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verbunden mit einem Korridor, von dem aus eine Tür ins Bad führt. Beim Abendessen verabredet man für den nächsten Tag eine Fahrt ins Landesinnere, bespricht den zu verschiebenden Weiterflug nach Hongkong. Als sich Gründgens um halb elf schlafen legen will, Schleiß aber noch ausgehen möchte, kommt es, wie dieser später erzählen wird, zu einem »furchtbaren Streit«, so heftig und lautstark, daß die Zimmernachbarn an die Wand klopfen. »Mach, daß du rauskommst, verschwinde«, habe ihn Gründgens angeschrieen.21 Jürgen Schleiß begibt sich um halb zwölf hinunter in die »Jungle Bar« des Hotels, von der er eine Stunde später zurückkehrt. Er zieht seinen Pyjama an und geht zu Bett, findet jedoch wegen der Neonreklame, die in sein nicht zu verdunkelndes Zimmer scheint, keinen Schlaf. So hört er etwa eine halbe Stunde später »irgendetwas bumsen«22. Er sieht Licht in Gründgens’ Schlafzimmer, klopft, bleibt ohne Antwort, macht die Tür auf – das Bett ist leer. Die Badezimmertür läßt sich nur schwer öffnen, Gründgens liegt mit dem Kopf dagegen auf dem Boden. Schleiß hebt den Kopf vorsichtig an: Noch lebt Gründgens, ist aber besinnungslos, seine Atmung sehr flach. Herzschlag und Puls sind kaum spürbar, die Oberlippe weist eine leichte Blaufärbung auf. Über das Haustelephon verlangt Schleiß bei der Rezeption nach einem Arzt, dann legt er ein Kissen unter Gründgens’ Kopf. Zunächst erscheint eine Krankenschwester, nach ihr Dr. Tiongson, der Hausarzt des Hotels, der sogleich eine Koffeinspritze aufzieht, dann aber nochmals Gründgens’ Herz abhorcht und den Tod konstatieren muß. Auf Drängen von Schleiß injiziert die Krankenschwester die Spritze dennoch.

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      Luftpostumschlag mit der letzten Notiz von Gustaf Gründgens

      © Theatermuseum Düsseldorf

      Fortunato Angeles, der Security Supervisor des Hotels, ruft um 1.45 Uhr die Polizei. Beamte des vierten Reviers unter Leitung von Detective Avelino Evangelista von der Mordkommission sowie der 55jährige Mariano B. Lara, der erfahrene Chief Medical Examiner des Police Departments, untersuchen die Leiche und deren Fundort. Im Waschbecken entdeckt man ein leeres, zerbrochenes Tablettenröhrchen des Schlafmittels Nembutal23 – an einer Überdosis dieses Barbituratsäure-Derivats war ein Jahr zuvor Marilyn Monroe gestorben. Auf einen Briefumschlag, den man in Gründgens’ Schlafzimmer findet, hatte er geschrieben: »Ich habe glaube ich zu viel Schlafmittel genommen, mir ist ein bißchen komisch. Laß mich ausschlafen.«24 Die 24jährige Stewardeß Hildur Kirchdörfer hatte Gründgens und Schleiß auf dem Herflug mit Pan American Airways begleitet und schläft nun im Zimmer 436. Man weckt sie auf Wunsch von Schleiß, der nur Deutsch spricht, damit sie bei der Vernehmung, die in einem unbelegten Hotelzimmer stattfindet, dolmetscht. Der in Tränen aufgelöste Schleiß, von der Polizei zunächst verdächtigt, er habe seinen Reisegefährten umgebracht, beteuert immer wieder, er sei nicht schuld, sei ja gar nicht auf dem Zimmer gewesen.25 Hildur Kirchdörfer übersetzt auch Gründgens’ letzte Zeilen für die philippinischen Polizisten ins Englische. Ungewöhnlich ist eine solche Notiz für Gründgens indes keineswegs. »Bitte nicht wecken / Kein Telephon / Kein gar nichts / Und wenn es 5 Uhr wird«, heißt es etwa auf einem Zettel aus dem Jahr 1952, der mit den Worten endet: »Ob ich spiele, entscheide ich, wenn ich wach bin.«26 Ein Polizeiphotograph macht Aufnahmen des mit einem Pyjama bekleideten Toten. Der von Mariano B. Lara ausgestellte Totenschein vermerkt: »Asphyxial cardio respiratory failure secondary to an ingested substance causing hemorrhage in stomach and duodenum and congestion of visceral organs, to be verified by toxological analysis.«27 Die Polizisten halten fest, es handle sich entweder um Suizid oder um eine unbeabsichtigte Überdosis, und ordnen eine Autopsie an. Gegen 4.30 Uhr – im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg läuft gerade Gründgens’ wiederaufgenommene Inszenierung von Tirso de Molinas DON GIL VON DEN GRÜNEN HOSEN – wird die Leiche durch einen Ambulanzwagen ins städtische Leichenschauhaus überführt. Als das von Schleiß aufgegebene Telegramm mit der Todesnachricht Peter Gründgens-Gorski in seiner Wohnung in der Enzianstraße 20 erreicht, ist es in Hamburg tief in der Nacht. Am Morgen werden die Mitglieder des Schauspielhaus-Ensembles telephonisch benachrichtigt und ins Theater gerufen, stundenlang sitzen sie im Konversationszimmer beieinander; die Probe zu den LUSTIGEN WEIBERN VON WINDSOR unter Gorskis Regie wird abgesagt.

