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und ...

      Aber da fiel ihr Stichwort, und sie trat hinaus.

      Nachdem der Tee serviert war, hatte sie im Hintergrund unauffällig stehenzubleiben – durchaus unauffällig, Fräulein Dobschütz liebte kein stummes Spiel, während sie selbst sprach – und zu warten, bis die Gesellschaft sich entfernte. Dann blieb sie allein in einer stummen Szene auf der Bühne zurück, räumte den Tisch ab und verschwand nach links.

      Bis dahin hatte sie gut fünf Minuten Zeit. Sie musterte den Zuschauerraum.

      In langen Reihen saßen da wie Wachsfiguren die stummen Gestalten, vorn ganz lückenlos, gegen das Ende des Saales in verteilten Gruppen. Nichts regte sich an ihnen. Man glaubte, das schwere, eintönige Atmen dieser Hunderte von Menschen zu hören.

      In den Logen, die nur »garniert«, das heißt in den vordersten Plätzen besetzt waren, bewegte sich ab und zu etwas. Es wehte ein Fächer, ein Theaterzettel knisterte, man hörte das Rücken eines Stuhles.

      Besonders in der Proszeniumsloge links, hart an der Bühne, war es unruhig. Dort saß ein Schwarm eleganter Herren, Rohrstöcke mit goldenen Knöpfen in der Hand, die Zylinder auf dem Knie, mit schimmernder Hemdbrust und schwarzen Binden, ein zerschlissenes Chrysanthemum im Knopfloch des Smoking-Coats.

      Das waren Seybling und seine Freunde. Doch hatte Thilda der Elten nicht sagen können, wer von den Herren Seybling selbst war. Sie kannte ihn nur dem Namen nach. Er zeigte sich selten auf der Bühne oder im Direktionsbureau und war den meisten dieser kleinen Welt nur ein Begriff, ein unkörperliches Wesen, mit dem sich die Vorstellung ungeheurer Geldsummen verband.

      Valeska blickte wieder in das Parkett.

      Von diesen fremden Menschen da unten, deren Gesichter wie lange Reihen weißer Flecke undeutlich sich im Dämmerlicht abhoben, hing also ihr Schicksal ab! Das war das gefürchtete Premierenpublikum Berlins, oder wenigstens ein Teil davon – denn das Tiergartenviertel befand sich noch meist in der Sommerfrische –, jene achthundert oder tausend Menschen, die, heute abend im Westen, morgen im Osten der Hauptstadt auftauchend, souverän der deutschen Bühne und Bühnenliteratur den Stempel ihres Willens aufdrückten.

      Denn was nicht in Berlin die Feuertaufe empfangen – Valeska wußte das schon von Bergheim her –, dem begegnete die Provinz mit mitleidiger Geringschätzung.

      »Wenn ich nur ein paar von diesen Leuten kennte,« dachte sie, in das Parkett blickend, »nur einen einzigen wenigstens!«

      Und einen einzigen kannte sie wirklich! Es war gar kein Zweifel. Da unten saß in einer der vordersten Reihen der Major von Rönne, in Zivil natürlich ... in demselben grauen Zivil, das er neulich getragen. Wenn sie die Augen etwas schloß, um nicht durch das Flimmern des Rampenlichts geblendet zu werden, erkannte sie ihn ganz genau.

      Merkwürdig! Er hatte doch gesagt, daß er nie ins Theater ging!

      Aber ehe sie noch darüber nachdenken konnte, erhoben sich vorn Grillon, die Dobschütz und die anderen und traten nach rechts ab.

      Die Souffleuse gab ihr, vom Buch aufsehend, ein Zeichen.

      Sie schritt also vor und begann den Tisch abzuräumen. Alle Augen, das fühlte sie, waren in diesem Moment auf sie, die allein auf der Szene stand, gerichtet. Ein lautloses Schweigen herrschte im Zuschauerraum wie auf der Bühne. Selbst die Souffleuse war verstummt.

      Nur die Tassen und Löffel klirrten leise.

      Wozu diese stumme Szene notwendig sei, hatte sie einmal auf der Probe gefragt, und Hochmann hatte sie belehrt, daß dies den jetzt verpönten Monolog ersetze.

      Und Grillon hatte maliziös gemeint:

      »Man kann nicht in einem fort ehebrechen! Es muß auch Pausen geben!« –

      Endlich war sie fertig und trug das Brett hinter die Kulissen. Ein ironisches Klatschen erscholl da und dort.

