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allererst wollte ich, der sich durch und durch als Sportler empfand, von den abenteuerlichen Geschichten einfach nichts hören. Zumal ich mich immer wieder damit beruhigte, dass die nur auf einige, ganz wenige, kriminelle Akteure zutreffen könnten. Unvorstellbar für mich, dass gleich mehrere »Sportsleute« gemeinsam und gezielt daran gearbeitet haben sollen, ein Spiel bewusst nicht zu gewinnen, oder sogar daran mitarbeiten wollten, als Verlierer vom Platz zu gehen. Wer in der Bundesliga spielte, der war in meinen Augen entweder ein herausragender Ballkünstler oder ein tapferer Arbeiter oder irgendetwas zwischen diesen beiden Ausprägungen, aber in jedem Fall ein Akteur, der ehrlich das jeweils Beste gab, um mit seinen Mannschaftskameraden den Erfolg für sich, den Verein, die Fans und manchmal sogar die Heimatstadt einzufahren.

      Als mir dann leider doch klar wurde, wie naiv ich dachte, hatte ich den Spaß an der Bundesliga erst einmal komplett verloren. Erst als sicher war, dass der Fall ziemlich lückenlos aufgeklärt war, habe ich mich vorsichtig wieder dem professionellen Fußball angenähert. Doch das brauchte seine Zeit. Zu schwer wog der anfängliche Vertrauensverlust. Und noch heute habe ich die verrauschte Stimme des Offenbacher Präsidenten Canellas von den Telefonaufzeichnungen mit den schmierigen Abmachungen in den Ohren.

      DER BUNDESLIGA-SKANDAL 1970/71

      Die manipulierten Spiele

      28. Spieltag, 17. April 1971:

      FC Schalke 04 – Arminia Bielefeld 0:1

      Nachholspiel vom 24. Spieltag, 5. Mai 1971:

      1. FC Köln – Rot-Weiss Essen 3:2

      32. Spieltag, 22. Mai 1971:

      1. FC Köln – Rot-Weiß Oberhausen 2:4

      MSV Duisburg – Arminia Bielefeld 4:1

      33.Spieltag, 29. Mai 1971:

      Arminia Bielefeld – VfB Stuttgart 1:0

      34.Spieltag, 5. Juni 1971:

      Eintracht Braunschweig – Rot-Weiß Oberhausen 1:1

      Hertha BSC – Arminia Bielefeld 0:1

      1. FC Köln – Kickers Offenbach 4:2

      Die bestraften Spieler

      Hertha BSC:

      Tasso Wild, Bernd Patzke, Jürgen Rumor, László Gergely, Volkmar Groß, Peter Enders, Wolfgang Gayer, Arno Steffenhagen, Karl-Heinz Ferschl, Hans-Jürgen Sperlich, Franz Brungs, Jürgen Weber, Michael Kellner, Uwe Witt, Zoltán Varga

      VfB Stuttgart:

      Hans Arnold, Hartmut Weiß, Hans Eisele

      FC Schalke 04:

      Klaus Fichtel, Hans-Jürgen Wittkamp, Rolf Rüssmann, Herbert Lütkebohmert, Manfred Pohlschmidt, Hans Pirkner, Jürgen Sobieray, Klaus Fischer, Reinhard Libuda, Dieter Burdenski, Klaus Senger, Jürgen Galbierz, Heinz van Haaren

      Arminia Bielefeld:

      Waldemar Slomiany, Jürgen Neumann

      MSV Duisburg:

      Volker Danner, Gerd Kentschke

      Eintracht Braunschweig: Lothar Ulsaß, Horst Wolter, Wolfgang Grzyb, Peter Kaack, Franz Merkhoffer, Bernd Gersdorff, Klaus Gerwien, Rainer Skrotzki, Eberhard Haun, Jaro Deppe, Dietmar Erler, Fried-helm Haebermann, Joachim Bäse, Michael Polywka, Max Lorenz, Burkhard Öller

      1. FC Köln:

      Manfred Manglitz

      Die bestraften Trainer

      Egon Piechaczek (Arminia Bielefeld)

      Günter Brocker (Rot-Weiß Oberhausen)

      Die bestraften Funktionäre

      Horst Gregório Canellas, Friedrich Mann, Fritz Koch, Waldemar Klein (Kickers Offenbach) Peter Maaßen (Rot-Weiß Oberhausen) Wolfgang Holst (Hertha BSC)

