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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Nun ... sehen Sie ...«, sagte der Major, eingießend, »es wird nicht so schlimm werden ... da ... da lachen Sie ja schon wieder ... ja ... verstellen Sie sich nur ... es zuckt Ihnen doch um die Mundwinkel ... nur immer tapfer ... so ist's recht! ...«
Die beiden stießen miteinander an, und ihre Augen suchten sich, während sie das Glas an die Lippen setzten.
Der Assessor, der die ganze Zeit mit Thilda getuschelt hatte, während Fräulein Hippel steifleinen dasaß, machte den Vorschlag, noch einen Schlummerpunsch zu trinken – das sei eine Spezialität, die Fräulein Elten kennenlernen müsse –, und zwar nicht in dem sonst eigens für diesen Zweck konstruierten Café Bauer, sondern, in Anbetracht der außerordentlich milden Witterung, auf der Terrasse des Cafés Bellevue, wo man im Freien sitzen könne.
So brach man also auf und schritt langsam die menschenleeren Linden hinunter ... voraus der Assessor mit seinen beiden Damen, dann Herr von Rönne mit Valeska.
»Ich versichere Sie,« sagte Valeska, »ich bin hier in Berlin so mutlos geworden ... so hoffnungslos ... Wenn ich jetzt noch einmal vor die Wahl gestellt würde, ob ich Schauspielerin werden wolle oder nicht ... wahrhaftig ... ich würde lieber Holz hacken oder Gesellschafterin werden bei einer alten Dame und ihr den Mops nachtragen und aus Zola vorlesen ...«
Sie hätte es gern vermieden, stets von sich zu sprechen. Aber der Major brachte sie immer wieder darauf.
»Es war doch Ihr freier Wille,« fragte er auch jetzt, »daß Sie zur Bühne gingen?«
Valeska zuckte mit den Achseln.
»Wie man's nimmt! Das fing schon an, als ich kaum dreizehn Jahre war. Da fanden wir eines Tages den Vater tot in der Werkstatt liegen ...«
»In der Werkstatt ...?«
Valeska errötete leicht.
»Ja ...«, sagte sie dann ganz tapfer, »mein Vater war Schreinermeister in Eisenach. Warum soll ich's Ihnen nicht eingestehen? ... Daß ich keine Reichsgräfin bin, werden Sie sich ja wohl schon gedacht haben ... Und er war ein so guter Mann ... so freundlich gegen mich und alle! ... Ich sehe sein Bild noch so deutlich vor mir ... und am lebendigsten, denken Sie sich, gerade aus meiner frühesten Kinderzeit. Da lief ich heimlich der Mutter davon und kroch in meinem roten Röckchen die Steinstufen zur Werkstatt hinauf. Die waren warm von der Sommersonne und ungeheuer hoch. Und oben in der Werkstatt roch es nach Leim und frischem Holz, und am Boden lagen die Hobelspäne, mit denen ich spielte ... und mein Vater hob mich in den Armen hoch und ließ mich nach seinem Bart greifen ... ›Du ... du Mäuschen ... du!‹ sagte er dann immer ... und ich schrie vor Vergnügen ...«
Valeska brach plötzlich ab und sah mit feuchtschimmernden Augen zur Seite.
»Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle ...«, sagte sie leise. »Es kann Sie ja unmöglich interessieren.«
»Aber Sie kamen doch nicht schon mit dreizehn Jahren zur Bühne ...?« fragte der Major, ohne darauf zu achten.
