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Er schien vielen ein unterkühlter Rationalist und hing doch mit kindlicher Liebe an seinem Talisman, einem kleinen Stoffaffen. Er war der von seinen Anhängern geliebte, fast kultisch verehrte Künstler und zugleich ein an seiner Liebe Verzweifelnder, der sein Leben lang bemüht war, sein Innenleben zu schützen, Männer begehrte, Frauen heiraten wollte, entsetzliche Angst vor dem Altern hatte und unter Einsamkeit litt … Für Lotte Betke war er »als Mensch unangenehm bis widerwärtig, eitel und selbstherrlich«5, für ihre Schauspielerkollegin Elsa Wagner hingegen »ein himmlisches Wesen, ein zauberhafter Mensch«6. Friedrich Schoenfelder sah Gründgens, der »sprunghaft, oft völlig unbeherrscht« gewesen sei und »mit dem Fuß halbe Kulissen eingetreten« habe, als »eine seltsame, großartige, sehr schillernde Erscheinung«7, Bernhard Minetti erlebte ihn als »eine einseitige Persönlichkeit, die unerhört fähig war, sich selbst und die Wirklichkeit in eine straffe Form zu bringen«8. Gründgens selbst zitierte gerne Ernst Jüngers Epigramm »Unter den Masken der Freiheit ist die der Disziplin die undurchdringlichste«9, um zu bekennen, er habe »lange die Maske der Disziplin getragen«10.

      Seit vor nunmehr 80 Jahren die erste, natürlich noch schmale Biographie11 von Robert Ramin über den 33jährigen Gründgens erschien, haben ihn zahlreiche Publikationen zu glorifizieren oder zu demontieren versucht. Wissenschaftliche Untersuchungen, Essays und fast ein Dutzend Monographien befassen sich mit Gründgens, aber auch Erzählungen und Romane. Die Figur des Tänzers Gregor Gregori in Klaus Manns 1932 erschienenem TREFFPUNKT IM UNENDLICHEN hat ebenso unverkennbar Gründgens zum Vorbild wie der Oliver in Lotte Betkes FEUERMOOR. Der berühmteste Roman, Klaus Manns 1936 veröffentlichter MEPHISTO, in dem der Autor den ehemaligen Freund und Schwager kolportagehaft als verabscheuungswürdigen und dennoch faszinierenden, chamäleonhaften Opportunisten Hendrik Höfgen porträtiert, der zynisch und vor Eitelkeit blind den Nazis als Aushängeschild dient, hat nicht nur das Bild von Gründgens verfälscht, sondern auch dafür gesorgt, daß sein Nachruhm noch immer gegenwärtig ist. Ariane Mnouchkines Dramatisierung – das »Theaterstück der ahnungslosen Französin« sei die »Diffamierung eines Mannes, der wie kaum ein zweiter sich in schwerster Zeit als Mann erwies«12, empörten sich ehemalige Kollegen von Gründgens – und István Szabós opulente, aber den Roman simplifizierende Verfilmung mit Klaus-Maria Brandauer erregten international Aufsehen. Auf Manns Roman basieren auch Mathieu Bertholets Stück RIEN QU’UN ACTEUR, das erstmals 2006 in Genf gezeigt wurde, und Tom Lanoyes MEFISTO FOREVER, 2007 in Antwerpen uraufgeführt. Gründgens wurde zudem zum Sujet weiterer Theaterstücke: Johann Kresniks GRÜNDGENS nach einer Vorlage von Werner Fritsch, der dann auch das in Gründgens letzten Stunden spielende CHROMA. FARBENLEHRE FÜR CHAMÄLEONS verfaßte. Als Streifzug durch Gründgens Leben sind Frank Raddatz’ Szenenfolge ALLES THEATER und Volker Kühns G WIE GUSTAV. MIT F. konzipiert, das als Revue mit Georg Preuße (bekannt als Travestiekünstler Mary)13 und als Solostück mit Helmut Baumann zu sehen war.

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      Autogrammkarte von Gustaf Gründgens aus den 30er Jahren

      © privat

      Ruhm sei die Summe aller Mißverständnisse, heißt es bei Rainer Maria Rilke. »Ich denke mir manchmal, wenn ich meiner Fama auf der Straße begegnen würde, ich würde mich selbst nicht erkennen«14, meinte Gustaf Gründgens 1955 in seiner Antrittsrede als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Durch die jahrzehntelange, emotional und kontrovers geführte Diskussion um Recht und Unrecht, Schuld oder Unschuld des von Hermann Göring protegierten Intendanten des Preußischen Staatsschauspiels ist der Künstler geradezu zum Mythos geworden. Der Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus, Straßen in Stuttgart und Hamburg tragen seinen Namen.15 1977 wurde die Marmorplatte seines Ehrengrabes auf dem Ohlsdorfer Friedhof durch das Einkratzen eines Hakenkreuzes stark beschädigt.16 1984 errichtete man im Düsseldorfer Hofgarten ein 23 Tonnen schweres Denkmal17 für ihn – allerdings gegen heftigen Widerstand vor allem aus den Reihen der FDP.18 1987 wandte sich Jürgen Flimm, der damalige Intendant des Hamburger Thalia Theaters, dagegen, daß ein Preis des Deutschen Bühnenvereins den Namen von Gründgens tragen sollte, »der sein ganzes Talent auf dubioseste Weise in den Dienst der fürchterlichsten Diktatur gestellt hat«19, und war mit seinem Protest erfolgreich. Der 2011 in Hamburg durch das Deutsche Schauspielhaus und den Lions Club initiierte, von der Mercedes-Benz-Niederlassung Hamburg gestiftete »Gustaf-Gründgens-Preis« ist dafür wohl kaum ein Ersatz. Bis heute polarisiert Gründgens.

