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Szene aus Shakespeares RICHARD III. zeigt.

      Im selben Monat spielt Gründgens erstmals an der Düsseldorfer Freilichtbühne für Volkskultur, die, 1919 errichtet, 1700 Zuschauer faßt. Unter der Regie seines Lehrers Paul Henckels wirkt er vom 4. Juli an in einem Abend mit vier kurzen Stücken von Hans Sachs mit, dann im Märchen HÄNSEL UND GRETEL und schließlich ab 29. Juli in gleich zwei Rollen in Shakespeares WAS IHR WOLLT: als Curio und als Fabio. Danach reist er erst einmal für einige Tage nach Berlin, wo er – ob großzügig finanziert vom Vater oder in Erwartung der ersten Gage, bleibt unklar – im eleganten Eden-Hotel am Zoologischen Garten absteigt, einem der größten und luxuriösesten Hotels, das erst im Jahr zuvor in die Schlagzeilen geraten war: Im Januar 1919 hatte man Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg dorthin verschleppt und sie nach Mißhandlungen durch Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützendivision während des Abtransports ermordet. Die Bar des Eden-Hotels, die auch Gästen offensteht, die nicht im Hotel wohnen, wird Gründgens Ende der 20er Jahre noch häufig frequentieren. Doch zunächst schnuppert der Schauspielschulabsolvent nur ein bißchen an jener großen Welt, zu der er so gerne gehören würde …

      »Da ich einige Tage auf Reisen bin, wurde mir Ihre Zuschrift nachgesandt. Aus derselben ersehe ich aber, daß Sie mehr Charakterliebhaber sind; ich suche mehr einen jungen Schauspieler, der aufs Charakter- und Väterfach hinaus will und natürlich jedwede Charge mit übernehmen muß. Auch bedauere ich, nicht mehr als 400 Mark Gage zahlen zu können. Wenn Sie unter solchen Voraussetzungen Ihr Angebot aufrechterhalten wollen, bitte ich um Ihre Nachricht nach Halberstadt (ab Freitag werde ich wieder dort sein). Da ich nur Schauspiel im Spielplan habe, wird Ihr Wunsch nach viel Arbeit sich sicher erfüllen lassen«1, schreibt Francesco Sioli, Intendant der Städtischen Bühnen Halberstadt, am 9. Juni 1920 aus Celle an Gründgens. Dieser erhält seine Bewerbung tatsächlich aufrecht – vielleicht, weil ihn das Charakter- und Väterfach wirklich nicht abschreckt, vermutlich aber vor allem, weil das Württembergische Landestheater in Stuttgart, an das Gründgens’ Düsseldorfer Schauspielschul-Leiter Fritz Holl als Oberspielleiter wechseln wird, sich zwar für den Berufsanfänger interessiert, aber mit einer definitiven Zusage zögert. Gründgens antwortet Sioli, damit seine Antwort nur ja nicht zu spät eintrifft, nicht per Post, sondern telegraphiert. Sioli schickt ihm daraufhin den Vertrag zu: »Der ›Sänger‹ braucht Sie nicht zu erschrecken: ich gebe weder Oper noch Operette. Nur ab und zu (in vergangener Spielzeit war es 3 mal) kommt eine Posse heraus, in der dann die Gesangskunst (!!) aufleuchten soll!«2

      Gründgens wird also »für die Kunstgattung als Schauspieler und Sänger und für das Kunstfach Charakterfach und Chargen«3 verpflichtet. Sind die Unterschiede zwischen den Städten, dem 400000 Einwohner zählenden Düsseldorf und dem im Harzvorland gelegenen alten Bischofssitz Halberstadt mit seinen nur 48000 Bewohnern, auch enorm, so unterscheidet sich das Schauspielhaus Düsseldorf, auf dessen Bühne Gründgens bis vor kurzem gestanden hat, erstaunlich wenig vom Halberstädter Theater. Es stammt ebenfalls vom Architekten Bernhard Sehring aus Berlin (der dort auch das ganz ähnliche Theater des Westens entworfen hatte, das im Gegensatz zu den im Krieg zerstörten Bühnen in Düsseldorf und Halberstadt noch heute erhalten ist) und war am 30. September 1905, genau vier Wochen vor dem Schauspielhaus, eröffnet worden. Auch dieses Theater besteht aus zwei stilistisch ganz unterschiedlichen Teilen, dem im Louis-Seize-Stil gestalteten Zuschauerbereich und dem Bühnenhaus, das wie in Düsseldorf in Gestalt einer mittelalterlichen Burg errichtet worden ist. Und mit 900 Plätzen faßt es kaum weniger Zuschauer als das Schauspielhaus Düsseldorf.