»Doch!« sagte Valeska. »Eigentlich sollt' ich zum Ballett gehen ... aber dazu war's schon zu spät ... nun ... und im Thüringischen gibt es, wie Sie wissen, eine Menge kleiner Hoftheater ... da war es nicht schwer, so ab und zu in Pagenrollen und dergleichen auf der Bühne verwendet zu werden ... erst in Hildburghausen ... dann in Gotha ... dort bekam ich zuerst auch einmal einen kleinen Satz zu sprechen und sang zuweilen im Chor mit ... aber auf die Dauer war die Stimme zu schwach ... und dann starb die Mutter, und bei der Schwester wollte ich nicht bleiben ... sie hatte einen Schlosser geheiratet ... die andere war damals schon mit ihrem Manne nach Amerika ausgewandert ... es geht ihnen ganz gut drüben ... und da kam ich nach Erfurt ans Stadt-Theater ... zuerst in kleinen Rollen ... dann stieg ich so allmählich in die Höhe ... und dann von Erfurt nach Riga und von Riga nach Bergheim mit zwei Sommerengagements in Bad Holl ... und endlich von Bergheim hierher ... Sie sehen ... das ist eine sehr einfache Geschichte ... man denkt immer, uns vom Theater müßte Gott weiß wieviel Romantisches passieren ... aber ich hab' noch nichts davon gemerkt ...«
»Aber immerhin ...«, sagte der Major, während sie sich im Café Bellevue niedersetzten und das langweilige Fräulein Hippel sich zur allgemeinen Freude empfahl, »... haben Sie doch die Hauptsache erreicht ... Sie sind in Berlin ...«
»Sie sehen ja, wie es mir hier geht ...« Valeska schaute trostlos vor sich hin. »Ich bring' es zu nichts. Manchmal ... da glaub' ich, es stecke etwas in mir ... ein rechtes, echtes Talent ... und es kommt eine Art Kraftgefühl über mich, das mir fast die Brust zersprengt und den Atem nimmt. Aber das dauert nicht lange. Und selbst wenn ... so wäre mir noch immer nicht geholfen; denn wir Frauenzimmer können ja nichts selbst aus uns machen ... wenigstens die meisten – das ist eine alte Erfahrung beim Theater –, es muß ein Anstoß von außen kommen ... dann glaubt das Publikum, es hat uns ›entdeckt‹, und ruft uns zwanzigmal heraus ... und in Wirklichkeit haben wir uns doch selbst erst in einer bestimmten Rolle gefunden ...«
»Aber dann ist der Bann gebrochen?«
Valeska nickte.
»Ich muß da immer an das schlafende Dornröschen denken. Ist es einmal erweckt, dann bleibt es auch wach, und alles umher beginnt zu grünen und zu blühen ...«
»Und Ihnen hat sich der Prinz noch nicht genaht?«
»Die Prinzen,« versetzte Valeska lachend, »die sich uns nahen ... die lehren einen alles andere, nur nicht, wie man eine ernste Künstlerin wird. Das kann nur ein wahrer, echter Freund tun ... und den gibt's nicht ...«
Eine kurze Pause entstand. Herr von Rönne sah sie an.
»Wollen Sie mich als Freund betrachten?« fragte er.
Valeska sah beklommen lächelnd vor sich hin.
»Ich weiß gar nicht ...«, sagte sie scheu, »wie kann so ein unvernünftiges Ding wie ich ...«
Herr von Rönne lachte auf.
»Sie wissen doch schon, Fräulein Valeska ...«, unterbrach er sie, Komplimente bekommen Sie heute nicht zu hören ...«
»Recht so!« sagte die kleine Elten und streckte ihm ihre schmale Hand hin, um seine Rechte kräftig zu schütteln. »Ich danke Ihnen! ... Wir wollen gute Freunde sein!«
Thilda hatte inzwischen, mit dem Assessor an der Balustrade stehend, den Mond angehimmelt. Jetzt mahnte sie zum Aufbruch.
»Ich habe solches Herzklopfen ...«, sagte Valeska, während sie zusammen die Potsdamer Straße hinunterschritten. »Wenn ich jetzt den Brief zu Hause finde ...«
»Darüber müssen wir gleich Gewißheit haben«, versetzte der Major rasch. »Gehen Ihre Fenster auf die Straße?«
»Ja.«
»Dann müssen Sie uns von oben Nachricht zurufen. Ich bestehe darauf!«
Die drei standen nicht lange vor Valeskas Haus in der Lützowstraße, als oben ein Fenster aufging und ein leises, silbernes Lachen erscholl.
»Es ist nichts da!« rief eine helle Stimme in das Dunkel hinaus. »Ich bleib' in Berlin! ... Gute Nacht und nochmals schönen Dank ...!«
Das Fenster schloß sich klirrend, und ein Vorhang sank herab.
»Das freut mich wirklich für sie ...«, sagte die sanftmütige Thilda und ging mit ihrem Assessor voraus.
Ihr Begleiter blieb noch einen Augenblick stehen.
»Ich bleib' in Berlin! ...«
Eine eigene frohe Beklemmung legte sich ihm auf die Brust. Er sah zu dem schweigenden Fenster hinauf.
»Und das nennst du Tor Freundschaft!« schoß es ihm blitzschnell durch den Kopf. »Es gibt keine Freundschaft zwischen Mann und Weib. Nur Haß und Liebe. Und wir hassen uns nicht ... Dornröschen ... schlafe wohl! ...«
X.