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aber viel verlernt, weil er nicht übte. Aber so wenig er auch konnte, er zeigte doch, dass er musikalisches Gehör besass. Und plötzlich, nach einer romantischen Einleitung, spielte er ganz banal:

      „Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus,

      Und du mein Schatz bleibst hier.“

      Lüssi, die seitwärts stand und in ihren Noten kramte, lachte.

      „Wie kommst du denn gerade darauf?“ fragte sie.

      Tempel aber lachte nicht mit, denn ihm war sehr ernst zu Mute. Und deshalb gerade hatte er diese Melodie angeschlagen. Dann, schon nach ein paar Takten, bat er sie, seinen Platz einzunehmen.

      Sie zögerte aber und sah ihn aufmerksam an.

      „Du hör’ mal, Waldemar, — in dir geht etwas vor.“

      „Na, in dir doch auch, in euch allen. Was gibt’s denn?“

      Erregt ging er im Salon herum und betrachtete zerstreut all die Dinge, die er schon zur Genüge kannte: die Ölporträts von Reimer und Frau, schlecht und recht gemalt, die übrigen Bilder, auffallend durch protzige Goldrahmen, die grosse Herkulesuhr auf dem Ofensims, flankiert von zwei silbernen Handkandelabern; die vielen hübschen Nippes, die überall herumstanden, — die ganze schwere Möbelausstattung, die ein Gemisch von Altem und Neuem war, zusammengetragen und ergänzt durch die Jahrzehnte: steife Lehnsessel, moderne Seidenfauteuils und barockgeschnitzte Schränke und Spiegel.

      „Nun, was wolltest du mir denn sagen, Waldemar?“

      „Ich denke, du hattest etwas Wichtiges.“

      Sie stand verlegen da und tippte die Spitzen der gespreizten Finger gegeneinander. „Ich trau’ mich nicht.“

      „Nun, siehst du, Lüssi, ich auch nicht.“

      Er trat an die Tür, blickte durch die blanken Stellen der Scheiben vorsichtig ins Speisezimmer und sah, wie Mama Reimer eifrig mit dem Assessor sprach, wobei sie mehrmals nach dem Salon hinsah. Tempel bekam einen roten Kopf und ging von der Tür weg, wieder aus den Flügel zu.

      Da stellte sich Lüssi dicht vor ihn hin, ergriff seine Hände und sagte mit holder Frechheit: „Du, sag’ mal, — das ist doch Schwindel mit dem Haus und mit der Villa?“

      Das Wort Schwindel war ihr sehr geläufig, und so nahm er es ihr nicht krumm. „Aber nein doch, es ist die Wahrheit,“ erwiderte er im Gefühl des künftigen Erben.

      „Ach rede doch nicht, Waldemar. Das hast du dir im Augenblick so ausgedacht, weil mein Cousin dabei war. Den wolltest du einfach damit ärgern. Denkst du denn, ich seh’ nicht, dass du ihn nicht leiden kannst.“

      Sie hatte zwar recht, aber er wollte es ihr nicht gestehen.

      „Nein, nein, nur weil dein Papa dabei sass,“ redete er sich aus. „Er hat seit einiger Zeit etwas gegen mich. Siehst du, ich seh’s dir an, Lüssi.“

      Eine kleine Verlegenheitspause, und Lüssi war wieder gefasst.

      „Du musst es mir nicht übel nehmen, liebster Waldemar, aber darüber wollte ich gerade mit dir sprechen. Es ist jemand, der Papa darauf gebracht hat. Es soll nicht alles so recht stimmen mit deinen Verhältnissen. Sei mir nur nicht böse, dass ich so offen bin, aber ich muss es dir doch sagen, damit du Bescheid weisst.“

      „Sei nur gleich deutlicher. Papa hat Erkundigungen über mich eingezogen, nicht wahr?“

      Da zog ihn Lüssi beiseite, von der erleuchteten Tür fort, und umschlang ihn wild, fast wie verzweifelt: „Waldemar, ist es wahr, dass deiner Mutter das Haus schon lange nicht mehr gehört, und dass deine Aussichten sehr trübe sind.“

      „Im Gegenteil, Lüssi, sie sind so glänzend wie möglich. Du hast es ja gehört: ein grosses Haus und eine schöne Villa. Und was sonst noch kommt.“

      „Pfui, schäme dich,“ rief sie aus. „Von wem denn?“

      „Allerdings erst in einem Jahr, vielleicht noch später,“ fuhr er trocken fort.

      Das war ihr zuviel. „Solange soll ich noch warten?“ presste sie wütend hervor.

