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ausgebeten, um mir vorher mit Böhmer klar zu werden, und fand ihn auf demselben Standpunkt wie mich, nämlich, daß es zwar besser für uns beide wäre, wenn wir endlich einmal getrennt arbeiteten, daß aber in den gegenwärtigen Verhältnissen man es nicht verantworten könnte, eine solche Chance sich entgehen zu lassen. Wir haben also beide vorläufig abgeschlossen, nachdem mir Alberty im Zuge der Unterhandlungen (natürlich nur im allgemeinen) erklärte, daß er sich zum Prinzip gemacht hätte, niemanden bei sich zu halten, der nicht gern käme. Böhmer verhandelt zur Zeit noch aussichtsreich mit Bochum, und ich habe ja noch die Berliner Geschichte44 am laufen; wenn nur das eine oder das andere zum Klappen kommt, lösen wir Kiel. Ich ginge ja lieber nach Kiel wie nach Berlin, weil ich dann mehr spiele. Andererseits stehen wir menschlich so zu einander, daß ein Zusammenarbeiten nicht gerade ersprießlich sein würde. Mir wär es ja eher egal, ich denke da irgendwie praktischer, aber Böhmer ist seit einiger Zeit so von der gänzlichen Verschiedenheit unseres Charakters durchdrungen, daß ihm es besonders schwer fallen wird. Aber schließlich ist Kiel ja groß und mit der Zeit kommen wir wohl auch zu einem inneren Vergleich.«45 Als Gründgens am 18. April 1921 eben jenen Vertrag unterzeichnet, in dem erstmals die Schreibweise »Gustaf« auftaucht, durchschaut er offenbar noch nicht den Hintergrund seines Engagements. In einem Brief Böhmers an Gründgens aus dem Jahr 1952 heißt es: »Als mich vor Jahren und Tag Alberty holen ließ, und mir sagte, er habe Sie meinetwegen engagiert, teils mit meiner Gage, und er hätte Sie lieber nicht mehr bei sich, sagte ich ihm – wie begabt Sie seien, und ohne Sie ginge ich auch! Und daß ich immer für Sie so kämpfen würde!«46

      Daß Böhmer in diesem Brief den einstigen Freund siezt, hat einen jahrzehntelangen Vorlauf. Gründgens reagiert zutiefst verletzt, als er in Kiel erfährt, nur »als Knochenbeilage«47 engagiert worden zu sein. Während er jedoch Karriere macht, stagniert die vielversprechende Laufbahn Böhmers, der, wegen seines »verführerischen Zaubers«48 gerühmt, von Hermine Körner ans Münchener Schauspielhaus, 1925 von Max Reinhardt ans Deutsche Theater Berlin engagiert worden war. In Carl Sternheims OSKAR WILDE hatte er dort neben dem Titeldarsteller Rudolf Forster Wildes Geliebten Lord Douglas gegeben, in Klabunds KREIDEKREIS mit Elisabeth Bergner auf der Bühne gestanden. Zwar beschäftigt ihn Gründgens 1930 in seiner Uraufführungs-Inszenierung von Vicki Baums MENSCHEN IM HOTEL, doch nur in dem kleinen Part eines Spielers. Und schenkt man Vicki Baum Glauben, behandelt Gründgens seinen einst so vertrauten Freund keineswegs anständig: »Ach, um meine Ruhe zu haben, mußte ich ihm eine stumme Rolle geben – immer noch besser, als wenn wir ihn ein paar Worte hätten sprechen lassen. Da hab’ ich ihn denn da hinten postiert, mit dem Rücken zum Publikum, Sie sehen’s ja. Sein idiotisches Mondgesicht konnte ich den Leuten unmöglich präsentieren«, soll Gründgens der bei einigen Proben anwesenden Autorin gesagt haben. »Aber keine Angst, wir werden die Ecke so ausdunkeln, daß er kaum zu sehen ist.«49 Bei der Premiere soll Böhmer dann plötzlich nach vorne ins Rampenlicht gestürzt, Gründgens daraufhin »wegen des geschmissenen zweiten Aktes in Weißglut«50 geraten sein. Böhmer ist – nicht unverständlich – tief verletzt. Immer häufiger belästigt er seinen arrivierten Freund mit vorwurfsvollen Briefen. Der verschafft Böhmer im Frühjahr 1935 immerhin ein Vorsprechen an der Berliner Volksbühne. »Ich muß Dich immer nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß Du Dich nun, was mich angeht, wirklich zusammennehmen mußt, denn ich kann mir nicht immer wieder sagen lassen, daß mich an Deiner wirtschaftlichen Situation auch nur die leiseste Schuld trifft«, heißt es in einem Einschreiben von Gründgens vom 21. Mai 1935. »Sie war bereits verfahren, als ich, völlig einflußlos, nach Berlin kam. Meine Versuche, sie einzurenken, hast Du wieder aus Deinem Temperament heraus konterkariert. Du erhältst von mir augenblicklich eine monatliche Unterstützung von 200.– RM (zweihundert Reichsmark), die ich Dir immer wieder mit Rücksicht auf die Tatsache unserer langjährigen Freundschaft gebe. Ich lehne es aber ab, irgendeine moralische Verpflichtung dabei anzuerkennen, die Du in Deinen letzten Briefen immer wieder zu konstruieren versuchst. Ich habe Dir in jedem unserer Gespräche klargemacht, wie sehr ich bedauere, daß es Dir scheinbar nicht gelingen kann, unbefangen und wirklich freundschaftlich zu mir zu stehen, aber wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht. Die Arbeit, die ich zu leisten habe, und die Verantwortung, die ich dabei zu tragen habe, ist zu groß, als daß ich mich Situationen, wie die, in die Du mich durch Deine Briefe bringst, aussetzen kann. Ich erkläre noch einmal, Dir, soweit mir das sachlich möglich ist, mit meinem Einfluß zu Hilfe zu kommen, wie ich das ja auch in den verschiedensten Fällen getan habe. Bedingung dafür ist jedoch jetzt, daß Du mich mit solchen Briefen endgültig verschonst. […] Ich habe mich bemüht, sachlich noch einmal die Situation festzustellen. Es liegt an Dir, sie so zu erhalten. Du mußt endlich über Deine fixe Idee: ich könnte, wollte oder würde Dir schaden, hinwegzukommen suchen, und mir meine Versicherung, daß niemand sich mehr freuen würde, wenn Du wieder in den künstlerischen Arbeitsprozeß eingereiht würdest, als ich, glauben.«51 Doch genau das gelingt Böhmer, der lange nicht aufhört, um eine Zusammenarbeit mit Gründgens zu betteln und zu kämpfen, bis zu seinem Tod nicht. »Die Macht der Politik bestimmte ja auch die Kunst! Und die Macht der Politik hatten Sie ja damals hinter sich, wie heute die allbestimmende Macht des Geldes! Die eine wie die andere künstlerisch zu cachieren ist nun mal Ihre grande affaire!«, heißt es in einem Brief des verbitterten Böhmer aus dem Jahr 1952. »Was Sie mir antaten, wissen Sie vielleicht so wenig, genau so wenig wie anderes – was zu wissen Sie nicht dekorativ finden. Nun, ich wär ausgelöscht! Glauben Sie mir, die Agonie ist gräßlich. Wenn das Mütterchen nur erlöst wäre, dann kann ich auch Schluß machen! Das Mitzuerleben möchte ich ihm nicht noch zumuten.« Und er wirft seinem einstigen Freund vor: »In all Ihrer Macht und Herrlichkeit haben Sie mir nicht die kleinste Chance gegeben. Im Gegenteil! All die Macht und Herrlichkeit haben Sie dazu gebraucht, um mich künstlerisch zu verhindern […]. Nun, ich will mit Ihnen weiß Gott nicht mehr abrechnen und auch keine Epistel über den wahren Gustaf schreiben. Aber irgendwie sind Sie doch ein Geschöpf von mir […]. Vielleicht müssen Sie mich deshalb auch so töten! Sicher ist es bald soweit.«52

