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hätte zu gern durch das kleine Drahtgitter in der ersten Kulisse einen Blick in den Zuschauerraum geworfen. Aber erstens stand der Feuerwehrmann davor, und zweitens war der unbefugte Aufenthalt dort bei zehn Mark Strafe verboten.

      Jetzt kam ihr Stichwort.

      »Nur man dreist!« sagte der Inspizient – sie wußte nicht recht warum – und ließ sie hinaustreten, um die Meldung zu erstatten, daß der gnädige Herr zurückkomme.

      Wieder entstand das Murmeln und Brausen, aber stärker als bisher, und verschlang beinahe Grillons Antwort.

      Die Angst überfiel Valeska. Gott sei Dank, sie hatte nur noch einen Satz!

      »Na ... nu wird's jut!« sagte sie mit gepreßter Stimme.

      Aber im nächsten Augenblick glaubte sie vor Schreck in die Erde zu sinken.

      Ein Sturm der Heiterkeit, Bravorufe, Händeklatschen und Gelächter erschütterte das Haus.

      Hatte sie sich versprochen ...? Oder war etwas an ihrer Kleidung ...? Nein. Sie warf einen ratlosen Blick auf das Publikum. Ein erneuter Jubelausbruch folgte.

      »Lacht nicht, ihr Ochsen!« zischte neben ihr Grillon fast lautlos durch die Zähne, und dann, vor Wut in sein angestammtes Wienerisch verfallend, zu Valeska: »Schau', daß d' weiterkommst!«

      Die ließ sich das nicht zweimal sagen. »Um Gottes willen,« flüsterte sie hinter der Kulisse zitternd dem Inspizienten zu, »was hab' ich denn gemacht?«

      »Ha, Elende!« klang da von der Bühne der Aufschrei des betrogenen Ehemanns. Ein donnernder Jubelsturm folgte.

      »Was sollen Sie denn getan haben?« erwiderte der Inspizient mürrisch. »Das Stück geht um die Ecke. Sie sehen's ja!«

      Bloß das Stück! Valeska seufzte erleichtert auf, lief in die Garderobe und zog sich so schnell wie möglich um.

      Als sie zurückkam, spielte man den vierten Akt. Das Unheil war im vollen Gange. Jedem fünften Satz folgte Lachen, Grollen und ironischer Beifall. An besonders markanten Stellen mischte sich Grunzen und Getrampel hinein.

      »Schluß! Schluß!« tönte es von zwei, drei Stimmen, dann dagegen protestierendes Zischen und ein schwacher, langgezogener Pfiff. Dann wurde es wieder ruhiger, und das Spiel ging weiter.

      »Gedenket der armen, unschuldigen Schauspieler!« sagte Thilda, von der Szene kommend. »Gott sei Dank ... ich bin fertig!«

      Die Mizi folgte ihr.

      »Brr!« sprach sie schläfrig und schüttelte sich wie ein nasser Pudel. »Heute sind sie wieder gut ...!«

      »Das verzapfen wir wohl nicht oft mehr?« fragte Valeska.

      »Und sie trugen einen Toten hinaus ...«, versetzte Mizi kaltblütig, »und sie riefen: sancte! sancte! ... Er aber verstand: Fangt ihn! Fangt ihn!, und er entwich!«

      Diesen Geistesblitz hatte Prinz Duyn, ein alter Korpsstudent, sie gelehrt.

      »Pssst!... meine Damen!« mahnte der Inspizient im Vorüberstreichen.

      Und in der Tat... es war draußen wieder ruhig geworden. Grillon und die Dobschütz, die die große Schlußszene hatten, boten ihre ganze Kraft auf, um das Stück wenigstens zu einem ehrenvollen Ende zu bringen.

      Es gelang ihnen. Das Publikum ging mit. Schüchterner Beifall regte sich da und dort. Und schon kam der Schluß.

      »Das sei das Ende!« rief die Dobschütz in hinreißender Leidenschaft und leerte den Giftbecher.

      Eine kurze, beklommene Pause...

      »Prost!« krähte es aus einer Loge.