      Die Städtischen Bühnen Halberstadt zählen zu den avantgardistischsten der deutschen Provinz; der gute Ruf des ausschließlich dem Schauspiel verpflichteten Theaters dringt weit über die Stadtgrenzen hinaus und zieht Theaterkritiker selbst aus Berlin an. Zu verdanken hat das Haus dies der soliden und verantwortungsvollen Leitung Francesco Siolis4, des als Siegfried Franz Peter Sioli 1878 in Halle an der Saale geborenen Sohnes eines aus Italien stammenden Apothekers. Nach einigen Jahren als Schauspieler hatte er von 1908 bis 1913 das Stadttheater Tilsit und dann das Stadttheater Halberstadt – auf eigenes Risiko – geleitet, war allerdings 1914 eingezogen worden, hatte daher sein gesamtes Personal entlassen und das Stadttheater schließen müssen. Lediglich einige Gastspiele anderer Bühnen waren dort zu sehen gewesen, bis die Stadtverordnetenversammlung im April 1919 die Wiedereröffnung des Theaters als städtisch geführtes Städtebundtheater der Städte Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben beschlossen und den vom vierjährigen Fronteinsatz zurückgekehrten Sioli zum Intendanten berufen hatte. Bereits nach einem Jahr war das in finanzielle Schieflage geratene Städtebundtheater »hauptsächlich der allgemeinen Verkehrsschwierigkeiten wegen«5 aber wieder aufgelöst worden. In der Spielzeit 1920/21 besteht das Ensemble der Städtischen Bühnen Halberstadt aus 35 darstellenden Künstlern, zu denen neben Gründgens auch sein Freund und Mitschüler Hanns Böhmer, die nach dem Zweiten Weltkrieg am Deutschen Theater Berlin tätige Ruth Baldor und der in den 30er und 40er Jahren als Nebendarsteller in mehr als 80 Filmen beschäftigte Eduard Wenck gehören. Der promovierte Mediziner Albrecht Schoenhals, der 1920 in Halberstadt sein erstes Festengagement als »jugendlicher Held« antritt, wird, durch sein vornehmes Erscheinungsbild für Rollen als weltgewandter Liebhaber prädestiniert, von 1934 an mit Partnerinnen wie Pola Negri, Camilla Horn, Lil Dagover und Olga Tschechowa drehen und zu einem der beliebtesten deutschen Filmschauspieler avancieren. »Gleich im ersten Stück der Saison, in Hebbels NIBELUNGEN, sollte ich mit einem jungen, ehrgeizigen Debütanten zusammen spielen: mit Gustaf Gründgens«, wird sich Schoenhals an sein Halberstädter Debüt erinnern. »Der junge Mann – mehr war er für mich damals noch nicht – schien mit seiner Rolle unzufrieden, jedenfalls gab er mir deutlich zu erkennen, daß er der Meinung sei, man habe ihn bei der Rollenbesetzung zum Narren gehalten und übers Ohr gehauen. Kein Zweifel, er neidete mir die Rolle. […] er als der Junge mußte einen Alten spielen (mit Bart), und ich als der Ältere – ich war damals immerhin schon zweiunddreißig – durfte einen Jüngeren spielen und dazu noch den König Gunther. Und es war die bessere Rolle!«6

      Am 2. September beginnen die Arrangierproben zu den NIBELUNGEN, in denen Gründgens unter der Regie des Intendanten Hagens älteren Bruder Dankwart gibt; mit ihnen wird die Spielzeit am 18. September eröffnet. Bereits ab 7. September probiert man parallel dazu Büchners Revolutionsdrama DANTONS TOD, das drei Tage später Premiere hat. Gründgens werden darin gleich mehrere Rollen zugeteilt, darunter immerhin der Thomas Payne, »eine Rolle, die mich ungeheuer interessiert«7, so Gründgens. Ebenfalls noch im September hat er als Lord Caversham in Oscar Wildes IDEALEM GATTEN Premiere: »Die Rolle […] ist fabelhaft. 70jähriger, übervornehmer englischer Fürst. I. Akt Frack, III. Akt Gehrock, IV. Akt Cutaway. Ich bade mich in Eleganz.«8 Anfangs berichtet »Guy«9 seiner ehemaligen Mitschülerin Renée Stobrawa, einem robusten, blonden Mädchen von eher herber Schönheit, in das er sich heftig verliebt hat, noch: »Das Theater macht einen sehr anständigen Eindruck. […] Man hat hier allerlei mit mir vor. Man hält mich für den geistreichsten und expressionistischsten Schauspieler, den H[alberstadt] je gehabt hat. Der Dramaturg ist fabelhaft; der hält außerdem Berge von mir. Ich bin momentan nicht sehr begeistert, aber voll Hoffnung. Mein Bild hängt in jeder Buchhandlung!! Na ja!«10 Der »fabelhafte« Dramaturg und zugleich Oberspielleiter der Städtischen Bühnen ist Martin Kerb, der sich ganz dem zeitgenössischen Drama verpflichtet hat. Kurz darauf wird Kerb tatsächlich Karriere als Regisseur in Berlin machen und 1926 die Leitung des Schauspielhauses in Essen übernehmen11 – seine Theaterauffassung dürfte der von Gründgens weitgehend entsprechen, wird ihn doch der Kritiker Herbert Ihering als einen Regisseur loben, »der in kurzer Zeit mit sicherster Beherrschung des Handwerks eine Aufführung aus den Bedingungen des Stückes und der Schauspieler entwickeln und zum Erfolg führen kann«12.

      Immerhin wird Gründgens’ Gage wie die der meisten Kollegen nach einigen Wochen angehoben, um 150 Mark auf 550 Mark, und das sogar rückwirkend zum Spielzeitbeginn. Obwohl er zudem einen Zuschuß von seinen Eltern erhält, ist Gründgens, der den Halberstädtern durch seine »fesche Garderobe«13 auffällt, stets bemüht, sein Einkommen aufzubessern, organisiert Unterhaltungsabende für den »Vaterländischen Frauenverein« (dessen Aufgabe seit

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