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DFB geäußert. Der Verband unterstellte ihm Verfolgungswahn und forderte hieb- und stichfeste Beweise. Und die lieferte der Offenbacher Präsident an ebenjenem 6. Juni 1971. Mit seinen Aufzeichnungen hat er eine ganze Lawine ins Rollen gebracht, und so tat man sich auf offizieller Seite schwer mit der Entscheidung, wie man mit dem erschütternden Wissen nun umgehen solle. Zunächst hieß es, es läge »kein Fall Bundesliga, sondern ein Fall in der Bundesliga vor«. Aber als Canellas unter Mithilfe der »Bild«-Zeitung immer mehr Sünder ans Tageslicht zerrte, setzte der Verband schließlich einen Kontrollausschuss ein. Hans Kindermann, im Hauptberuf Richter am Stuttgarter Landgericht, wurde als Vorsitzender bestimmt und war als »Chefankläger« bald jedem Fußballfan – und vor allen den verdächtigten Profis – ein Begriff.

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      Arme Sünder auf der Anklagebank (v.l.): die Schalker Lütkebohmert, Fichtel, Wittkamp, Libuda, Rüßmann und Fischer.

      Sieben Wochen nach Canellas’ berühmt-berüchtigter Geburtstagsparty wurden die ersten Urteile verkündet. Wild und Manglitz wurden auf Lebenszeit gesperrt, Patzke für zehn Jahre. Kickers Offenbach entzog man für zwei Jahre die Lizenz, und auch Canellas wurde im Juli 1971 auf Lebenszeit gesperrt. Er sollte nie wieder ein Amt innerhalb der DFB-Organisation ausüben dürfen. Der OFC-Präsident war wie vor den Kopf gestoßen, glaubte er doch – obwohl er ja auf die Manglitz-Forderung eingegangen war –, einer der Guten in dem Schmierentheater gewesen zu sein. Zwei Jahre lang wühlte sich Kindermann durch Aktenberge, verhörte verdächtige Spieler und Funktionäre. »Wir müssen eiserne Pfähle einbetonieren, sonst reißen alle Dämme«, lautete die Devise des Juristen.

      Die absurdesten Geschichten wurden im Verlauf der Recherchen publik. Unter anderem die des Berliner Stürmers Zoltan Varga. Im Spiel zwischen Hertha und Arminia Bielefeld am 34. Spieltag war der Ungar in der Halbzeitpause ans Telefon geeilt, um seine Frau anzurufen. Dass nebenan die Reporter ihre Berichte in die Redaktionsstuben durchtelefonierten, schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er fragte, ob das Geld, das die Biele-felder für einen Sieg versprochen hatten, inzwischen angekommen wäre. Es war nicht angekommen, und Vargas witterte Verrat unter Verrätern: »Diese Schweine, sie wollen ohne uns Ausländer kassieren. Aber denen mache ich die Sache kaputt.« Fortan versuchte er, mit aller Macht ein Tor zu erzielen. Er traf zunächst nur die Latte, doch seine Kollegen hatten den Braten gerochen. Sie schnitten ihn, spielten ihn nicht mehr an oder nahmen ihm sogar den Ball vom Fuß. Bernd Patzke sagte später voller Zynismus: »Wenn der in den Spielen vorher immer so wild gespielt hätte, wären wir Meister geworden.«

      Neben Vargas wurden im Rahmen der Ermittlungen 52 weitere Spieler, zwei Trainer und sechs Funktionäre verurteilt. Merkwürdigerweise entzog man mit den Kickers und später Arminia Bielefeld lediglich zwei Vereinen die Lizenz für die Bundesliga. Die meisten der Sünder selbst wurden zwar relativ schnell wieder begnadigt und durften alsbald wieder Fußball spielen, aber nicht wenige von ihnen sind den Makel auch über ihre sportliche Karriere hinaus nicht mehr losgeworden.

      Schalker Spieler vor Gericht

      Ein längeres Nachspiel gab es im Fall von Schalke 04. Dabei hatten die »Knappen« zunächst nur eine Nebenrolle in dieser Tragödie übernommen. Vor dem Heimspiel gegen Bielefeld im April 1971 sollen sie 40.000 Mark erhalten haben, so dass für jeden der Spieler ungefähr 2.300 Mark dabei heraussprangen, nachdem die Arminen mit 1:0 gewonnen hatten. Weil sie aber hartnäckig vor dem Sportgericht bestritten, das Spiel manipuliert zu haben, zerrte Kindermann sie schließlich sogar vor ein ziviles Gericht, wo sie des Meineids angeklagt wurden. Ein quälend langer Prozess entwickelte sich, in dem erst im Dezember 1975 das Urteil gefällt wurde. Die Herren Libuda, Fichtel & Co. konnten von Glück reden, dass sie nicht ins Gefängnis mussten und mit Geldstrafen davonkamen. Auf Jahre hatten sie dafür den schmählichen Begriff vom »FC Meineid« geprägt.