      Ein brausender Heiterkeitssturm begleitete das Fallen des Vorhangs. Dann ein langes, energisches Zischen, ein heftiges Händeklatschen beim Anblick des rechts und links verrollenden eisernen Vorhangs, und das Haus leerte sich.

      Die Dobschütz hatte den Giftbecher von sich geschleudert, daß es klirrte.

      »Ich spiele die Rolle nicht wieder«, sagte sie kurz zu den Umstehenden und ging in ihre Garderobe.

      Valeska war im Begriff, ihr zu folgen und zu sehen, ob Thilda mit dem Abschminken fertig sei, als plötzlich Seybling wieder vor ihr stand.

      »Gratuliere!« rief er lachend schon von weitem.

      Valeska war empört.

      »Ich kann nichts dafür!... So eine Rolle...! Mit der hätte die Wolter selbst umgeschmissen!«

      »Aber Sie haben sich ja brillant aus der Affäre gezogen!« lachte Seybling. »Sahen reizend aus in Ihrem sprachlosen Entsetzen! Das Publikum hat sich königlich amüsiert!«

      Er war dicht vor sie hingetreten und sah sie unverwandt an. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. Mit heiß flackernden Augen hielt sie seinem kalten, durchdringenden Blick stand.

      Es war ja kaum ein Zweifel mehr – wie ein Gefühl beklemmenden und erstickenden Triumphes stieg der Gedanke in ihr auf –, sie hatte auf Seybling, den Gewaltigen dieser kleinen Scheinwelt, einen tiefen Eindruck gemacht.

      Jetzt hieß es klug sein, klug wie die Schlangen! Dem da gegenüber mußte man va banque spielen, dachte sie blitzschnell. Er sollte sehen, daß sie etwas anderes war als das typische »kleine Mädchen« mit fünfundsiebzig Mark Monatsgage und festem Verhältnis, keines jener Sumpfblümchen der Großstadt, das er so en passant zu pflücken gedachte.

      »Ja... wirklich eine schlechte Rolle...«, sagte der Dandy und faßte wie in der Zerstreutheit ihre Hand.

      »Sie haben gewiß schon größere gespielt?«

      »Die allerersten!... Am Bergheimer Stadt-Theater!«

      »Oh... und welche spielen Sie am besten?«

      Valeska empfand, wie er ihre Hand hart in der seinen preßte.

      Sie entzog sie ihm und sah ihm fest ins Gesicht.

      »Meine beste Rolle ist die Jungfrau von Orleans!«

      »Oh... die Jungfrau?...«

      »Ja!«

      Herr von Seybling zog lächelnd den Hut.

      »Gute Nacht, mein Fräulein!«

      »Gute Nacht, Herr Baron!«

      Im Vestibül traf Seybling seine Freunde.

      »Nun?« fragte Hammerschmiedt, der kleine, millionenschwere Gigerl. »Wie ist's mit dem Mädchen aus der Fremde?«

      »Das Mädchen aus der Fremde ist ein Karnickel,« sagte Seybling, zum Ausgang schreitend, »ich bin gar nicht dazu gekommen, sie einzuladen.«

      »Wolltest du sie denn einladen?« Prinz Duyn, ein blasser, distinguierter Herr mit langem Schnurrbart, schob seinen Arm unter den Seyblings.

      »Ja... zur Dobschütz. Wir feiern doch bei ihr die neue Rolle. Wird freilich ein Leichenfest statt des Siegesgelages...«

      Seybling lachte. »Die hätte sich schön geärgert, wenn ich ihr die Kleine mitgebracht hätte!«

      »Ja... warum haben Sie's denn nicht getan?« forschte Hammerschmiedt.

      Seybling zuckte die Achseln. »Sie sagt, sie wäre die Jungfrau von Orleans!«

      »Oh!« stöhnte der Gigerl.

      VIII.

       Inhaltsverzeichnis

      In dem prachtvoll ausgestatteten und hell erleuchteten Salon der Dobschütz saßen Seybling, Prinz Duyn, Hammerschmiedt und zwei andere Herren schon seit längerer Zeit wartend beisammen.

      Sie rauchten und gähnten. Die Dame des Hauses kam immer noch nicht zum Vorschein. Sie war eine halbe Stunde nach den Herren aus dem Theater eingetroffen, aber unter der Angabe,

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