      Die bestraften Vereine

      Arminia Bielefeld und Kickers Offenbach

      Canellas schockt die Fuéballwelt

      Mit einer gehörigen Portion Zynismus könnte man sagen: Irgendwie war es sogar praktisch, dass Horst-Gregorius Canellas am 6. Juni Geburtstag hatte – nur einen Tag nach dem Saisonfinale 1970/71. Wobei, er hätte sicherlich auch einen anderen Grund als seinen 50. Geburtstag gefunden, um Gäste einzuladen. Denn ihm ging es überhaupt nicht ums Feiern. Canellas wollte vor allem Gerechtigkeit für seine geliebten Offenbacher Kickers, die am Tag zuvor aus der Bundesliga abgestiegen waren. Und so gab der Hausherr auch nur kurzzeitig den freundlichen Jubilar, ehe er seine Gäste um die Mittagszeit um Aufmerksamkeit bat. Aber statt eine Rede zu halten, stellte das Geburtstagskind ein Tonband an und sagte nur: »Wir sind durch Betrug abgestiegen, ich werde das beweisen.«

      Auf den Aufzeichnungen waren von Canellas heimlich mitgeschnittene Telefongespräche zu hören, die eindeutig belegten, dass zahlreiche Profis Bundesligaspiele manipuliert und dafür Geld kassiert hatten. Der Berliner Lizenzspieler Tasso Wild war darauf zu hören, sein Kollege Bernd Patzke und der Kölner Torhüter Manfred Manglitz. Das Angebot, das Wild dem Offenbacher Präsidenten machte, ließ keinen Zweifel zu: »Also horchen Sie mal, ich hab einen ganz duften Vorschlag: Weil es Offenbach ist und ohne Kuhhandel hin und her: 140 und die Sache ist für Sie in Ordnung…« Gemeint waren natürlich 140.000 Mark.

      Die anwesenden Gäste im Hause Canellas, darunter auch der damalige Bundestrainer Helmut Schön, waren schockiert. Die Liga drohte in einem Sumpf aus Schmiergeldern und Bestechung unterzugehen. 18 Begegnungen, in denen es um Abstieg bzw. den Klassenerhalt ging, waren betroffen. Mehr als 50 Spieler von immerhin zehn der 18 Bundesligaklubs, das stellte sich im Laufe der späteren Ermittlungen heraus, waren an den Mauscheleien beteiligt und kassierten zusammen ungefähr eine Million Mark.

      Doch was hatte Horst-Gregorius Canellas überhaupt dazu bewogen, diese Gespräche aufzuzeichnen? Es schien doch alles so zu sein wie immer. Der eine oder andere Zuschauer in den Stadien mag sich in der heißen Phase der Meisterschaft vielleicht schon mal gewundert haben über allzu grobmotorische Querschläger, über mehr als leichtfertig vergebene Chancen oder auffällig missratene Paraden der Torhüter. Aber öffentlich Verdacht äußerte kaum jemand. Die »Rheinische Post« machte da eher die Ausnahme, als sie bereits im April 1971 nach der Heimniederlage des FC Schalke gegen Bielefeld fragte: »Wird der Abstieg statt mit dem Ball mit Banknoten entschieden?« Aber erst am 34. Spieltag, als die abstiegsbedrohte Arminia aus Bielefeld bei Hertha BSC mit 1:0 gewann, witterten auch die Fans im Olympiastadion Betrug und skandierten »Schiebung, Schiebung«.

      Canellas war schon früher misstrauisch geworden. Seine wackeren Kickers hatten Punkt um Punkt im Abstiegskampf geholt und konnten sich dennoch nicht entscheidend absetzen, weil auch die Konkurrenz aus Bielefeld, Oberhausen und Frankfurt von Sieg zu Sieg eilte. Anfang Mai dann klingelte bei ihm das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Manfred Manglitz, Torhüter des 1. FC Köln. Und Canellas’ schlimmste Befürchtungen wurden bestätigt. Das Anliegen von Manglitz war so eindeutig wie anrüchig: Er drohte, im Spiel seiner »Geißböcke« gegen Rot-Weiss Essen, einem direkten Konkurrenten der Offenbacher im Abstiegskampf, »einige Dinger« durchzulassen, wenn Canellas nicht 25.000 Mark an ihn zahlen würde. Canellas zahlte, und der 1. FC Köln gewann mit 3:2.

      Das war Verrat am Sport

      Es war wohl eine Mischung aus Unverfrorenheit und Naivität, die die Spieler dazu gebracht hatte, jeglichen Anstand und alle Fairness abzulegen wie ein dreckiges Leibchen nach einem Trainingsspiel. Sicherlich hat es einige mit einer gehörigen Portion krimineller Energie gegeben. Andere schätzten die Angelegenheit falsch ein, sahen die Betrügereien eher als eine Art Kavaliersdelikt. Sie freuten sich über ein paar Mark mehr, die sie am liebsten im Kreis der Mannschaft auf den Kopf hauten. Wieder andere hatten Bedenken, trauten sich aber nicht gegenüber den Kameraden aufzumucken. Sie waren Mitläufer – aber damit eben auch Mittäter. Und um das unmissverständlich klarzustellen: Das, was damals passiert ist, war nicht nur kriminell, sondern in der Wirkung

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