeigt bis zu 15 Minuten dauernde Streifen – längere Filme mag man dem menschlichen Auge nicht zumuten. Im Jahr darauf wird auch das Graf-Adolf-Theater in der Graf-Adolf-Straße 69 »singende und sprechende Photographien, verbunden mit Auxetophon-Vorträgen«4 bringen.

      Arnold Gründgens, am 1. Januar 1872 in Aachen als Sohn des Tuchfabrikanten Gustav Gründgens und seiner Ehefrau Maria, einer Tochter des Ahrweiler Papierfabrikanten Wilhelm Dahmen, zur Welt gekommen, ist seit 1898 Teilhaber der Firma C. A. Heinemann & Cie., einer Großhandlung in Sanitätsartikeln, die sich keine fünf Gehminuten entfernt ebenfalls an der Graf-Adolf-Straße befindet. Schon im Gründungsjahr 1896 hatte Carl Arnd Heinemann mit der Fertigung von Waschmaschinen zunächst für größere Haushalte begonnen, von 1902 an wird die Firma Krankenhäuser, Klöster und Hotels mit vollständigen »Dampfwäschereien« beliefern, zudem Zentrifugen, Spülmaschinen, »Vakuum-Staubabsaug-Apparate« und eine Kartoffel-und-Rüben-Schälmaschine vertreiben, über die ein Herr Kons, »Restaurateur der Festhalle und des Haupt-Weinrestaurants« 1904 im Werbeprospekt der Firma rühmt: »Die 25–30 Zentner Kartoffeln, welche täglich hier in meinem Haupt-Restaurant gebraucht werden, sind in ganz kurzer Zeit geschält.«5 Arnolds Vater, der 1836 geborene Gustav Johann Peter Gründgens, war »in jüngeren Jahren […] ein schöner Mann in des Wortes wahrster Bedeutung, später mit seinem wohlgepflegten Patriarchenbart, alle anderen um Haupteslänge überragend, beherrschte er das Bild des Tisches, an dem er saß, auch was Rede und Trinken anging. Dabei zeichnete ihn bei aller Derbheit ein goldener Humor aus.«6 Schon vor längerer Zeit hatte sich Gustav Gründgens aus der Tuchfabrik, die er 1862 in Aachen-Burtscheid zusammen mit Fritz und August Vassoll unter dem Namen »Gründgens & Gebr. Vassoll« gegründet hatte, zurückgezogen und lebt nun als Rentner in Aachen. Dort zählt die ursprünglich aus Holland stammende, dann im Dorf Pier bei Düren ansässige Familie seit langem zu den Honoratioren und beteiligt sich rege am kulturellen Leben; beim Niederrheinischen Musikfest 1846 etwa hatten gleich drei Mitglieder der Familie unter Leitung des Königlich Preußischen General-Musikdirektors Felix Mendelssohn Bartholdy im Chor gesungen, als Solistin hatte die legendäre »schwedische Nachtigall« Jenny Lind gastiert. Die Aachener Wohnsitze der Familie sind durchaus repräsentativ zu nennen, so hatte der Holzhändler Arnold Hubert Gründgens, Arnolds Großvater, zeitweise das prunkvolle, im 14. Jahrhundert errichtete Haus Löwenstein am Marktplatz bewohnt.

      Auch Emilie Gründgens, am 1. Februar 1874 in Köln geboren, wo ihr Vater Johann Heinrich Ropohl eine »Uhren- und Fourniturenhandlung« führt, in der seine Frau Therese

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