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wäre.

      Seit einiger Zeit jedoch zeigten sich bei Lüssi gewisse Verstimmungen, die Waldemar darauf zurückführte, dass ein Vetter von ihr, ein schneidiger, blonder Assessor aufgetaucht war, der sich von Hannover nach Berlin hatte versetzen lassen, um hier, protegiert vom lieben Onkel, in den höheren Verwaltungsdienst überzugehen. Und Tantchen lobte ihn über die Massen, denn —: man konnte nie wissen, „wie, wo und wann“. Ganz besonders erwog sie das seit dem Tage, da gewisse Nachrichten über den heimlich Versprochenen sie sehr unruhig gestimmt hatten. Sie liess sich aber nichts merken, denn als geschickte Spielerin gab sie die eine Partie nicht auf so lange sie die Chancen der anderen nicht kannte.

      „Na, du strahlst ja wieder,“ sagte Waldemar, als Lüssi ihn nach seinem bekannten Klingelzeichen in dem kleinen Vorsalon mit Beschlag belegt hatte.

      Er hatte schon im Entree an der Garderobe gemerkt, dass der Strohblonde wieder anwesend war, und dass die Unterhaltung am Kaffeetisch sehr laut geführt wurde.

      „Sei doch nicht wieder ungemütlich. Es ist schon genug, wenn Papa schlecht gelaunt ist.“

      Und um ihn zu beruhigen, schlang sie die vollen Arme um seinen Hals und gab ihm seine Küsse dreifach zurück. Diese kleinen Vorschüsse auf die Seligkeit steckte sie stets mit Wonne ein und zwar mit geschlossenen Augen, bevor sie sich wieder zusammennehmen musste.

      „Du, hör mal, — nachher hab’ ich etwas Wichtiges mit dir zu reden,“ sagte sie dann plötzlich.

      „Ich auch.“

      Sie lachte. „Das trifft sich ja gut. Hoffentlich ist’s was Gutes.“

      „Na, so halb und halb. Jedenfalls nicht zu verachten“.

      „Du, dann bin ich aber wirklich neugierig. Kann ich’s nicht gleich wissen?“

      „Das würde zu lange dauern. Und was sollte dein Vetter dazu sagen?“

      Zur Strafe riss sie ihn an den Ohren. Dann warf sie rasch einen Blick in den Spiegel, drückte ihr Haar glatt und zog ihn mit fort.

      Hinten im Speisezimmer, das zugleich auch das Familienzimmer war, sass Assessor Lönge und liess sich von der Frau Geheimrat gerade eine neue Tasse einschenken. Er hatte ein volles Gesicht mit weichen Zügen, in dem der helle, gestutzte Schnurrbart nur wenig abstach, um so mehr aber die saftigroten Lippen, und trug das glänzende, etwas gewellt aufliegende, hinter dem Ohr nach vorn gestrichene Haar in der Mitte tadellos gescheitelt.

      Sofort erhob er sich und begrüsste Tempel freundlich, obgleich seine lichtgrauen Augen nur auf seiner schönen Cousine haften blieben. Immer war er artig und zuvorkommend, der von oben bis unten geschliffene Mensch, den man von allen Seiten betrachten konnte, ohne dass ein Stäubchen der Inkorrektheit aufgefallen wäre. Das ärgerte den burschikosen Tempel, der niemals recht wusste, wo er da die Bürste ansetzen sollte.

      Der Geheimrat brauchte sich nicht erst zu erheben, denn nervös und gedankenzerzaust, wie er war, ging er bereits im Zimmer umher und liess die Beine knacken, dabei die Hand immer an dem langen, schön gepflegten, schon stark mit Grau, durchsetzten Hängebart, der von den dünnen Fingern zeitweilig wie von einem Kamm bearbeitet wurden. Herr Reimer war gross und geschmeidig und unstreitig ein schöner Mann, auch mit einem heiteren Blick, obwohl ihm der hornberänderte Kneifer zuerst etwas Durchdringend-Prüfendes gab, so einen Stich in Staatsanwaltliche. Alle Illusionen schwanden aber, sobald er sprach, denn seine Stimme hatte einen heiseren, geborstenen Klang, der namentlich in der Erregung etwas Bellendes bekam, wobei seine vorgesetzte Exzellenz manchmal eine Gänsehaut überlief. So liess er seine Frau lieber sprechen, die, urgesund und wohlbeleibt, sich durch nichts in ihrer Ruhe stören liess. Wo sie sass, da sass sie.

      Nun ging sie aber doch dem zukünftigen Schwiegersohn auf halbem Wege entgegen. Sie erkundigte sich sogleich nach dem Befinden seiner Mama und machte ihm sanfte Vorwürfe, dass er sich gestern nicht habe sehen lassen, was man gar nicht mehr gewöhnt sei.

