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um Kapitän Ciriaco Sforza warf dem Trainer »Diktatur, Konzeptlosigkeit und fehlende Strategie« vor. Der Vereinsvorstand setzte sich mit den verfeindeten Parteien an einen Tisch und erreichte eine Art Burgfrieden. Erstmals in seiner Trainerlaufbahn musste Otto Rehhagel in einem Konflikt klein beigeben: »Der Demokrat in Rehhagel hat den Diktator besiegt«, schrieb die »Frankfurter Rundschau« damals. Nahezu erwartungsgemäß verschlechterten sich nun auch die Resultate. Zwar war die Saison 2000/01 noch jung, und von akuter Abstiegsnot konnte man wirklich nicht reden. Aber die Chemie zwischen Mannschaft und Trainer hatte entscheidend gelitten. Nach einem 1:1 gegen Energie Cottbus war im Herbst 2000 die Ära Rehhagel in der Pfalz beendet. Und doch wird sie in der Geschichte des Vereins immer ihre glorreiche Ausnahmestellung haben.

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      Die große Zeit der »Fohlen«

      Wie Netzer, Heynckes und Co.die Fußballwelt verzauberten

      Bei uns in der Straße haben sie alle gespielt, die großen Stars des deutschen Fußballs. Denn da traten tagtäglich nicht nur Klaus, Olaf und Gerhard gegeneinander an, sondern, wenn wir dem Ball nachjagten, dann schlüpften wir gleichzeitig auch immer wieder gern in die Rollen unserer fußballerischen Vorbilder. In den siebziger Jahren gab es ab und zu sogar ein bisschen Streit, denn fast jeder wollte einer aus der legendären »Fohlen-Elf« von Borussia Mönchengladbach sein. Diese Mannschaft von Trainer Hennes Weisweiler hat uns alle total begeistert durch ihren mitreißenden und erfrischenden Fußball. Man konnte gar nicht anders, als Fan der »Fohlen« zu sein, so rasant haben sie nach vorne gespielt. Alles an dieser Mannschaft wirkte so spielerisch leicht und locker.

      Lauter kleine Netzers

      Besonders angespornt hat uns völlig überraschend der »Fellini« dieses schwungvollen Ensembles, Günter Netzer, der Regisseur. Wir wollten so spielen wie er, wir wollten auch aus der »Tiefe des Raumes« kommen – selbst wenn bei uns zwischen den provisorischen Toren auf der Straße kaum Raum, geschweige denn die Tiefe desselbigen vorhanden waren. Wir hätten liebend gern so elegant und brillant den Ball verarbeitet. Wir träumten davon, solche Pässe schlagen zu können (und schon deshalb auch so wenig laufen zu müssen wie er) und diese wunderbaren, viel umjubelten Tore zu schießen. So aussehen wie er – das wollten wir nicht! Die Vorstellung, diese langen verschwitzten Haare ständig bei jeder Bewegung im Gesicht und im Mund zu haben, war schon damals nicht wirklich verlockend. Aber so cool und rebellisch rüberkommen wie Günter Netzer damals mit seiner langen Mähne, nichts darauf zu geben, was die anderen sagen, sondern selbstbewusst sein eigenes Ding zu machen, das war natürlich schon verlockend. Und einen Ferrari, den ich nur zu gut aus meinem Sportwagen-Quartett kannte, hätte ich auch nicht abgelehnt.

      Aber all das schien für uns dann in Wirklichkeit doch unerreichbar. Wenngleich – ein kleines Stück Netzer gab es ja sogar zu kaufen. Leider stammte ich nicht aus einem reichen Elternhaus, in dem es so einfach möglich gewesen wäre, sich solche Luxusartikel sofort zu besorgen. Deshalb musste ich meinen Eltern schon sehr nachhaltig über Monate in den Ohren liegen, bis endlich der wunderbare Fußballschuh mit dem Aufdruck »Netzer« an meinen Füßen klebte. Natürlich war mein Auftreten damit ein ganz anderes. Zu Anfang zumindest. Aber dann merkte ich sehr schnell, dass mein Spiel sich durch diesen Materialvorteil leider überhaupt nicht verbesserte. Im Gegenteil: Das war damals ein Fabrikat der Firma Puma. Und das hatte, wenn der Schuh ein wenig zu groß war (und das war er natürlich immer, denn der sollte ja für die nächsten Jahre halten), den Nachteil, dass die Spitze sich immer ein wenig verbog, so dass es noch schwerer wurde, den strammen Spannstoß einigermaßen gerade durchzuziehen. Erst als mir ein Kumpel den Tipp mit den zwei Paar dicken Socken gab, war dieses Problem gelöst, wofür allerdings das »Fußspitzengefühl« in Mitleidenschaft gezogen wurde. Kurzum: Fußballerisch war es (unverständlicherweise) leider kein Quantensprung, aber das neue Equipment hatte trotzdem einen entscheidenden Einfluss auf meine bescheidene »Fußballerkarriere«, die bis heute anhält! Jetzt fühlte ich mich vollwertig und traute mich endlich, in einen richtigen Fußballverein einzutreten.

