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als spräche ihn eine gute Bekannte aus, und als müsste er sich plötzlich in die Unterhaltung mischen mit den Worten: „Wie geht es denn eigentlich der Teuren? Wollen Sie nicht die Güte haben, mich ihr bestens zu empfehlen?“

      Zum Glück ging Helmine, so dass er seine Haltung bewahren konnte.

      „Also grüss’ Mama, ich komme heute etwas später.“

      „Danke, Papa.“

      Zum zweiten Mal machte Tempel seine tadellose Verbeugung, und abermals erhielt er den Kopfnicker, der diesmal allerdings etwas kühl ausfiel. Aber mit Vergnügen sog er den kalten Veilchenduft ein, den sie nun beim Gehen wieder aufgescheucht hatte.

      Geiger nahm das Empfehlungsschreiben aus Tempels Händen entgegen, überflog es noch im Stehen und bat dann, wieder Platz zu nehmen. Und auch er setzte sich aufs neue, nunmehr bedeutend höflicher geworden, denn da schrieb ihm ein höchst ehrenwerter Mann, der Justizrat Dietzel, Königlicher Notar am Kammergericht, bekannt auch als Stadtverordneter, dessen persönlicher Begegnung hin und wieder er sich entsann, dass Herr Waldemar Tempel, Sohn des verstorbenen Architekten Reinhard Tempel und seiner Gemahlin Mathilde, geborene von Schmesow, nach einem „bedauerlichen Nichtstuerleben“ den zwar etwas sonderbar klingenden, aber erklärlichen und gewiss anzuerkennenden Wunsch hege, auf einige Zeit sein Heil in einer Fabrik zu suchen, um, entgegen seinen bisherigen Gewohnheiten, durch irgend welche ihm zusagende, aber durchaus harte Arbeit andere Anschauungen vom Leben und von der Welt zu bekommen. An diesem Entschluss sei nicht mehr zu rütteln, und so werde Herr Ferdinand Geiger freundlichst gebeten, dem „begabten und geistig hervorragenden“ jungen Mann, der auch sonst viel Liebenswürdigkeit besitze, bereitwillig sein Entgegenkommen zu zeigen.

      „Ist das nun wirklich Ihr Ernst?“ fragte Geiger, nachdem er den Brief noch einmal gelesen hatte.

      „Ich würde mich schämen vor Ihnen, wenn es anders wäre,“ erwiderte Tempel einfach.

      „Es liegen doch nicht etwa besondere Dinge vor, die Sie zwingen (er räusperte sich), auf solche Art die Flucht zu ergreifen?“

      Tempel glaubte ihn zu verstehen. „Ich habe weder im Gefängnis noch im Zuchthause gesessen,“ sagte er mit leichter Heiterkeit. „Natürlich bin ich auch noch nicht mit Ehrverlust ausgezeichnet.“

      Geiger lachte verlegen. „Nee, nee, das mein’ ich nicht, den Eindruck machen Sie nich,“ redete er sich aus, denn etwas Ähnliches hatte er sich gedacht. „Da hätte mir der Geheimrat wohl schon so’n kleinen Wink gegeben. Der wäre schliesslich dafür verantwortlich. So ganz neu wäre die Sache übrigens nicht.“

      Und er sprach davon, dass ihm der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener schon zweimal Leute zugeschickt habe, die sich ganz gut bewährt hätten. Natürlich habe von den Werkstattkollegen niemand etwas von deren Vergangenheit gewusst.

      Tempel sass mit brennendem Gesicht da, so wie ein Mensch, der eine heimliche Folter unverdient ertragen muss. Und um sich Luft zu machen, fügte er ernst hinzu: „Gestraft bin ich allerdings, aber nur durch meinen Lebenswandel, der mich so weit gebracht hat. Aber Sie werden mir wohl zugeben: bestraft hätten eigentlich diejenigen werden müssen, die mich erstens falsch erzogen haben, und zweitens mir frühzeitig zu viel Geld in die Hände gegeben haben.“

      „Das ist richtig,“ warf Geiger lebhaft ein. „Manchmal verdienen die Eltern noch im Grabe eins drauf. Entschuldigen Sie nur —: ich hatte nicht die Ehre, Ihren Herren Vater zu kennen, aber wenn Sie es selbst sagen ....“

      „Pardon, es war mein seliger Grosspapa, dessen Liebling ich war.“

      „Na, dann verdient der Grosspapa eins drauf. Vielleicht hat das Petrus schon besorgt ... Übrigens sagen Sie mal —: der Name Tempel ... Tempel ... Tempel. Da dämmert mir etwas. Mir ist’s so, als hätt’ ich da mal irgend was in der Zeitung gelesen: ’ne dolle Jeschichte von einem jungen Mann, der ’ne Korsofahrt mit zehn Droschken die Linden entlang machte. Am hellen, lichten Tage. In jeder sass’n Dienstmann. Nachher hat er allen ein Essen gegeben — in’n Zelten. Zaren Sie das vielleicht?“

