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Valeska Elten, indem sie das neueste Opus des berühmten Herrn Bucher mit Grazie und Eleganz zu Fall brachte. Die Provinz, der sie entstammt, wird es der schönen Dame danken, daß sie sie vor der Bekanntschaft mit diesem Werke bewahrte. Ob freilich auch Autor und Direktor, das wissen wir nicht ...«

      Valeska, die im Café Bellevue auf der Terrasse sitzend die Rezensionen durchstudierte, schob das Blatt gleichgültig beiseite. Sie wußte durch Thilda und andere, daß ihr schwerlich etwas Schlimmeres passieren konnte, als von den Adelsmenschen des »Kleinen Wächters an der Panke« gelobt zu werden.

      Aber in den anständigen Blättern war ihr Name überhaupt nicht genannt. Nur im »Berliner Herold« stand eine kurze Zeile über sie. »Eine bildhübsche Anfängerin,« hieß es da, »die in der Rolle einer Dienstmagd auftrat, kann verlangen, daß wir unser Urteil über sie verschieben, bis sie sich uns in größeren und dankbareren Aufgaben gezeigt hat.«

      Sie eine Anfängerin! Es war empörend. Und dabei taten die Leute, als ob die Rollen nur so vom Himmel herabfielen wie die reifen Pflaumen vom Ast.

      Und heute abend sollte sie diese Rieke nochmals spielen! Ihr graute davor.

      Aber als sie nachmittags über die Straße ging, klebten bereits rote Streifen schräg über den Zetteln des Westend-Theaters. Wegen »plötzlicher Erkrankung« des Fräulein Thilda Thorbeck wurde die »Kleine Herzogin«, das Kassenstück der letzten Saison, gegeben.

      Natürlich war Thilda gesund wie ein Fisch im Wasser. Valeska erfuhr das im Theaterbureau, wo sie für den Abend ein Billett zu der »Kleinen Herzogin« erbat und zu ihrem Stolze einen Platz in der 1.-Rang- Loge erhielt.

      Sie benutzte diese Gelegenheit.

      »Kommt denn nicht jetzt eine Novität, wo ich eine bessere Rolle kriege?« fragte sie vertraulich den Sekretär, Herrn Reichau.

      »Das kann ich Ihnen nur ins Ohr sagen, mein Fräulein!«

      Valeska zögerte.

      Sie wußte, daß sie bei dieser Gelegenheit einen Kuß auf die Backe bekam ... Nun schließlich ... was tut man nicht für die Kunst ...?

      Aber als Herr Reichau sie geküßt, sagte er zu ihrem Schrecken: »Es tut mir unendlich leid, mein Fräulein. Sie werden in der nächsten Zeit kaum zum Auftreten gelangen. Die beiden Repertoirestücke, zu denen Sie morgen Rollen zugeschickt bekommen, halten wir nur in Reserve, und die nächste Novität ist überhaupt noch nicht besetzt.«

      Valeska drehte dem hinterlistigen Sekretär zornig den Rücken und verschwand.

      Nun konnte sie also spazierengehen.

      Und vielleicht wochenlang! Denn am ersten Abend war es zwar gähnend leer in der »Kleinen Herzogin« gewesen – ein Freitag im August! –, dann aber begann sich das Stück zu »erholen«, und mit dem steten Steigen der Kasseneinnahmen verstärkte sich das Gerücht, daß das Lustspiel, das über alles Erwarten immer noch »etwas mache«, den ganzen September beherrschen werde.

      Valeska war ganz mutlos. Sie langweilte sich und kam sich unglaublich überflüssig in Berlin vor.

      Wozu erhielt sie eigentlich zehn Mark täglich, wenn sie nichts dafür zu leisten hatte?

      Und mit Beklemmung erwartete sie den 15. September. An diesem Tage hatte die Direktion das Recht, ihr, nachdem sie einmal aufgetreten, zum 1. Oktober zu kündigen.

      Dann saß sie auf dem Pflaster und konnte sehen, wo sie Unterschlupf fand. Irgendwo in der Provinz, wo dann in dem ewigen Rollenlernen und der Plackerei der flüchtigen Proben ihr der Berliner Aufenthalt bald nur mehr als ein bunter Traum erscheinen würde.

      Endlos langsam rollten ihr so die Tage dahin. Valeskas feste Hoffnung, daß Herr von Seybling sich ihrer annehmen werde, schwand von Tag zu Tag. Sie hatte bestimmt geglaubt, schon am Morgen nach der »Ellinor« einen Brief von ihm zu bekommen. Aber es erfolgte nichts. Der allmächtige Dandy schien sie schon wieder völlig vergessen zu haben.

      Offenbar hatte sie sich zu herbe gegen ihn benommen – recht wie ein Gänschen aus der Provinz –, und statt ihm zu imponieren, nur sein flüchtiges Interesse ertötet.

