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[…] Gustaf war düster und dämonisch, Gustaf war müde und dekadent. Gustaf war von überströmender Lebendigkeit; er war abwechselnd jugendlicher Liebhaber, ›père noble‹, Intrigant und Bonvivant; er war alles und nichts. Er war der Komödiant par excellence. […] Die erste Begegnung mit Gustaf bleibt mir unvergeßlich. Mit dem Elan eines neurotischen Hermes drang er in unser Hotelzimmer ein. So leichtfüßig war sein Gang, daß man nicht umhin konnte, seine etwas abgetragenen, aber doch irgendwie sehr schicken Sandalen mit mißtrauischem Blick zu streifen. Gab es dort keine Flügel? Nein; auch war es kein antikes Göttergewand, was ihm da mit edler Nachlässigkeit um die Schultern hing, sondern nur ein ziemlich schäbiger Ledermantel. Er war schön, die gerade, etwas zu fleischige Nase, die stolzen Lippen, das markante Kinn: alles war von kräftiger und reiner Bildung. Die leichte Verzerrtheit seiner Miene war wohl auf das Monokel zurückzuführen, welches er wegen starker Kurzsichtigkeit trug. Zu einer Brille mochte seine Eitelkeit sich nicht bequemen. Er litt an seiner Eitelkeit wie an einer Wunde. Es war diese fieberhafte, passionierte Gefallsucht, die seinem Wesen den Schwung, den Auftrieb gab, an der er sich aber auch buchstäblich zu verzehren schien. Wie tief muß der Inferioritätskomplex sein, der sich in einem solchen Feuerwerk von Charme kompensieren will! […] Wer sich auch nur von einem Menschen wirklich geliebt wüßte, hätte es kaum nötig, ständig zu verführen.«71

      Ob sich Gründgens ausgerechnet von Erika Mann »wirklich geliebt« weiß? Hat er sich tatsächlich in die burschikose, ihm zwar intellektuell ebenbürtige, schauspielerisch aber nur mäßig begabte Erika Mann verliebt? Noch vor kurzem hatte Gründgens seiner Mutter geschrieben: »Ich bin ja wohl auch beruflich zu ausgefüllt, um unsere modernen Frauen noch an der Kandare halten zu können. Warten wir also gottergeben auf das Käthchen von Heilbronn.«72 Erika Mann ist nun freilich alles andere als ein hingebungsvolles, einzig aus seiner Emotion heraus handelndes Käthchen, das seinem »hohen Herrn« »wie ein Hund, der von seines Herrn Schweiß gekostet«73, folgt, und man kann sich leicht ein »Wesen von zarterer, frommerer und lieberer Art«74 denken als sie. Sie ist auch kein Sprößling des Kaisers wie das Käthchen, ihr Vater Thomas Mann – den man wenige Jahre später als »Kaiser aller deutschen Emigranten«75 bezeichnet – wird aber schon jetzt für den Nobelpreis gehandelt, den er 1929 tatsächlich erhält. Gründgens ist zwar kaum, wie einige seiner Biographen meinen, der Kleinbürger, den es reizt, als Schwiegersohn des großen Literaten in andere gesellschaftliche Kreise aufzusteigen, aber er erwartet sich mit der Heirat die Anerkennung seiner äußerst wohlhabenden Familie, als deren »schwarzes Schaf« der wirtschaftlich erfolglose, komplexbeladene Vater Arnold Gründgens gilt. Und die mäßig erfolgreiche Schauspielerin Erika Mann erhofft sich von einer Ehe mit dem zum Hamburger Theaterstar avancierten Gründgens einen Karriereschub. Geht es also für beide um eine »Cocktailehe«? Oder geben sie nur leichtfertig einer Laune nach? Gründgens schwärmt von der knapp sechs Jahre Jüngeren: »Unter anderem hat sie wohl die schönsten Augen, die man sich denken kann.«76 Und Erika soll ihrer Großmutter Hedwig Pringsheim gegenüber sogar von der »großen Liebe« gesprochen haben. Gründgens sei in den 20er Jahren »in fast auffälliger Weise an sanktionierten Dauerbindungen interessiert« und darauf bedacht gewesen, »möglichst schnell eine Familie zu gründen«77, wird sein Psychiater berichten, dem Gründgens anvertraut, er habe sich 1926 zwischen Pamela Wedekind und Erika Mann zu entscheiden gehabt …