      „Das wollte ich dir eben sagen, Lüssi.“

      Da biss sie, blass geworden, in ihr Taschentuch und zerrte daran, was sie immer tat, wenn sie so ihre kleinen Anfälle hatte. Und Heiterkeit heuchelnd, drehte sie sich im Kreise und zischte die Worte zwischen den Zähnen hervor: „Schwindel, Schwindel, Schwindel.“

      Am liebsten hätte sie ihn dafür geohrfeigt, so wütete der Zorn in ihr, die Aufgezogene zu sein. Nebenan wurden Stühle gerückt, und so wollte sie Waldemar rasch zur Vernunft bringen.

      „Wir können die Verlobung ja noch hinausschieben. Ganz nach deinem Wunsch.“

      „Alles das sagst du mir erst jetzt?“

      „Weil ich selbst erst jetzt alles erfahren habe ... Lüssi, glaube mir. Komm her zu mir und sei vernünftig.“

      Sie rückte vor ihm aus bis hinter den Flügel und hielt sich die Ohren zu. „Schwindel, Schwindel! Ich glaube dir nichts mehr.“ Sie dachte an weiter nichts, als dass sie noch ein ganzes Jahr bis zur Hochzeit warten sollte, und das erboste sie dermassen, dass sie ihm die Augen hätte auskratzen mögen.

      Da, als er ihr schon alles sagen wollte, kamen die Frau Geheimrat und Assessor Lönge herein.

      Mama sah sofort, dass etwas Ernstes vorgegangen war und schlug einen vermittelnden Ton an.

      „Willst du nicht etwas singen, Fred?“ fragte Lüssi mit gewinnender Liebenswürdigkeit ihren Vetter und dachte dabei nur daran, Tempel zu ärgern. Jetzt, nachdem die Sache, so stand! Zum mindesten sollte er eine schlaflose Nacht haben, wie sie sie selbst haben würde.

      Assessor Lönges lichtgraue Augen strahlten. Und gewöhnt, immer den Galanten zu spielen, und auch ein wenig eingenommen von seinem dünnen Bariton, der gerade für ein grosses Zimmer ausreichte, schmachtete er seine Cousine lächelnd an, setzte sich dann und legte ohne Ziererei mit einem Schumannschen Liede los, nachdem er sich zuvor die Beinkleider mit der Bügelfalte sorgsam über das Knie gezogen hatte.

      Und Lüssi stand hinter ihm, um rechtzeitig das Notenblatt zu wenden. Es war so, als wäre das ihr Bräutigam und nicht der andere, der da, in sich versunken, in der Ecke sass.

      „Sie bleiben doch zum Abendbrot?“ fragte Mama Reimer dann Tempel. Sie hielt das zwar für selbstverständlich, aber aus Höflichkeit stellte sie immer dieselbe Frage. Junge Leute hatten auch manchmal etwas anderes vor. Sie spielte auch die Erstaunte, als sie eine Absage erhielt, nötigte dann aber nicht mehr, denn sie dachte sich ihr Teil. Ihr Neffe blieb ja, und das war eine kleine Entschädigung. Man konnte nie wissen: „wie, wo und wann“.

      Tempel empfahl sich, und Lüssi begleitete ihn wieder hinaus. Ihre Wut war erloschen, um so mehr lohte ihre Leidenschaft wieder. Dieser Strohkopf drinnen war zwar hübsch und artig, aber fade. Dieser hier hatte Temperament und die gewisse Art, auf Frauen zu wirken. Die quälende Angst hatte ihr die Feuchtigkeit in die Augen getrieben.

      „Weshalb gehst du denn eigentlich? Bleib doch, das lässt sich doch machen,“ bat sie.

      „Nein, nein, es geht nicht, ich habe mich heute verabredet.“

      Sie sah es ihm an, dass er sich nur ausredete, und so wurde sie wieder kurz. „Na, dann geh ... Kommst du morgen vormittag mit heran?“

      „Wahrscheinlich .. Ausserdem, — du hast ja Gesellschaft.“

      „Allerdings.“

      Die Tür klappte. Sein Abschiedskuss war nur flüchtig gewesen, und das ärgerte Lüssi am meisten. Ihre Brust ging stürmisch, während sie unbeweglich stehen blieb. Sollte sie ihn zurückrufen, ihn um Verzeihung bitten? Schon hatte sie die Türklinke in der Hand. Ach was, der kam ja doch wieder! Bevor sie aber zu dem anderen ging, trat sie in das Schlafzimmer ihres Vaters und kühlte sich rasch Gesicht und Augen.

      Unten ging Waldemar Tempel kummervoll durch die

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