      Endlich entschloß sie sich, ihm zu schreiben. Einen ganzen Vormittag kaute sie an der Feder, schlug wegen einzelner Worte, über deren Orthographie sie sich nicht ganz im klaren war, in ihrem kleinen deutsch-französischen Diktionär nach und befleckte sich die Fingerspitzen mit Tinte, bis endlich ein zierliches Briefchen fertig war, in dem sie Herrn von Seybling hochachtungsvoll und ergebenst bat, seinen Einfluß im Westend-Theater darauf zu verwenden, daß ihr bessere Rollen zuerteilt würden.

      Erst nach acht Tagen kam die Antwort, ein majestätisches Kuvert aus dickstem englischem Papier mit aufgepreßtem Wappen und darüber gedruckter Adresse des Absenders. Herr von Seybling ließ durch seinen Sekretär bedauern, daß er auf das Westend-Theater keinerlei Einfluß habe, am wenigsten aber auf dessen Repertoire und sonstige interne Angelegenheiten, die durchaus dem Ermessen des Herrn Direktor Hochmann unterständen. In markigen Zügen stand darunter schräge aufwärts gerichtet sein Name.

      Valeska zerriß weinend vor Wut den Brief in winzige Stückchen. Also auch das war umsonst! Sie hätte sich selbst ohrfeigen mögen.

      Und der gefürchtete 15. September rückte immer näher.

      »Liebste Beste!« sagte sie am Abend vorher flehend zu Thilda ... »Du spielst ja morgen nicht ... nimm mich bitte irgendwohin mit. Ich halte es nicht aus, den ganzen Tag dazusitzen und zu warten, ob der Kündigungsbrief kommt oder nicht.«

      Die blonde Thilda seufzte. Sie hatte auch schwere Sorgen. Ihr Assessor war von dem Onkel in der Neumark so gut wie unverrichteterdinge zurückgekehrt. Es war ihm nicht gelungen, den alten Herrn davon zu überzeugen, daß sie, Thilda, nicht ihren Lebensunterhalt als Balletteuse im kurzen Röckchen verdiene, und selbst der Hinweis, daß sie die Tochter eines Majors sei, verfehlte seine Wirkung. »Es gibt verlorene Töchter, wie es verlorene Söhne gibt. Die einen gehen nach Amerika, die andern zur Bühne ...« erklärte Onkel Klaus und ließ sich nicht einmal dann erschüttern, als sein Neffe ihn daran erinnerte, daß ja auch Onkel Klaus selbst, der Neumärker Familienpatriarch, in seiner fernen Jugend einmal intime Beziehungen zu einer Operettensängerin gepflogen haben sollte. »Aber geheiratet habe ich sie nicht ...«, schnauzte er los, »... und danke meinem Schöpfer dafür!«

      Als einzige Konzession hatte er dem Major von Rönne, den er hochschätzte, geschrieben und ihn um Auskunft gebeten. Ehe der Brief abging, wollte der Major Thilda noch einmal treffen. Man würde am nächsten Abend zusammen im Opernhaus sein – die beiden Herren, Thilda und Fräulein Hippel, die Tochter ihres Quartierwirtes, des Rechnungsrats – und dann zusammen soupieren.

      »Eigentlich könntest du ja mitkommen,« meinte die gutmütige Thilda ... »wenn du nicht zu viel Unsinn schwabbelst ...«

      »Danke schön!« sagte die Elten und küßte sie ... »Du bist wirklich ein lieber Kerl! Und ich will ganz brav sein ...«

      Sie war denn auch wirklich anfangs sehr still, als sie nach der Oper mit den andern bei Hiller zusammensaß.

      Die Angst vor dem Kündigungsbrief, der allerdings bis zum Nachmittag, wo sie ihre Wohnung verlassen, noch nicht eingetroffen war, die Wagnersche Musik, die sie wie immer aufgeregt und schwermütig gemacht hatte, die hölzerne Steifheit des neben ihr sitzenden verwelkten Fräulein Hippel, das alles lastete auf ihr.

      Außerdem trug der Major Uniform, Waffenrock und Epauletts mit glitzernden Silberfrangen, und sein Bruder Frackjackett und schwarze Binde. Sie hatte zwar auch, zur großen Überraschung und Beruhigung Thildas, ein sehr hübsches und dabei raffiniert einfaches Abendkostüm angelegt, aber sich doch in der Loge des Opernhauses zwischen all der distinguierten Gesellschaft sehr feierlich und beklommen gefühlt.

      Und bei Hiller, wohin der Major die Gesellschaft eingeladen, wich diese Stimmung keineswegs. Sie kannte die vornehmen Linden-Restaurants bisher nur vom Hörensagen als die Orte, wo Mizi und Konsorten ihre »Orchideen« feierten, und es imponierte ihr alles in dem Lokal, die feierlichen Galgenphysiognomien der Kellner, die massenhaften Spiegel an den Wänden, die kleinen Spiritusflämmchen

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