      »Liebe, liebe Leute, damit Ihr nun nicht ganz ohne Sensationen seid, was die Familie angeht, will ich Euch denn ein freudiges Ereignis keinen Tag vorenthalten«, schreibt er seinen Eltern im April 1926 aus Wien, wo er als Gast am Theater in der Josefstadt probiert. »Es wird ja nun bitterer Ernst. Erika Mann und ich haben uns verlobt und werden in Bälde heiraten. Erika fährt heute nach München und bespricht das nähere mit den Eltern. Hochzeiten tun wir in München, wo Ihr ja nun hinkommen müßt. Es wird wohl sehr offiziell werden, aber sicher auch hübsch.«78 Fraglos imponiert Erika die Kraft an darstellerischer Energie des Vollblutschauspielers, und zweifellos sehnt sich Gründgens, nicht zuletzt angesichts der komplizierten Beziehung zu Jan Kurzke, mit dem er weiterhin befreundet bleibt, nach einem Leben in bürgerlichen Normen. Er verbrennt vor der Heirat zahlreiche Briefe, will »ein anderer Mensch sein«79, wünscht sich eine anerkannte, geordnete Existenz. Doch kann die Verbindung zweier Künstler, die beide eher dem eigenen Geschlecht zuneigen, das leisten? »Kannst Du mir mal sagen, warum ich Idiot heirate?«80, soll Gründgens drei Tage vor der Hochzeit gegenüber seiner Schwester ausgerufen haben. Und Erika Mann hatte ihrer Freundin Pamela schon Wochen zuvor erklärt, sie fange angesichts des hochempfindlichen Gründgens und seiner Hysterie an, sich »vor dem heiligen Ehestand ein bißchen zu fürchten«81. Doch die Trauung findet statt, am Samstagvormittag, dem 24. Juli 1926, im Standesamt München I. Als Zeugen fungieren Thomas Mann, bekanntlich selbst homophil veranlagt, und der Musiker Klaus Pringsheim, der Zwillingsbruder von Thomas Manns Frau Katia, auch er homosexuell.

      Bei strahlendem Sonnenschein fährt das Mannsche Automobil mit dem Brautpaar, dem Brautvater und der Bräutigamsmutter vor dem pittoresken Gebäude des Standesamts am Petersplatz vor, gefolgt von einem Taxi mit den weiteren Familienangehörigen, darunter Erikas Geschwister Klaus, Monika und Golo. Von der Seite des am Vorabend aus Hamburg eingetroffenen Bräutigams ist lediglich Emmi Gründgens erschienen; Marita und der Vater sind durch einen Autounfall kurzfristig verhindert. Schnell ist die amtliche Zeremonie absolviert und die Ehe unter der Nummer 969/26 beurkundet. Nur Erika erschrickt, als »der Herr auf dem Standesamt« der eben »noch ganz freundlich ›Fräulein Mann‹ zu mir sagte, als er uns ermahnte, doch lieber richtig herum den Tatort zu betreten – G.G. links und ich rechts (wir hatten es natürlich falsch gemacht!), und dann plötzlich herrschte er mich an ›jetzt unterschreiben Sie, Frau Gründgens!‹ Ein großer Schreck war es schon!«1 Per Auto geht es weiter nach Feldafing. Im traditionsreichen Hotel Kaiserin Elisabeth ißt man »gute, aber teure Forellen«2 zu Mittag, mit Blick auf den Starnberger See und das Panorama der Alpen, wo an diesem Tag, was die Hochzeitsgesellschaft freilich nicht ahnt, auf dem Obersalzberg Joseph Goebbels ergriffen lauscht, wie »der Chef« Adolf Hitler »über Rassenfragen« doziert, und abends im Garten des Marineheims beobachtet: »Droben am Himmel formt sich eine weiße Wolke zum Hakenkreuz. Ein flimmerndes Licht steht am Himmel, das kein Stern sein kann. Ein Zeichen des Schicksals?«3 Von ganz anderen flimmernden Lichtern hören zur gleichen Zeit die Gäste, die sich zum Abendessen in Thomas Manns Münchner Villa in der Poschingerstraße versammelt haben: Thomas Mann vergleicht in einer »fein-rührenden«4 Festrede seinen frischgebackenen Schwiegersohn bewundernd, zugleich aber auch ironisch-distanziert mit einem Glühwürmchen, das, am Tage unscheinbar, erst am Abend leuchte. Gründgens, stolz, daß ihm der berühmte Mann nach dem Mittagessen das keineswegs selbstverständliche »du« angeboten hat, begreift das sein Leben lang nicht im geringsten als Herabsetzung. Zur alles andere als feierlich-steifen Hochzeitsgesellschaft – bis in den späten Abend hinein tanzt man animiert zu Tango-Musik, und der Trauzeuge Klaus Pringsheim flirtet ungeniert mit dem Bräutigam – gehören die Schauspielerin Tilly Wedekind, die Mutter Pamelas, die nicht dabei sein kann (oder will), der Schriftsteller Bruno Frank, der Literaturkritiker Wilhelm Emanuel Süskind (dessen Sohn Patrick 1985 den Bestseller DAS PARFÜM veröffentlicht) und Ricki Hallgarten, ein enger Freund von Erika und Klaus.5 Die Brauteltern schenken zur Hochzeit unter anderem »einen Apparat, wo man Toilettenpapier abzieht und der spielt: ÜB IMMER TREU UND REDLICHKEIT«6.

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      Gustaf Gründgens und Erika Mann

      © Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

      Die 14tägige Hochzeitsreise führt das Ehepaar Gründgens am nächsten Morgen nach Friedrichshafen ins mondäne Kurgartenhotel, 1910 als Renommierprojekt der Luftschiffbau Zeppelin GmbH errichtet. »Nun sitzen wir beiden Glücklichen hier am Bodensee in einem traumhaft schönen Hotel mit Zimmer direkt aufs Wasser. Und werden sehr verwöhnt und haben uns sehr lieb«, berichtet Gründgens seinen Eltern – und bittet sie wie schon so oft um Geld, diesmal um 150 Mark: »Es wäre auch bestimmt das allerletzte, was ich noch von Euch brauchte.«7

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