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erteilten Rüffel. Der Verschwender und arbeiten! Obendrein in einer Fabrik. Das sei dasselbe, als wolle man das Brandenburger Tor in die Lindenpassage schieben, oder aus der Siegessäule einen Pfeifenanstecker machen.

      So meinte Herr Seifenhändler Musdal.

      „Nee, nee, so wat jibts ja jar nich. Een Armeekorps uff’n Brummtriesel ruffkriegen, — det wär ’ne Kleenigkeit dajejen ... Habt ihr ibrijens jehört: der ew’je Studente. So war’t richtig. Der soll man bei det Fach bleiben.“

      So sprach Herr Seifenhändler Musdal weiter.

      Und als er eine Lachsalve dafür empfangen hatte, so dass der Korridor davon erdröhnte, schritt er der Verwandtschaft voran, würdevoll und erhobenen Hauptes, so wie jemand, dessen Meinung nicht zu erschüttern ist. Und beim Anblick des Justizrates zog er zwar tief, aber doch mit einem Lächeln die Trauertonne, als wollte er sagen: Wir sehen uns bald zur Abrechnung.

      Und als er schon ein paar Schritte weiter war, schallte seine quakende Stimme noch zurück: „Nu is de Hauptsache: Abschrift von’s Testament für jeden.“

      Frau Tempel und Sohn mussten dann noch ein paar Augenblicke verweilen, weil der Justizrat ihnen den zweiten Testamentsvollstrecker, Herr Hagedorn, vorstellte, einen bartlosen, sehnigen Mann, der sich die Leute immer erst anguckte, bevor er mit ihnen sprach.

      Schon drinnen im Saal, als er, den unzertrennlichen Regenschirm in der Hand, am Fenster stand, hatte er alle Erben mit feindseligen Blicken betrachtet, so mit Gendarmenaugen, als wollte er sagen: „Hier steht einer, der passt auf, verlasst euch darauf.“ Und ganz besonders schien er Waldemar Tempel damit zu treffen. Dann rieb er sich jedesmal die mächtige Nase, was eine Angewohnheit von ihm war, und schnupperte in der Luft herum. Auch wenn er dem Justizrat sein fades Lächeln unter den dünnen Lippen zeigte, kam diese stille Feindschaft zum Ausdruck, denn er hatte ihn einmal als Prozessgegner gehabt, was er noch nicht vergessen hatte. Und weil er überdies ein Feind aller Advokaten war, so lautet sein fortwährender Gedanke: Wir beide werden bald zusammenkommen.

      Nun nickte er wieder, als Waldemar zu ihm sprach, der ihn natürlich kannte. Und schliesslich quirlte er ein paar Worte hervor: „Is’ n bisken happig die Bestimmung, was? Na, der Lohn is auch danach. War ’n Schlaukopp, der olle Onkel Karl. Die Gemeinde draussen macht drei Kreuze.“

      Er hätte gern noch mehr gesagt, um seine Autorität als Testamentsvollstrecker hier gleich festzustellen, aber Frau Rührmund, die langjährige Wirtschafterin des Verblichenen, eine breithüftige, schon angejahrte Person mit gutmütigem Gesicht, einen mächtigen Trauerhut auf, von dem die Federn wie schwarze Fahnen herabhingen, trat auf sie zu und beglückwünschte durchaus ernst den jungen Tempel. Sie war mit einer anständigen Summe bedacht worden, hatte die ganzen Möbel bekommen und war damit zufrieden.

      Der Neid lag ihr überhaupt fern. Das sei doch nicht so schlimm, einmal derbe zu arbeiten, meinte sie. Der alte Onkel habe es jedenfalls nur gut gemeint. Sie würde sich zehn Jahre lang ans Waschfass stellen, von früh bis spät, wenn es sich um so viel Asche handelte; oder gar in die Unterwelt gehen. Und sie fügte hinzu, dass der alte Herr Tempel sie in letzter Zeit öfters zu Rate gezogen habe, und dass sie immer bereit gewesen sei, ihn zu Gunsten seiner Verwandten umzustimmen. Ganz besonders habe sie dabei an den jungen Herrn gedacht. Und sie nannte dessen Mutter „Gnädige Frau“ und bat, man möchte doch herauskommen nach Schmargendorf und sich zum Andenken aussuchen, was man wolle. Es sei das auch der Wunsch des Verstorbenen gewesen. Der Tod mache doch alles wieder gut, nicht wahr?

      Frau Tempel war sehr gerührt davon und bat sie, bei Gelegenheit zum Kaffee bei ihr zu erscheinen. Das offene Wesen dieser einfachen Frau gefiel ihr umso mehr, da sie zuerst etwas anderes hinter ihrer Miene gewittert hatte.