      Waldemar Tempel nickte zustimmend. „Ich bekenne mich schuldig dieser Freveltat, die eine von meinen kleineren Sünden war.“

      Nante Geiger lachte wieder. „Mein Gedächtnis! Na, besser, als wenn’s welche aus den Amorsälen gewesen wären.“

      „Das sagte ich mir auch. Sie mögen daraus ersehen, Herr Geiger, dass ich schon immer etwas für das Volk übrig hatte. Um so leichter wird mir jetzt der Übergang auf das andere Geleis werden.“

      „Sie hatten wohl damals so’n kleenen Tick wej, wie?“

      „Ich schwamm in einem ganzen Meere von Ticks, bis ich eben auf dem Trockenen sass.“

      „Und dann kam der Katzenjammer.“

      „Und auch die Reue.“

      „Ja, die kommt immer, wenn’s zu spät ist,“ sagte Gei ger und sann einen Augenblick nach.

      Es ging ihm noch etwas im Kopf herum, das seine Bedenken wach hielt. Vor längerer Zeit war ihm nämlich ein Buch in die Hände gekommen, das den Titel, „Drei Monate Fabrikarbeiter“ führte, und worin irgend ein Schriftsteller, der sich als Arbeiter verdingt hatte, seine Erfahrungen zum besten gab. Wer konnte wissen, ob dieser junge Herr nicht eine ähnliche Absicht hatte und die vorgebrachten Dinge nur heuchelte. Der Schwindel in der Welt war gross. Es gab zwar bei ihm nichts zu „enthüllen“, immerhin aber hatte jede Fabrik ihre kleinen Geheimnisse, die man nicht gern an die grosse Glocke gebracht sah. Es war doch auffallend, wenn ein bisher verwöhnter Mensch, der sicher andere nützliche Dinge hätte treiben können, gerade Arbeiter werden wollte, ausgerechnet in seiner Fabrik. Und er machte kein Hehl aus dieser Ansicht und meinte, dass er sich die Sache noch sehr überlegen müsse.

      Tempel dachte einige Augenblicke nach, ob er Geiger sogleich mit der ganzen Wahrheit kommen solle, die fernab von dessen Vermutungen lag. Dann aber hielt er es für besser, darüber zu schweigen, was ihm um so leichter wurde, da dem zukünftigen Brotgeber weder Nachteil noch Unannehmlichkeiten daraus erwachsen würden. Um ihm aber das letzte Misstrauen zu nehmen, versicherte er aufs neue mit bewegten Worten, dass es ihm nur darum zu tun sei, durch harte Selbstprüfung zu einem arbeitssamen Menschen zu werden.

      Solle er Stadtreisender werden? Oder Versicherungsagent? Nein. Dadurch würde er sich dem Gespötte seiner Freunde aussetzen und Gefahr laufen, ins alte Bummelleben zu kommen, wenn auch auf andere Art. Oder solle er vielleicht nach Amerika gehen, um dort zu verkommen? Nein, nein! Er hänge mit grosser Liebe an seiner Mutter, die über diese Trennung höchst unglücklich werden würde und vor Gram sterben könnte. Er sei dafür, im Lande zu bleiben und sich ehrlich zu ernähren. Hier draussen in der Fabrik würde ihn niemand von seiner alten Gesellschaft zu sehen bekommen, und so könne er sich mit Duldung und Behagen in die neuen Verhältnisse fügen. Sei es überhaupt eine Schande, harte Arbeit zu treiben? Das müsse Herr Geiger, von dem es ihm bekannt sei, dass er sich aus kleinen Verhältnissen, durch eigene Kraft, zu Reichtum und Ansehen emporgerungen habe, doch wohl am meisten anerkennen.

      Damit hatte Tempel die schwache Seite Nantes berührt, wodurch er gewöhnlich zu haben war, denn Geiger gehörte zu den offenen Naturen, die ihre Vergangenheit nicht zu verleugnen pflegen, vielmehr sich ihrer beizeiten mit einem gewissen Stolz zu erinnern wissen.

      „Was Sie da sagen, lieber Freund, hat ja vieles für sich,“ warf er schmunzelnd ein, ersichtlich bestrebt, über das empfangene Lob nunmehr mit Anstand zu quittieren. Wenn Geiger schon „lieber Freund“ sagte, so war sicher anzunehmen, dass sein Widerstand bereits halb bezwungen war.

      „Haben Sie nicht sonst noch Referenzen?“ fragte er dann, schon fertig mit seinem Entschluss.

      „O, eine ganze Menge,“ erwiderte Tempel, „aber Sie werden es erklärlich finden, wenn ich unter solchen Umständen keinen Gebrauch davon machen möchte. Man zeigt sein Skelett nicht gern den alten Freunden .... Wie wäre es denn, wenn Sie sich hier in meiner Gegenwart telephonisch mit dem Herrn Justizrat in Verbindung setzen würden? Dann müsste Ihnen doch jedes Misstrauen schwinden. Ich bitte sogar darum.“

      Geiger

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