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aber wahr!« sagte Lünne zu dem Major. »Solange die Damen da sind, kann man über nichts Ernsthaftes reden. Über den Gothaer Almanach, die Rangliste und den Familientratsch kommen sie nun einmal nicht hinaus!«

      »Solange ich mich entsinne,« meinte der Major, »war das wohl immer so.«

      »Und wissen Sie, woher das kommt?« fuhr der Generalstäbler fort. »Weil unsere Frauen keine eigenen Interessen haben. Wir zwingen sie, sich an unseren Berufssorgen, an Dienst- und Personalfragen zu beteiligen. Aber alles das, was ihnen eigentlich zukommt, wodurch eine Frau den Salon beherrscht, die Konversation leitet und die Männer aus ihrer Fachsimpelei herausreißt, das liegt bei ihnen brach.«

      »Und was ist das?«

      »Alles mögliche,« sagte der Generalstäbler achselzuckend, »Musik, Kunst, Bühne, Literatur – das alles gibt es für uns kaum. Nein, widersprechen Sie nicht, lieber Rönne, in uns als Gesamtheit lebt noch das gesunde altpreußische Barbarentum. Und wir haben recht, es zu bewahren; denn es hat uns groß gemacht im Volke der Dichter und Denker.«

      »War das mal wieder langweilig bei Westrow!« seufzte der Assessor, während er mit seinem Bruder durch die stille Nachtluft nach dessen Wohnung schritt.

      »Wie immer!« sagte der kurz.

      »Vielleicht war es heute noch der besondere Kontrast ... erst im Ausstellungspark und dann ...« Er blieb aufgeregt stehen. »Also Thilda hat dir gefallen?«

      »Ich habe dir schon gesagt: wir sprechen noch darüber!« erwiderte der Major. »Vor allem reise in den nächsten Tagen in die Neumark und suche Onkel Klaus zu beruhigen. Dem haben sie von hier geschrieben, du seiest mit einer Balletteuse verlobt!«

      »Ach, diese ...« Der Assessor ballte grimmig die Faust und schwieg eine Weile. »Übrigens ein verrücktes Mädel, das sie da mitbrachte,« sagte er dann, »findest du nicht?«

      »Wer? Ach so, diese Kleine?« erwiderte der Major gleichgültig. »Ja ...!«

      »Du hast nicht so auf sie geachtet,« fuhr sein Bruder fort, »aber eigentlich ist sie bildhübsch!«

      »Ein reizendes Geschöpf ist sie!« sagte Herr von Rönne, vor seiner Haustür stehenbleibend, und reichte dem Assessor die Hand. »Gute Nacht!«

      »Gute Nacht, Albrecht! Also du bist nicht böse wegen der Überrumpelung?«

      »Nein!«

      Oben im Flur erwartete der Bursche den Major.

      Die gnädige Frau, meldete er, die Lampe anzündend, schliefe schon seit dem frühen Abend.

      Der Major wußte, was das hieß. Man hatte durch Morphium ihre Schmerzen lindern müssen.

      Leise trat er in ihr dämmeriges Gemach und warf einen Blick auf das blasse, verwelkte Gesicht der Leidenden, das regungslos, mit geschlossenen Augen, in den weißen Kissen lag. Dann kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück.

      Ein feiner Zigarrendunst erfüllte den Raum. Auf dem großen Studiertisch warf die Lampe ihr gelbes Licht über die ringsum ausgebreiteten Karten und Pläne, die Bücher und Manuskripte. Links in der Ecke stand eine Büste Moltkes neben einem Bücherbrett, auf dem Clausewitz' gesammelte Werke und das Generalstabswerk von 1870 sich befanden.

      Rönne setzte sich an den Tisch. Er wollte noch arbeiten.

      Seit das Unglück über ihn gekommen, das ihm die Kinder raubte und die Frau aufs Krankenlager warf, war der Dienst sein Trost und seine Erholung.

      Aber lange schon merkte er mit innerem Schrecken, wie der Dienst ihm schwerer und schwerer wurde.

      Das, was er als junger Offizier verzweifelt in sich niedergekämpft, stieg von neuem auf.

      Damals hatte er durchaus seinen Abschied nehmen wollen, in jener Zeit, wo er sich nach der rohen, gemütsverhärtenden Öde des Kadettenlebens, den Brausejahren des ersten Leutnantstums allmählich zum Manne reifen fühlte.