      Rentier Anton Hagedorn hatte der Gruppe sofort den Rücken gekehrt, denn erstens behagte ihm diese rasche Intimität nicht, zweitens hatte er für die Rührmund nie viel übrig gehabt, und drittens ärgerte er sich, dass ihre Gedanken über die Testamentsklausel sich mit den seinigen deckten. Er wäre auf seinen Stockbeinen bis nach Paris gelaufen und würde dazu Gras gefressen haben, wenn man es verlangt hätte, er, Gottlieb Anton Hagedorn, früher Ackerwirtschaftler in Schmargendorf, jetzt Villenbesitzer ebenda, Grosskonteninhaber der Deutschen Bank, Schwiegervater eines Oberleutnants und eines Amtsrichters. Aber bei der Aussicht auf dreimalhunderttausend Mark, ein grosses Mietshaus in Berlin und eine Zwölfzimmer-Villa da draussen, — da riss man sich schliesslich noch ein Bein aus.

      Dieser alte Tempel war doch ein richtiger Esel gewesen, dass er nicht zum zweiten Male geheiratet hatte. Denn dann wäre der ganze Zimt doch wenigstens in der Familie geblieben und brauchte nun nicht von Drohnen geschluckt zu werden.

      Und sein Gendarmenauge ging noch einmal auf den Eventual-Universalerben zurück, denn die Parole hiess: „Aufpassen, immer aufpassen.“ Er wollte schon dafür sorgen, dass keine Durchstechereien getrieben wurden; denn das erforderte schon die Rache der leer ausgegangenen Schmargendorfer.

      Als Mutter und Sohn dann auf der Strasse waren, sahen sie die ganze Seitenlinie friedlich und wie beratend zusammenstehen.

      Auch Musikus Kladisch hatte seinen Künstlerstolz aufgegeben und stand nun wie ein Wegweiser mitten in der Gruppe, und zwar in wörtlichster Bedeutung, denn die Hand mit dem aufgeblasenen Schirm wies geradeaus nach einer Kneipe gegenüber.

      „Anfechten, jleich anfechten,“ quakte Seifenhändler Musdal hervor, ohne zu ahnen, dass die Nachkommenden diese Worte hören könnten.

      Bureauvorsteher Fiebig aber, der erst in letzter Minute erschienen war, ein intelligent aussehender Mann mit Kneifer und aufgewichstem rotem Schnurrbart, warf überlegen ein: „Jibt’s ja jar nich, bei solchen klaren Bestimmungen. Aber einen Schoppen trink’ ich mit.“

      „So? Wenn er verrückt war?“ beschwerte sich gleichsam Musdal bei der ganzen Gemeinde. „Und det war er doch. Komplett.“

      Aber Herr Fiebig im Bewusstsein seiner Rechtserfahrung, zuckte nur mit den Achseln, spannte seinen Regenschirm auf und eilte über die Pfütze hinweg dem Lokal zu. Denn er hatte Durst.

      Und die übrigen folgten ihm wie hüpfende Riesentrauervögel.

      „Die werden uns etwas zu schaffen machen,“ sagte Frau Tempel zu ihrem Sohne.

      „Lass’ sie doch“, erwiderte Waldemar heiter.

      Sein Plan war bereits gefasst.

      III.

      Und nun wunderte sich Waldemar Tempel, wie leicht ihm der erste Schritt geworden war. Aber je mehr er sich wieder dem heiteren Westen näherte, je stärker kam ihm das stille Grauen vor dem Joch da draussen. Nicht die Arbeit schreckte ihn, denn etwas Ernstes hätte er nun doch treiben müssen, aber das Ausgeben der persönlichen Selbstbestimmung, das verfluchte Muss, das Einschirren in die früh geöffnete Tretmühle, denn er war gewöhnt daran, lange zu schlafen und sich die Zeit nach Wunsch einzuteilen.

      Dieser Meinung war auch seine Mutter, als sie sich bei Tisch gegenübersassen in dem noch immer eleganten Heim in der Geisbergstrasse, in einem der Häuser, das noch der selige Architekt erbaut hatte. Während der letzten zehn Jahre hatten sie in diesem sogenannten bayerischen Viertel die Rolle von Trockenbewohnern gespielt, das heisst: sie hatten sich in jedem vollendetem Neubau des Alten stets zuerst festgesetzt, damit Gardinen an die Fenster kämen, und zwar so lange, bis das Haus in anderen Besitz übergegangen war und ein Einzug in die neueste, noch feuchte Schöpfung des genialen Häusererzeugers winkte.

      „Verzichte auf alles und nimm die fünftausend Mark, dann wird’s auch gehen,“ sagte sie mit ihrer ewig klagenden Stimme, und begann sofort, ihre Pläne daran zu knüpfen. Man werde sich zum ersten Januar, da man doch ziehen müsse, eine Wohnung in der Nähe des Zoologischen Gartens nehmen und ein Pensionat für Ausländer aufmachen, das bei guter Haushaltung sicher florieren werde. Dann würde sich auch wohl etwas für ihn finden, und wenn nicht anders, könne er ja einen Teil des Legats zu irgend einer Kaution benutzen.

      Waldemar wurde ungemütlich.

      „Das sprichst du wieder so hin, liebe Mama — in deiner Sorge um mich. Pensionate gibts hier wie Sand

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