      In Manila hat man den Toten derweilen obduziert. Eine chemische Analyse des Mageninhalts ergibt Spuren von Barbiturat, jedoch keine Zyanide. Man findet weder Magengeschwüre noch Hinweise auf eine Krebserkrankung. Hatten die Schlafmittel im tropischen Klima der Philippinen womöglich eine stärkere Wirkung entfaltet? Hätte Gründgens auch die von ihm ständig benötigten Blutgerinnungshemmer neu dosieren müssen? Hatte er, durch den Streit erregt, eine zu hohe Dosis eingenommen? Oder hatte er geglaubt, nur der Tod könne ihn von der Sehnsucht nach Leben erlösen? Am 9. Oktober 1963 verfaßt in Manila der zuständige Polizeioffizier Enrico C. Quemi einen abschließenden Bericht, der vermerkt, Gustaf Gründgens sei eines natürlichen Todes gestorben. Dennoch veröffentlicht die deutsche Boulevardpresse Photos der halb entblößten Leiche, garniert mit – lange anhaltenden – Spekulationen über die Todesursache. »Polizei in Manila erklärt: Gustaf Gründgens beging Selbstmord«, lautet der Aufmacher der Hamburger Morgenpost am 9. Oktober 1963. 1967 gewinnt Peter Gründgens-Gorski die Klage wegen schwerer Verunglimpfung des Andenkens gegen die Lübecker Nachrichten, die eine angebliche Behauptung von Gründgens’ Mitarbeiter Ulrich Erfurth zitiert hatten, daß Gründgens »im bekanntesten Homosexuellen-Hotel Manilas« gewohnt und »sich in seinem Zimmer umgebracht habe, weil ihn sein ›Bubi‹ […] betrogen habe«28. Noch Jahrzehnte später raunt man, zwei Stricher hätten Gründgens »massakriert«29, und nicht nur der Stern kolportiert 1995 Johann Kresniks Behauptung, Gründgens sei »einem homosexuellen ›Ritualmord‹ zum Opfer gefallen und eilig eingeäschert worden«30.

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      Zeitungsausschnitte aus »Bild am Sonntag«, 13.10.1963

      beide: © Theatermuseum Düsseldorf

      An der knapp einstündigen Trauerfeier in der Funeraria Quiogue, einem Bestattungsinstitut an der Calle Azcarraga (der heutigen Claro M. Recto Avenue), nehmen am 8. Oktober um 14 Uhr rund 40 Mitglieder der deutschen Kolonie teil; die Botschaft und das Goethe-Institut haben Kränze geschickt. Der 28jährige, aus Royal Oak im US-Bundesstaat Michigan stammende Pastor David John Schneider von der Trinity Lutheran Church in Quezon City spricht ein kurzes Gebet – Gründgens war 1929 aus Steuergründen aus der katholischen Kirche dissidiert, 1953 wieder ein- und später erneut ausgetreten. Franz Ferring, der Geschäftsträger der deutschen Botschaft, hält die Trauerrede. Von Schallplatten ertönt noch einmal die Stimme Gründgens’ als Hamlet, darauf der zweite Satz aus Beethovens 3. Sinfonie, der sogenannten EROICA, ein Trauermarsch in c-Moll. Danach wird der schlichte braune Sarg kurz geöffnet, um den Anwesenden einen letzten Blick auf den Toten zu gestatten, und anschließend zur Einäscherung ins San-Lazaro-Krematorium gebracht. Schleiß fühlt sich nicht fähig, beim Rückflug die Urne aus Tropenholz mit sich zu führen, so trifft diese erst am 18. Oktober in Hamburg ein; Ursula Stadermann nimmt sie am Flughafen in Empfang. Einige Tage später werden die sterblichen Überreste ohne jedes Zeremoniell in einem Ehrengrab der Stadt auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet, am südlichen Rand des Althamburgischen Gedächtnisfriedhofs, nahe dem Haupteingang; am 4. Dezember 1964 wird die Grabplatte aus hellem Marmor gesetzt.

      Bereits am 16. Oktober 1963 hatte das Amtsgericht Hamburg das Testament eröffnet, verfaßt am 29. September 1956 und zwei Tage später mit dem Siegel des Hamburger Notars Günther Grethe versehen. Nur der Adoptivsohn Peter Max Walter Gründgens-Gorski, geboren am 7. September 1921 in Berlin, war zur Testamentseröffnung erschienen. Er ist der Alleinerbe, überläßt indes das Häuschen auf Madeira Jürgen Schleiß. Beide werden beim Versuch, künstlerisch in die Fußstapfen von Gründgens zu treten, scheitern. Schleiß ändert zwar zunächst seinen Namen in Georg Arndt, um nicht mehr mit Gründgens in Verbindung gebracht zu werden, erkennt aber schon bald die Werbewirksamkeit von Attributen wie »GGs Begleiter auf der Weltreise, die so tragisch endete«31 oder »Gründgens’ letzter Assistent«32 – auch Gründgens’ 1941 geborener Neffe Michael Geimer wird versuchen, vom berühmten Namen zu profitieren, und als Michael Geimer-Gründgens die Klamotte KOMM

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