      Doch auch wenn Gründgens länger als die meisten Theaterleute im öffentlichen Gedächtnis geblieben ist, ist das Andenken heute deutlich verblaßt. Nur noch wenige dürften sich an Vorstellungen mit dem 1963 verstorbenen Schauspieler erinnern oder an Inszenierungen des Regisseurs, der auf Tradition und präzise beherrschtes Metier bestand und proklamierte, es sei unwichtig, »ob in Deutschland gut oder schlecht Theater gespielt wird«, viel wichtiger sei, »ob richtig oder falsch Theater gespielt wird«20.

      * * *

      Bei der Annäherung an den Mythos Gründgens haben neben der Sichtung zahlreicher Dokumente im Theatermuseum Düsseldorf und in der Staatsbibliothek zu Berlin sowie einiger bisher noch nie ausgewerteter Briefe aus Privatbesitz vor allem – teils schon vor Jahren geführte – Gespräche mit Zeitzeugen geholfen: Interviews mit Verwandten wie Gründgens’ Schwiegertochter Ingeborg Gründgens-Gorski und seinem Halbbruder Gerrit Gründgens, mit Freunden oder deren Nachkommen wie André Pozner, dem Sohn Ida Liebmanns, Marcel Ophüls, dem Sohn von Max Ophüls, Erich Zacharias-Langhans’ Großneffen Warner Poelchau, Christoph Bernoullis Sohn Carl Christoph, Alex Vömels Sohn Edwin und Hermann Kleinhubers Sohn Ingo, mit Sekretärinnen, Mitarbeiterinnen des Betriebsbüros, Regieassistenten und Dramaturgen, mit Heinz Tietjens Witwe Liselot und Wilhelm Furtwänglers Witwe Elisabeth, vor allem aber mit zahlreichen Schauspielerinnen und Schauspielern wie Ilse Bally, Gerd Baltus, Maria Becker, Lotte Betke, Volker Brandt, Charles Brauer, Ella Büchi, Volker von Collande, Heinz Drache, Rosemarie Fendel, Sebastian Fischer, Uwe Friedrichsen, Sabine Hahn, Ruth Hellberg, Hanne Hiob, Marianne Hoppe, Jenny Jugo, Johanna von Koczian, Otto Kurth, Dieter Laser, Bert Ledwoch, Heidi Leupolt, Erni Mangold, Kurt Meisel, Bernhard Minetti, Lola Müthel, Lilo Pulver, Friedrich Schoenfelder, Gisela Uhlen, Wolfgang Wahl, Antje Weisgerber, Kurt Weitkamp und Jürgen Wilke, um nur einige zu nennen. Manche hatten bislang noch nie Auskunft gegeben, so etwa die im kalifornischen Atherton lebende ehemalige Stewardeß Hildur Kirchdörfer, die 1963, als man den toten Gründgens in seinem Hotelzimmer in Manila fand, für die Polizei dolmetschte …

      »Ich will jetzt versuchen, leben zu lernen«1, verkündet Gründgens 1963 nach seinem Rücktritt als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Angebote, an den Städtischen Bühnen Frankfurt oder am Bayerischen Staatsschauspiel in München zu gastieren, lehnt er ebenso ab wie die Offerte, am Wiener Burgtheater den Prospero in Shakespeares STURM zu spielen.2 Erst am 28. Dezember sollen die Proben für eine Tournee mit Hermann Bahrs KONZERT beginnen. Organisiert durch die von Will Quadflieg und Maria Becker gegründete »Schauspieltruppe Zürich«, soll sie nach der Premiere am 31. Dezember 1963 in Düsseldorf bis zum 8. April 1964 durch die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz führen, Gründgens für ein stattliches Honorar von 160000 DM inszenieren und die Hauptrolle übernehmen, neben Marianne Hoppe, Heinz Reincke und Sabine Hahn. Im Herbst 1964 will Gründgens vier Monate lang dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zur Verfügung stehen, nach einer Pause von anderthalb Monaten ist eine Gastinszenierung am Burgtheater vorgesehen, auch ein Gastspiel mit FAUST in Tokio wird schon seit längerem vorbereitet.

      Am 10. Mai 1963 fährt Gustaf Gründgens zunächst nach Madeira – seiner bevorzugten Urlaubsdestination seit dem Frühjahr 1958 –, wo er sich bereits im Februar vier Wochen lang erholt hatte und nun weitere drei Monate verbringen will. Mit dem Flugzeug geht es nach Lissabon, von dort erreicht man Madeira per Schiff in knapp zwei Tagen. Gründgens liebt die Insel, ihre »Eukalyptuswälder, Orchideenwälder, Dörfer, wo alle Mädchen vor den Türen sitzen und sticken«, findet sie »an manchen Sommerabenden zum Weinen schön, immer wird ein anderer Heiliger mit [ein] bißchen Feuerwerk gefeiert,

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