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zu einem zweiteiligen Flügeltor, dahinter führt eine breite Treppe tief hinunter in den Innenhof. Auf einem Absatz rechter Hand befindet sich das mit Schauspielerphotos und Bildern von Malern, die dort verkehren, bepflasterte Theaterlokal »HaKa«, unten schließlich, zwischen Kastanien und Akazien durchaus idyllisch gelegen, das eigentliche Theater: ein eher niedriges Jugendstilgebäude mit schmaler Säulenvorhalle.

      Gründgens wird zunächst wieder einmal von Geldsorgen geplagt. »Ich sitze hier […] in einer unbeschreiblichen Klemme. […] Denn denk’ mal die Reise, der Koffertransport, Hotel (1 Tag) etc. Jetzt logiere ich auf der Chaiselongue«, schreibt Gründgens, der vorübergehend in der Wohnung von Clemens Schuberts Schwager, dem Zahnarzt Carl Lehmann, in der Lübeckerstraße 131 untergekommen ist, seiner Mutter. »Heute fand ich eine Wohnung! Endlich! […] Nun kann ich aber nicht umziehen, weil ich kein Geld habe. Denn ich muß vierzehn Tage vorauszahlen. Die Kammerspiele sind (ein trauriges Zeichen der Zeit, als literarisches Privattheater) nicht in der Lage, einen größeren Vorschuß zu gewähren. Es klingt unglaublich, aber es ist so! (Es handelt sich um die Existenz des Theaters.) […] Also um Gottes willen schickt Geld, sonst ist alles aus, und zwar telegraphisch (bitte, bitte umgehend) und möglichst noch mehr als zehn Millionen. Ich hoffe, Euch einstmals alles vergelten zu können, aber helft mir jetzt! Ich muß wenigstens bei meiner ersten Rolle ein Dach überm Kopf haben.«19 Sein am 19. April unterzeichneter »Normalvertrag« garantiert Gründgens monatlich 440000 Mark »Märzgrundgage«, »dazu kommen alle tariflich festgesetzten Teuerungszuschläge ab 1. April«20: Deutschland befindet sich in der Hyperinflation. Als Gründgens am 25. August 1923 mit den Proben beginnt, muß man für einen Dollar nicht mehr 50000 Mark bezahlen, wie noch im Februar, sondern 50 Millionen. Um einen gewöhnlichen Brief zu frankieren, braucht man eine 75000-Mark-Briefmarke, Anfang Oktober beträgt das Briefporto schon 2 Millionen, sechs Wochen später 10 Milliarden. Ein einziger Dollar ist dann 4,2 Billionen Mark wert – oder vielmehr 4,20 Rentenmark: Am 15. November wird die Inflation mit der Einführung der mit der späteren Reichsmark wertgleichen Rentenmark beendet. An Gründgens’ ständigen Finanznöten ändert das freilich wenig. Er lebt auf Pump, läßt anschreiben, fährt aber dennoch leidenschaftlich Taxi. »Wenn er kam, rief er schon: Struck geh raus, bezahl das Taxi! Hier hast du ein Photo von mir oder irgendetwas. […] Ja, anstelle von Geld hat er mir ein Photo mit Autogramm gegeben«21, wird sich sein Garderobier erinnern. Fahrten mit der Straßenbahn oder dem Omnibus verabscheut er zutiefst. Dennoch dichtet er über das Schwarzfahren: »Ich der Ärmste von euch allen / bin dem Omnibus verfallen […]. / Warum soll ich denn, gerade ich denn / Meinen Obolus entrichten?«22

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      Gustaf Gründgens im Kostüm des Geisterbeschwörers aus Shakespeares Komödie der Irrungen, Hamburger Kammerspiele, 1923