      Der Bundesliga-Skandal hatte die Glaubwürdigkeit des Fußballs erschüttert und diesen schönen Sport ins Zwielicht gerückt. Auf Jahre musste die Liga mit einem massiven Zuschauerschwund leben. Ob tatsächlich alle Fälle aufgeklärt wurden, vermag niemand mit Bestimmtheit zu sagen. Aber immerhin war sich Chefankläger Kindermann nach getaner Arbeit sicher, dass derartige Machenschaften nicht wieder aufleben würden: »Bestechungsversuche sind eine Phase in der Entwicklung des bezahlten Fußballs. Damals bedeuteten sie zweifellos eine große Gefahr für den jungen Professionalismus. Das Überwinden des Skandals macht es unwahrscheinlich, dass es neue Manipulationen geben wird«, sagte er am Ende voller Überzeugung.

      So schien es – bis 1990 der Kroate Vlado Kasalo in Diensten des 1. FC Nürnberg eine seltsame Serie von Eigentoren produzierte. Kasalo, der schon zuvor als Zocker aufgefallen war und in illegalen Spielcasinos Schulden angehäuft hatte, geriet alsbald in den Verdacht, absichtlich ins eigene Tor getroffen zu haben – angestiftet von einer Wettmafia. Der kroatische Nationalspieler bestritt die Vorwürfe vehement, Chefankläger Kindermann fehlten die Beweise, und Vlado Kasalo durfte weiter Fußball spielen. Der Fall Kasalo schlug damals hohe Wellen – und war doch nur ein Sturm im Wasserglas im Vergleich zu den Vorfällen, die im Januar 2005 ans Licht kamen.

      Die Marionette des Profizockers

      Die Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich, Olaf Blumenstein, Manuel Gräfe sowie Felix Zwayer wurden in jenem Monat beim DFB vorstellig und hatten Unglaubliches über einen ihrer Kollegen zu berichten. Robert Hoyzer, so der dringende Verdacht der aufrechten Unparteiischen, soll DFB-Pokalspiele sowie Begegnungen der 2. Liga und der Regionalliga verschoben haben. Der Verdacht konzentrierte sich unter anderem auf das Pokalspiel zwischen dem Hamburger SV und dem Regionalligisten SC Paderborn, das der Drittligist aus Ostwestfalen überraschend mit 4:2 gewonnen hatte. Eigene Gesetze im Pokal hin, Überraschungen her – die beiden Elfmeter für Paderborn und der Platzverweis für Hamburgs Emile Mpenza waren ein Witz. Die Hamburger sprachen ganz offen davon, betrogen worden zu sein, aber natürlich glaubten weder sie noch die Zuschauer daran, dass dahinter System steckte.

      Als die Verdächtigungen publik wurden, legte Robert Hoyzer umgehend sein Amt nieder, nahm sich aber gleichzeitig einen Anwalt. Der Herr namens Dr. Stephan Holthoff-Pförtner warf dem DFB vor, die Vernehmung Hoyzers sei keine Untersuchung, sondern eine »Hinrichtung« gewesen. Ich war zwar persönlich nicht dabei, aber ich fand es mehr als verständlich, dass die DFB-Verantwortlichen alle Möglichkeiten ausreizten, um diesem Verbrechen am Fair-Play-Gedanken und der Glaubwürdigkeit des Sports auf die Spur zu kommen, auch wenn anfangs ganz eindeutig »im Zweifel für den Angeklagten« gegolten hat.

      Robert Hoyzer war nämlich unverfroren genug, zunächst noch öffentlich und nachdrücklich seine Unschuld zu beteuern – bevor er am 27. Januar 2005 dann doch ein Geständnis ablegte. Er räumte ein, Geld für die Manipulation mehrerer Spiele erhalten zu haben, und versprach gleichzeitig, die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und DFB zu unterstützen. In einer unwürdigen und unglaubwürdigen Inszenierung versuchte sich Hoyzer schon Anfang Februar 2005 bei einem TV-Auftritt bei den deutschen Fußballfans medienwirksam zu entschuldigen. Aber damit war die Sache zum Glück noch längst nicht vom Tisch.

      Der DFB hatte nämlich bereits die Polizei eingeschaltet, und schon einen Tag nach dem Geständnis untersuchten Beamte das berüchtigte Café King in Berlin-Charlottenburg. Denn inzwischen war klar geworden, dass der »Unparteiische« alles andere als ein Einzeltäter war. Vielmehr entpuppte er sich auch als Marionette des Profizockers Ante Sapina. Hoyzer und Sapina hatten sich in dem Zockercafé kennengelernt und waren bald zu Kumpels geworden. Man wird wohl nie klären, ob Hoyzer den Kroaten auf die Idee brachte, Spiele zu verschieben, oder ob Sapina den Schiedsrichter anstiftete. Beide behaupten jedenfalls genau das Gegenteil von dem, was der andere versuchte darzustellen.

      Einig waren sie sich nur darin, dass Hoyzers Kollege Dominik Marks ebenfalls an der Manipulation von Spielen beteiligt war. Es war Hoyzers Aufgabe, gegen eine von Sapina ausgesetzte Prämie weitere Schiedsrichter anzuwerben für das miese Spiel. Marks machte mit, während andere wie Torsten Koop sich verweigerten und wieder andere wie Jürgen Jansen offensichtlich zu Unrecht verdächtigt wurden und noch eine ganze Zeit lang unter den Verdächtigungen zu leiden hatten. Auch Koop wurde schließlich noch vom DFB suspendiert,

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