      Damit ist klar, dass Günter Netzer (auch wenn es mehr sein Schuh ist) entscheidenden Anteil daran hat, dass ich demnächst auch schon bald 50 Jahre überall, wo mich mein beruflicher Weg hinführt, in diversen Vereinsmannschaften der runden Kugel nachjage. Immer mit großer Begeisterung für diesen Sport und die verschiedenen Charaktere, mit denen der Fußball mich zusammenbrachte, aber leider nie annähernd so sehenswert wie das, was die »Fohlen« vom Niederrhein gezeigt haben.

      Wadenbeißer und Wasserträger

      Die sind als eine Art Mythos in die Fußballgeschichte eingegangen. Gleich mehrere Gladbacher Spieler dieser Zeit haben eine Weltkarriere hingelegt – zunächst als Spieler und viele von ihnen später auch als Trainer oder in anderen Funktionen. Neben Netzer natürlich »Wadenbeißer« Berti Vogts, an dem außer Johan Cruyff so gut wie kein Angreifer der Welt vorbeikam. Dann Jupp Heynckes, der nach drei Jahren in Hannover wieder nach Hause nach Mönchengladbach zurückkehrte und bis heute der drittbeste Torschütze der Bundesliga-Geschichte ist. Uns Jungs hat damals aber auch der unermüdliche Herbert »Hacki« Wimmer imponiert, weil er immer für zwei gerannt ist, bzw. rennen musste. Wimmer muss mittlerweile schon die eine oder andere Hüftoperation hinter sich haben, und deshalb ist Günter Netzer von Franz Beckenbauer einmal gefragt worden, ob er sich denn an den Arztkosten beteiligt hätte. Ein, wie ich finde, naheliegender Gedanke, auf den Netzer aber ziemlich entrüstet reagierte und die »Arbeitsteilung«, wie er es nennt, so erklärte: »Das war eine absolute Winwin-Situation damals, die ich dem ›Hacki‹ vorgeschlagen habe. Du bist doch so laufstark, habe ich gesagt, das müssen wir noch viel mehr nutzen. Du läufst, und ich spiele dir die langen Bälle zu!«

      In der Öffentlichkeit stand Wimmer aber mit dieser Strategie natürlich nicht so im Rampenlicht, sondern wurde als »Wasserträger« von Netzer bezeichnet. Das empfand ich auch gar nicht als so abwertend, nur irgendwann viele Jahre später hat dann ein Journalist daraus geschlossen, dass Netzer wohl immer einen »Wasserträger« braucht. Und dieses Mal hat er in Anlehnung an unsere Zusammenarbeit bei den Fernsehanalysen von Länderspielen mich gemeint. Da kam der Gedanke in mir hoch: »Irgendwie kein erstrebenswerter Markenname!«

      Hacki Wimmer jedenfalls war ein wichtiges Bindeglied dieser »Fohlen-Elf« und ist dann ja tatsächlich auch ohne Netzer Nationalspieler gewesen. Genauso wie Rainer Bonhof, der am Bökelberg zum Star gereift ist. »Ohne Weisweiler wäre ich wohl Amateur geblieben. Ich muss dem Schicksal dankbar sein, dass es mich zu ihm geschickt hat«, sagt der heutige Vizepräsident der Borussia. Mit dabei waren unter anderem auch Winfried Schäfer, Horst Köppel. Wolfgang Kleff und Uli Stielike. Und nicht zu vergessen diese unfassbar guten Dänen im Borussen-Trikot: zuerst der elegante Ulrik Le Fèvre, der übrigens das erste »Tor des Monats« der Sportschau geschossen hat. Später dann der quirlige Allan Simonsen, Europas Fußballer des Jahres 1977, und Henning Jensen. Gemeinsam mit Jupp Heynckes haben sie herausragende 58 Tore in der Saison 1974/75 geschossen.

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      Borussia Mönchengladbach gewann 1970, 1971 und 1975 unter Hennes Weisweiler die Deutsche Meisterschaft, 1973 den DFB- und 1975 den UEFA-Pokal. Unter Udo Lattek, der Weisweiler im Sommer 1975 ablöste, kamen 1976 und 1977 noch zwei weitere Meisterschaften sowie der zweite Gewinn des UEFA-Cups 1977 hinzu. Die siebziger Jahre waren geprägt von dem Zweikampf zwischen den Bayern aus München und den Gladbacher »Fohlen«. Von zehn möglichen Meistertiteln holte die Borussia deren fünf, die Bayern drei. Die Wochenzeitung »Die Zeit« schrieb damals: »Borussia stand für Frische, für Elan, Mut und Lebensfreude. Dagegen spielten die Münchner konservativ und verkörperten den Konservativismus, inklusive des Miefs und der Bräsigkeit der fünfziger, sechziger Jahre.« Das halte ich dann doch für reichlich überzogen, aber zweifelsfrei hat Mönchengladbach damals den attraktiveren Fußball geboten, was sogar Uli Hoeneß später einmal freimütig zugeben musste. Aber Hoeneß wäre nicht Hoeneß, wenn er nicht auch gesagt hätte: Die erfolgreichere Mannschaft war der FC Bayern. Die Münchner gewannen von 1974 bis 1976 dreimal

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