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getrieben, diesen Beruf als Kellner in Berlin fortgesetzt, wodurch er mit seinen Angehörigen zerfiel und schliesslich von seinem Vater enterbt wurde. Das hatte ihn zwar gegen die ganzen Tempels verbissen gemacht, ihm aber die Zähigkeit nicht genommen — im Gegenteil ihn erst recht dazu getrieben, zu zeigen, was er könne. Mit seinen Ersparnissen kaufte er eine kleine Gastwirtschaft im stillen Schmargendorf, noch zur Zeit, als ein Ausflug nach dort einer Landpartie gleichkam. Er besass billig erworbenes, ausgedehntes Land, das er nun, als die Berliner sich in Scharen draussen ansiedelten, mit hohem Gewinn an den Mann zu bringen verstand. Schliesslich hatte er so viel verkauft, dass er sich zur Ruhe setzen und die Gastwirtschaft einem anderen überlassen konnte.

      Nun, da er sich „Rentier“ nannte, zeigten die nächsten Verwandten, ganz besonders sein „lieber Bruder“ der Architekt, die Neigung, ihn wieder in Gnaden, mit offenen Armen, aufzunehmen. Jetzt wollte er aber nicht, denn natürlich witterte er nur Erbschleicherei dahinter. Und so verkapselte er sich diesen Hoffenden gegenüber immer mehr in seine Unnahbarkeit.

      Das hinderte ihn aber nicht daran, besonders zur Zeit, als er noch Gastwirt war, die entfernteren Verwandten, die „Seitenlinie“, wie er sie nannte, mit viel Freundlichkeit zu empfangen, wobei er seine Scherze und Witze bereit hatte. Dann drückte er jedem die Hand, liess ihn im besten Glauben, der allein Bevorzugte zu sein, strich aber mit Vergnügen die Zeche ein.

      Eine kurze, unglückliche Ehe, die er als gereifter Mann mit einem jungen Ding aus Berlin eingegangen war, hatte ihn später menschenscheu gemacht. Man erzählte sich, dass er nur acht Tage verheiratet gewesen sei, und dann schon Gelegenheit gehabt habe, auf Scheidung zu klagen. So hatte er also keinen direkten Leibeserben, und es war erklärlich, dass ihm, je älter er wurde, der Gedanke an seine Hinterlassenschaft Kopfschmerzen verursachte.

      Mehrfach hatte er sein Testament umgestossen. Zuerst war Schmargendorf mit dem grössten Teile seines Vermögens bedacht worden, denn er hing mit Liebe an der Scholle. Ein grosses Krankenhaus sollte gebaut werden. Dann aber bekam er Streit mit dem Gemeindevorstand, dem obendrein noch eine böse Auseinandersetzung mit dem Landrat folgte. Und so schwur er sich hoch und teuer, seinen lieben Ortsnächsten keinen Pfennig anzutun. Die sollten froh sein, ihn in ihrer Mitte gehabt zu haben, schon wegen der grossen Portionen, die er ihnen als Gastwirt verabreicht hatte.

      Seinen einzigen Bruder, noch bei dessen Lebzeiten als Haupterben einzusetzen, wie es ihm, einer besseren Regung folgend, einmal einfiel? Nein. Der hätte längst selbst ein hübsches Vermögen haben können, wenn er sich nicht in unglückliche Bauspekulationen eingelassen haben würde, die ihn grössenwahnsinnig machten. Ausserdem hatte er sich immer für etwas Besseres gehalten und am meisten gegen ihn beim Vater gehetzt. Der Lohn war zwar nicht ausgeblieben, indem der Alte das hübsche Vermögen seinem einzigen Enkel Waldemar vermacht hatte, der es dann nach seiner Grossjährigkeit hübsch unter die Leute zu bringen verstand.

      Es hätte auch der Fall eintreten können, dass die ganze bewegliche und unbewegliche Habe als Niessbrauch in die Hände der Frau Architekt übergegangen wäre, — na, und die hatte er, Friedrich Ludwig Karl Tempel, erst recht im Magen, obgleich sie ihm persönlich niemals etwas Schlimmes zugefügt hatte. Aber sie stammte aus adeliger Familie, wenn auch aus einer verarmten, und so war es wohl anzunehmen, dass sie sich erst recht als etwas Besseres vorkam, und den „Kellner“ am wenigsten vergessen konnte.

      Somit blieb nur noch einer der Allernächsten, und das war „Musjö Waldemar“, das liebe, verzärtelte Muttersöhnchen, dem man schon seit der frühesten Kindheit alles nachgesehen und das man immer als Wunderkind ausposaunt hatte. Hatte sich was mit dem Wunderkind! Wunder erweckte er zwar, aber immer in anderem Sinne: bei den Leuten, die die Hände über den Tunichtgut zusammenschlugen und die Frage aufwarfen: „Was wird das einmal werden?“ Na, und es wurde ja auch so allmählich etwas aus ihm: ein Talent mit Ärmeln“, wie der Berliner zu sagen pflegt. Poussierstengel und Kneipier. Schon mit sechzehn Jahren, als er kaum flügge geworden war, immer „mang die Mächens“. Dann, als er anfing, Student zu werden, eine rote Mütze auf und ein buntes Band über die Weste. Und nun immer mehr bei den Schänkmamsells als auf der Universität. Mit dem Jus ging es aber nicht lange, denn das war ihm selbst gegen den Strich. So kam denn der „Kunststudent“ heran, der damit endete, ein wenig in den Ateliers des Vaters herumzuschnüffeln, um wenigstens Zeugnis vom Geborensein abzulegen. Und baute mit und nannte sich Architekt.