      Da gab es Tage, wo ihm, dem feinfühligen, stillen Denker, alles umher unerträglich schien, das rohe Brüllen der Unteroffiziere im Kasernenhof, das eintönige Plärren der Kartoffeln schälenden Mannschaften daneben, das rüde Angeschnauztwerden von seiten der Vorgesetzten, die ihn vielleicht am Abend vorher freundlich als ihren Gast bei sich gesehen hatten ... und das alles geheiligt durch den »Dienst«, jenen unfaßbaren, unwägbaren Begriff, in dem er damals nur die Vernichtung der Persönlichkeit erkennen konnte.

      Aber was hätte er werden sollen? In jenem Lande der Freiheit, in jenem Strom der großen Welt, zu der ihn ein unbestimmtes Sehnen trieb, sah er so viele gescheiterte Offiziersexistenzen, so wenige, die es zu etwas gebracht.

      Und die waren ausnahmslos wohlhabend gewesen.

      Er aber war arm! Und so beschied er sich und fügte sich dem Willen der Familie, dem Rat der Vorgesetzten, der Stimme der Vernunft. Gewaltsam zwang er alles in sich nieder, was ihn an seine Wünsche hätte erinnern können; er sah kein Buch mehr an, er hatte keine Interessen mehr als seinen Dienst, er ging auf im Treiben des Exerzierplatzes und des Kasinos.

      Und als ihn dann eine Erbschaft in den Stand setzte, zu heiraten, als er in der neuen Stellung eines Kompagniechefs zum erstenmal selbständig zu befehlen, nicht wie bisher durch zwölf Jahre bloß zu gehorchen hatte, und als zwei Blondköpfchen ihn vom Fenster militärisch grüßten, wenn er an der Spitze seiner Leute zurückritt, da schien alles gut.

      Jetzt war er wieder allein. Fast schlimmer als allein.

      Und die Zukunft lag trübe vor ihm.

      Jahre und Jahre hatte er auf den Krieg gehofft. Jahre und Jahrzehnte verrannen, und die Armee stand unbeweglich. Die alte Generation schwand dahin, die neue kam und ging. Von den Generalen, die man zu seiner Fähnrichszeit teils mit Ehrfurcht, teils nur mit Furcht genannt, wußte man jetzt kaum mehr die Namen, von seinen Altersgenossen war schon wohl die Hälfte aus der Armee verschollen.

      So würde es auch ihm dereinst ergehen.

      Er fühlte sich älter, als er war. 1872 hatte er mit achtzehn Jahren die Epauletten empfangen. Jetzt stand er zu Anfang der Vierzig.

      Aber schon zeigte sich da und dort ein leichter silberner Schimmer in seinem Haar, und sein Auge blickte müde. Die Last eines unbefriedigten, ihm zwecklos erscheinenden Daseins drückte schwer auf ihn.

      Oft dachte er daran, seinen Abschied zu nehmen. Aber was dann? Einen neuen Beruf zu ergreifen, dazu war es zu spät. Und nur seiner Persönlichkeit zu leben, wie er es als junger Leutnant geträumt und jetzt als wohlhabender Mann tun konnte, ungehindert die Welt zu durchstreifen, deren Leid und Freud' er bisher nur vom Kasinofenster aus betrachtet, dazu mußte er wirklich frei sein.

      Der Major warf einen Blick durch die Zimmerflucht, die ihn von dem Krankenbett seiner Gemahlin trennte, und setzte sich schweigend an die Arbeit.

      Aber während er sich über seine Manöverkarten beugte, klang es wie ein leises, helles Lachen an sein Ohr, und eine übermütige Stimme flüsterte ihm zu:

      »Sie sehen, die Welt geht nicht zugrunde, auch wenn Sie einmal einen Tag lang keine Schlachtpläne machen.«

      VII.

       Inhaltsverzeichnis

      Langsam neigte sich der August seinem Ende zu.

      Es entging Valeska nicht, daß allmählich in dem Leben des Berliner Westens eine bedeutsame Veränderung eintrat.

      Man sah häufig Gepäckdroschken, von den Bahnhöfen kommend, vor den Häusern des Tiergartenviertels halten; auf den Straßen erblickte man sonnengebräunte Gesichter. An den Litfaßsäulen, wo den August hindurch zwischen den riesigen, schreiend bunten Plakaten der Tingeltangel und Sommergärten allein der graue Zettel des Lessing-Theaters die großen Bühnen vertreten hatte, zeigte sich eine lange Reihe von Annoncen, die für den 29. August oder 1. September die Wiedereröffnung der verschiedenen Theater anzeigten.

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