      Gründgens verbringt nach dem Ende seiner Halberstädter Verpflichtung zunächst zwei Monate bei seinen Eltern in Düsseldorf und spielt an der Freilichtbühne für Volkskultur den Antipholus in Shakespeares KOMÖDIE DER IRRUNGEN, von dort reist er – in Ermangelung eines ordentlichen Koffers mit einem Pappkarton – nach Kiel. Das Engagement in der rund 230000 Einwohner zählenden holsteinischen Universitätsstadt bedeutet einen gewaltigen Aufstieg für ihn, künstlerisch wie finanziell – »und die Stadt gefällt mir auch gut«1, teilt er Renée Stobrawa, mit der er immer noch freundschaftlich verbunden ist, freudig mit. Er ist »für die Kunstgattung als Schauspieler und für das Kunstfach als Charakterspieler« verpflichtet; die zwölfmonatige Saison hat am 1. Juli 1921 zunächst einmal mit vier Wochen bezahlter Ferien begonnen. Gegenüber Halberstadt hat sich seine Monatsgage beinahe verdoppelt: Er erhält nun 1000 Mark, zudem stehen ihm bei Abstechern des Theaters Tagegelder zu, und im zweiten Jahr soll seine Vergütung sogar auf 16000 Mark per annum steigen – »wenn der Betrieb des Schauspiels nicht eingestellt werden sollte«2. Dennoch bessert der stets von Geldsorgen Geplagte auch hier die Gage (die dann allerdings angesichts der zunehmenden Inflation tatsächlich kaum noch ausreichen kann) mit Gymnastikstunden auf und gibt Schauspielunterricht; auch dem später als eleganter Charmeur in Filmen und Fernsehserien wie DER FORELLENHOF und SALTO MORTALE populären Hans Söhnker erteilt er – »sicher nur aus finanziellen Gründen«3 – einige Stunden.

      Zu den Vereinigten Städtischen Theatern zu Kiel, die im Jahr über 900 Vorstellungen zeigen, gehören das 1047 Zuschauer fassende Stadttheater, das hauptsächlich Opern und das klassische Drama pflegt, und das mit 671 Plätzen deutlich kleinere, an der Holtenauer Straße gelegene Schauspielhaus; dort gibt man »das moderne Drama, das Konversationsstück, den Schwank«4. Geleitet werden die Bühnen, die seit 1919 nicht mehr verpachtet, sondern als kommunaler Regiebetrieb geführt werden, nun schon die dritte Spielzeit von Max Alberty5, Dr. jur. und Dr. phil., ein Vierteljahrhundert älter als Gründgens, aber wie dieser vor einem ähnlichen familiären Hintergrund in Düsseldorf geboren: Der Sohn des Kommerzienrats Emil Poensgen entstammt einer in der Stahlindustrie tätigen weitverzweigten Großindustriellenfamilie

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