      Und doch hatte Friedrich Ludwig Karl in seinem Herzen gerade für diesen etwas übrig, wenigstens mehr, als für alle übrigen. Das hing mit dem gutartigen Wesen des Jungen zusammen, in dem nichts von dem Dummstolz seines Vaters enthalten war. Viel Natur, so wie er. Fast fand er etwas Verwandtes darin, soweit er an seine eigene Jugendunstätigkeit dachte. Nur dass er, der Onkel, frühzeitig durch die Schule des Lebens gegangen war und sich dadurch wiedergefunden hatte aus Trotz gegen die eigene Sippe. Dem Neffen stand das vielleicht noch bevor, wenn erst das liebe Mamachen das Zeitliche gesegnet haben und er mit ganz leeren Taschen dastehen würde.

      Auch war Waldemar der Einzige, der manchmal zu „Onkel Karl“ hinauspilgerte, schon damals, als er noch das schöngelegene Lokal mit dem schattigen Garten hatte. Als junges Bürschchen zog er da hinaus und schleifte einen Haufen gleichalteriger Freunde mit, die dann alles auf den Kopf stellten. Dann kam Leben in die Bude, so dass Onkel Karl sich selbst wieder jung fühlte, mitlachte, dann einen heimlichen Seufzer tat und bei sich dachte: Wenn’s meiner wär’, ich wollte schon etwas aus ihm machen. Er pumpte ihm sogar hin und wieder einen Taler, immer mit dem Refrain: „Wiedersehn macht Freude.“ Als dann Waldemar jedesmal den Taler wiederbrachte, nahm er ihn zwar an, schenkte ihn ihm aber wieder. Denn in dem Worthalten des Jungen erblickte er einen hübschen Zug. Es steckte also doch so etwas wie ein guter Kern in ihm. Die Eltern hatten ihn bloss anfaulen lassen. Es freute ihn dann auch, dass der Neffe, älter geworden, immer noch hinaus nach Schmargendorf kam und ihm seinen Krankenbesuch machte, stets mit derselben Redensart: „Du, Onkel Karle, ich komme nicht von wegen Riecherei, ob du bald abschiebst. Vermachen tust du mir ja doch nichts.“

      Und der Griesgram erwiderte so mit verärgerter Miene: „Ich euch Bande was vermachen? Nich ’ne alte Serviette, die doch früher mein Handwerkszeug war.“ Denn in die Freude über den Besuch mischte sich doch das Misstrauen, dass Waldemar nur gekommen sein könnte, um auf den Busch zu schlagen.

      „Nein, nein, diesem leichtlebigen Burschen konnte er auch nicht das schwer erworbene Geld in den Schoss schütten, so angenehme Eigenschaften er auch hatte, ganz besonders die, die „Seitenlinie“, worunter sich einige Musterexemplare befanden, als „Ausschussware“ zu bezeichnen.

      Die schönen dreihunderttausend Mark auf der Bank, das schöne Haus in Berlin und die schöne Villa in Schmargendorf! Friedrich Ludwig Karl Tempel, der im Stillen eine offene Hand hatte, kam darüber nicht ins Reine mit sich. Zwei Gewalten kämpften andauernd in ihm: der Schmerz der Trennung vom Besitz und der Gedanke an die Einzig-Würdigen. Der grosse Zug für allgemeine Wohltätigkeit fehlte ihm ganz besonders seit dem Krach mit seiner Gemeinde. Staatliche und städtische Einrichtungen waren seiner Meinung nach überhaupt nur da, um die Steuerzahler zu ärgern. Dann schon in den sauren Apfel beissen und dem besten aus der Sippe den Tanz an seinem Grabe gönnen. Dieser Hader mit sich selbst raubte ihm die letzte Lebensruhe, so dass er gelb vor Ärger wurde.

      Da, als er vernommen hatte, dass die runden Taler seines seligen Vaters bei dem Musjö Waldemar immer spärlicher rollten und er annehmen durfte, dass das liebe Mamachen darunter zu leiden beginne, und als ihm dann sein Magenleiden auch den letzten Appetit raubte, er immer mehr zusammenklappte und in visionären Stunden den Mann mit der Hippe in der Ferne schrittweise aber sicher herankommen sah, — da raffte er sich zu einem letzten Entschluss auf, wie ihn zusammenbrechende Kraftmenschen oftmals zeigen. Er liess seinen Rechtsberater, den Justizrat Dietzel, zu sich bitten, liess von ihm seinen letzten, unumstösslichen Willen aufsetzen, ernannte ihn und seinen Freund Hagedorn, auch so einen verflixten groben Kerl in Schmargendorf, zu Testamentsvollstreckern, und legte sich an diesem Tage zum ersten Male ruhig schlafen. Aber bevor er zu träumen begann, lachte er sich seinen Galgenhumor aus, laut und herzhaft, und sein Selbstgespräch dabei war: „Die sollen die Platze kriegen.“

      Vier Wochen darauf war er tot.

      Und vierzehn Tage später fand an Gerichtsstelle die Testamentseröffnung statt, feierlich

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