      Tempel entschuldigte sich mit Geschäften und nahm mit seiner heimlichen Braut am Tische Platz, wobei Lüssi sich ihrem Vetter gerade gegenüber setzte, was Assessor Lönge mit stiller Wonne erfüllte. Er spielte denn auch sofort den Aufmerksamen, wobei sich seine lichtgrauen Augen verstohlen in das schwimmende Emaille unter den langen Wimpern der koketten Cousine versenkten, was sie wohlverstand. Ihr Trost blieb: Es ist ja doch nur Spielerei, und weshalb soll ich dem guten Jungen die Freude nicht gönnen. Überdies war sie an verliebte Blicke gewöhnt, und es hätte ihr etwas gefehlt, wenn ein kecker Schelm sie damit nicht bedacht haben würde.

      „Na, haben Sie schon eine neue Wohnung?“ fragte die Frau Geheimrat dann, nachdem man gemütlich beisammen sass.

      „Es wird sich dieser Tag entscheiden,“ redete sich Tempel aus, der schon seit einer Woche nicht wusste, wie er sich zu dieser Angelegenheit verhalten sollte. Denn bis jetzt hatte er sich gescheut, von dem Testament des Schmargendorfer zu sprechen, wie er überhaupt, auch bei Lebzeiten des Onkels niemals von ihm gesprochen hatte. Schon aus taktischen Gründen nicht.

      „Dann wird es aber Zeit, dass Sie zu einem Entschlusse kommen,“ sagte die Mama wieder, die eine derartige Saumseligkeit nicht begriff. Sie hatte von Tempel gehört, dass man das Haus verkauft habe und von nun an zu Miete wohnen würde. Hinzu kam noch etwas anderes, das sie aber in Gegenwart ihres Neffen nicht berühren wollte.

      „Werden Sie in Ihrer Gegend bleiben?“ meldete sich nun auch der Geheimrat, der sich aus Anstand wieder auf ein paar Minuten gesetzt hatte. Durch sein Augenglas ging sein Blick herausfordernd auf den künftigen Schwiegersohn.

      „Herr Tempel ist für die Gegend am Zoo, er sprach doch schon neulich davon,“ mischte sich Lüssi hinein, schlug aber die Augen nieder, denn sie wusste, was hinter alledem steckte.

      Ihr Herr Papa hat sehr viel gebaut, wie ich gehört habe,“ sagte nun auch Assessor Lönge.

      „Ganze Strassen,“ renommierte Frau Geheimrat darauf los.

      „Das muss Pinke gegeben haben,“ sagte der Assessor wieder ungeniert und nahm sich ein Stückchen Kuchen vom Teller, weil Lüssis weisse Finger gerade ebenfalls danach langten.

      Waldemar Tempel nickte verbindlich nach beiden Seiten, allerdings mit etwas beengtem Gemüt; denn erstens fühlte er sein Gewissen schlagen, und zweitens kam ihm diese Stimmung etwas sonderbar vor: schwül und bedrückend, trotz des freundlichen Getues. Ausserdem gefiel ihm die Miene des Alten nicht. Er sass seitwärts da, ein Bein über das andere geschlagen, liess die Finger über den Bart gleiten und lächelte verdächtig.

      „Werden Sie die Baufirma Ihres Papas wieder aufnehmen? fragte er wieder.

      Da hielt es Tempel für angezeigt, mit einem Teil der Wahrheit herauszurücken, um in keine zu schiefe Lage zu kommen. Und, indem er die Frage des Alten offen liess, wandte er sich an die Mama: „Übrigens wollen wir nur vorübergehend zur Miete wohnen. Im Winter werden wir unser Haus in der Nachodstrasse beziehen, und im Sommer werden wir wohl in unserer Villa in Schmargendorf wohnen. Oder ganz, wie Lüssi es wünscht.“

      Assessor Lönge riss die Augen auf und beobachtete seine Cousine, die die Farbe wechselte und heftig Atem schöpfte, ohne jedoch den Blick von ihrer Tasse zu heben. Und dabei verschlang er wieder ihren weissen Hals und alles das, was sich in dem spitzen Kleidausschnitt zeigte.

      „So, so,“ warf Frau Reimer überrascht ein, sah aber ihre Tochter bedeutungsvoll an.

      Ihr Mann jedoch hatte plötzlich genug davon. Er erhob sich wieder, liess beim Umhergehen aufs neue die Beine knacken und entschuldigte sich dann damit, dass er noch wichtige Dinge in seinem Arbeitszimmer zu erledigen habe. Mochten Frau und Tochter diese Lügen aufdecken, er fand zu solchen Dingen nicht den Mut, denn seine Nervosität hatte ihn furchtsam gemacht. Er hatte genug mit seinen staatlichen Dingen zu tun. Ausserdem war heute sein Abend bei Siechen, und da wollte er sich in Ruhe bei den Akten, die er sich ins Haus hatte schicken lassen, darauf vorbereiten.

      Das Pärchen ging dann in den Salon, wo ein alter Stutzflügel stand.

      Es begann schon zu dunkeln, und so zündete Lüssi rasch ein paar Flammen der Gaskrone an. Und dabei sah sie durch

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