      © Theatermuseum Düsseldorf

      Sein Hamburger Debüt gibt der 23jährige Gründgens, der seit dem Abschluß seiner Schauspielausbildung vor drei Jahren über 80 verschiedene Rollen gespielt und sich große Routine erworben hat, am 8. September 1923 »in einer glänzenden Rolle«23, wie er selbst findet, nämlich als Aloysius Wolkenwind in Hugo Wolfgang Philipps grotesker Tragödie DER CLOWN GOTTES. Zu Jahresbeginn 1923 an drei Häusern gleichzeitig uraufgeführt, hat sie sich rasch zu einem der erfolgreichsten Theaterstücke auf deutschen Bühnen entwickelt und den Autor quasi über Nacht zum Star der Literaturszene gemacht. Der erfolglose Maler Wolkenwind, seit langem von Schulden bedrückt und von Gläubigern bedrängt, kapituliert vor einer kunstfeindlichen Gesellschaft, indem er seine künstlerische Existenz selbst auslöscht: Er besorgt sich die Papiere des verstorbenen Hieronymus Siebenkäs und schiebt die seinen dem Toten unter. Doch dann wird er als Mörder Wolkenwinds – also als Mörder seiner selbst – zum Tode verurteilt. Am Schluß kriecht der vermeintliche Delinquent unterm Schafott hervor und erhebt sich als Prometheus. Regie bei dieser Tragigroteske um den Stellenwert der Kunst, die Individualität des Künstlers und das Überleben des Einzelnen in einer menschenfeindlichen Welt führt der Gründgens aus vielen Arbeiten vertraute Clemens Schubert, den Staatsanwalt gibt Karl Zistig, bei dem der Soldat Gründgens einst einige Schauspielstunden genommen hatte. Die Presse lobt den »verheißungsvollen«24 Neuzugang, »der sich hier mit einer imponierenden Leistung zeigen konnte, der neben einer puppenhaften Sprache gelenkiger Gliedmaßen auch über den einfachen Menschenschrei jenseits aller Rednerei verfügt«25. Acht Tage später übernimmt Gründgens den Grafen in Arthur Schnitzlers skandalträchtigem REIGEN, dann folgen zumeist kleinere Parte, immerhin aber auch – »komisch durch die Bewegungen, Gesten, Gebärden, durch das Augenrollen, das Schlenkern der langen Arme und Beine«26 – die Titelrolle in Paul Kornfelds Charakterkomödie PALME ODER DER GEKRÄNKTE und der Schauspieler Albert Becher in Paul Apels heiterem Traumspiel HANS SONNENSTÖßERS HÖLLENFAHRT. 1936 wird das Stück in Gründgens’ Bearbeitung und Inszenierung, mit Chansons versehen und mit ihm selbst in der Titelrolle einer der größten Erfolge am Berliner Staatstheater. Gründgens, durchaus zufrieden, »eine sehr, sehr schöne Stellung […] gefunden zu haben«, charakterisiert seine schauspielerische Entwicklung selbst so: »Also als Typ: ein etwas neurasthenischer Henckels mit jugendlichem Bonvivant-Einschlag«27. Weiß er, was er mit dem Hinweis auf die Modekrankheit Neurasthenie (eine erhöhte Reizbarkeit und herabgeminderte Leistungsfähigkeit der Nerven aufgrund der Überlastung durch geistige Tätigkeiten) bekennt? Für Sigmund Freud zählt diese zu den Aktualneurosen, die durch eine inadäquate Verarbeitung der Libido verursacht werden, wesentliche Symptome sind Schlafstörungen und Kopfschmerzen – wenige Jahre später die Probleme, die Gründgens am meisten belasten.

      Schon in seiner zweiten Spielzeit entwickelt sich Gründgens zu einem »Senkrechtstarter«, wie ihn die Stadt lange nicht gesehen hat. Er darf sich auch in Hamburg als Regisseur versuchen und inszeniert – mit dem berühmten Albert Steinrück als Gast – Octave Mirbeaus Boulevardstück GESCHÄFT IST GESCHÄFT, das am 26. August 1924 Premiere hat; noch in derselben Saison führt er unter anderem Regie bei Georg Kaisers KOLPORTAGE mit sich selbst in der wirkungsvollen Rolle des Acke, bei Shaws Komödie HELDEN, in der er einen sarkastischen Bluntschli gibt, und – mit sich als Dr. Jura – bei Hermann Bahrs KONZERT, einem Stück, das ihn bis ans Lebensende begleiten wird. Er zeichnet unter Ziegels Regie den Junker Andreas von Bleichenwang in Shakespeares WAS IHR WOLLT als lächerlichen Korpsstudenten mit Reitpeitsche und Monokel und spielt – zwei Tage nach der Uraufführung des Stückes in Meißen – mit tänzerischer Anmut und der Freude darüber, auf der Bühne endlich einmal »schön« sein zu dürfen, den Prinzen Pao in Klabunds KREIDEKREIS. Die Rolle der Haitang, gespielt von Lilly Eisenlohr, wird in der kommenden Spielzeit in einzelnen Aufführungen Elisabeth Bergner übernehmen, in Berlin eine »Sensation«, in die die ganze Stadt vernarrt ist, knabenhafte femme enfant und verführerische femme fatale zugleich. Auch in ihrer gefeierten Rolle als Rosalinde in Shakespeares WIE ES EUCH GEFÄLLT wird die Bergner in Hamburg gastieren. Solche Rollengastspiele sind an der Tagesordnung: Bereits 1924 hatte Gründgens in Leonid Andrejews Stück DER GEDANKE mit Paul Wegener und in Schnitzlers Einakter GROßE SZENE mit Albert Bassermann gespielt, dem wohl bedeutendsten realistischen Darsteller des frühen 20. Jahrhunderts. 1927 wird die als Stummfilmdiva gefeierte Maria Orska, die als Morphinistin berüchtigte Exfrau des Bankiers Hans von Bleichröder, seine Partnerin in Georges de Porto-Riches GERMAINE sein. Gründgens wiederum gastiert als Pao in Lübeck und in Oldenburg als Jaques in WIE ES EUCH GEFÄLLT.

      Franz Werfels »magische Trilogie« SPIEGELMENSCH, die am 13. Dezember 1924 an den Hamburger Kammerspielen unter der Regie des Oberspielleiters Friedrich Brandenburg Premiere hat, zeigt die Läuterung des von Lebensüberdruß getriebenen Thamal im Kampf gegen sein zweites Ich, eben den Spiegelmenschen, oder anders gesagt: den inneren Kampf des Ichs, allegorisiert im »Sein-Ich« des Mannes Thamal, der sich nach der absoluten Wirklichkeit verzehrt, und im »Schein-Ich« des Spiegelmenschen, der ihn zum Genuß verführt. Gründgens gibt die Rolle des Thamal »tänzerisch – dämonisch und irrlichternd«28. Ist schon diese in einem homoerotischen Kontext situiert29, so spielt Gründgens am 9. April 1925 mit der Titelrolle in Carl Sternheims OSKAR WILDE den vielleicht bekanntesten Homosexuellen der Jahrhundertwende. Kaum ein Schauspieler verkörpert in den 20er und 30er Jahren derart häufig homosexuelle, homoerotisch konnotierte oder zumindest

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