      »Was heißt denn das?« fragte sie verblüfft den Inspizienten. Aber der zuckte die Achseln und ging weiter.

      Es herrschte überhaupt eine unangenehme Stimmung. Das merkte sie, wenn sie auch nicht recht begriff, warum. Besonders gegen das Ende des Aktes. Da scholl plötzlich ein- oder zweimal ein undefinierbares, dumpfes Geräusch aus dem bisher lautlosen Parkett, eine Art kurzes Murmeln, das sofort wieder verstummte.

      Hinter der Szene brachte es eine tiefe Wirkung hervor. Man sah sich an und zuckte bedeutsam die Achseln. Aber niemand sprach ein Wort.

      Und dann fiel der Vorhang, und das Prasseln klang noch matter als bisher hinterdrein.

      Die Szene wurde geändert. Theaterarbeiter liefen mit Möbeln hin und her, es tönte leises Hämmern und Pochen. Valeska stand müßig ganz im Hintergrund an der staubigen Backsteinmauer, neben dem Tisch, an dem der Inspizient seine Requisiten für den dritten Akt ordnete.

      Da trat ein Herr durch die Tür, die zum Zuschauerraum führte, und ging langsam längs der Wand nach hinten.

      Valeska betrachtete ihn neugierig. Das war also einer der Gigerl, von denen sie schon soviel in den Witzblättern gelesen.

      Aber freilich kein lächerlicher Gigerl. Im Gegenteil, der finstere, hünenhaft gebaute Dandy mit der weitläufig schlotternden Kleidung und der goldenen Keule imponierte ihr ungemein.

      Zu ihrem Erstaunen blieb er neben dem Requisitentisch stehen und warf aus seinen grauen, stählern glänzenden Augen einen Blick auf sie.

      »Den möchte ich nicht im Zorne sehen!« dachte Valeska beinahe furchtsam. »Das ist ja ein gefährlicher Mensch!«

      Aber der Fremde war augenblicklich durchaus nicht grimmig.

      »Nun ...!« sagte er ganz leutselig zu dem Regisseur, der, herbeikommend, ihn jetzt erst erblickte. »Sie haben ja da eine neue Kraft gewonnen ... wollen Sie mich nicht vorstellen?«

      »Aber ... bitt' schön, Herr Baron! ... Herr ... Herr von Seybling ... Fräulein Elten ...«

      Herr von Seybling!

      Ein freudiger Schrecken durchzuckte Valeska.

      »Oder störe ich Sie etwa?« fuhr jener fort. »Manche Künstler lieben es nicht, in den Zwischenakten aus dem Geiste ihrer Rolle gerissen zu werden.«

      »Ach bitte ...«, sagte Valeska scheu und sah zu dem Stutzer empor, dessen Riesengestalt sie hoch überragte, »meine Rolle ist nicht so groß.«

      »Aber Sie sehen wenigstens reizend aus! Darüber ist in unserer Loge alles einig!«

      »Ach ... in der Proszeniumsloge?« fragte Valeska schnell. »Da, wo alle die Gig... wo die Herren sitzen?«

      »Wo die Gigerl sitzen«, bestätigte Herr von Seybling ernsthaft. »Aber im Vertrauen gesagt, mein gnädiges Fräulein, es gibt gar keine Gigerl, sondern nur einige Menschen in Europa, die sich anständig anziehen. Und für manche andere fängt der Stutzer schon beim reinen Hemdkragen an!«

      »Ja ... verzeihen Sie bitte ...«, sagte Valeska, »ich bin eben erst aus der Provinz angekommen und fühle mich noch so dumm in Berlin ...«

      »Da läßt sich schon Rat schaffen, mein Fräulein!« Seyblings stählerner Blick heftete sich unverwandt und prüfend auf ihr Gesicht. »Ihnen kann es hier nicht fehlen, wenn Sie ...«

      Aber da tönte das Klingelzeichen zum dritten Akt.

      »Auf Wiedersehen!« sagte Seybling, reichte ihr seine Rechte, in der ihre schmale Hand fast verschwand, lüftete höflich den spiegelnden Zylinder und ging davon.

      Thilda kam in großer Aufregung heran.

      »Ich habe Seybling noch nie auf der Bühne gesehen. Er muß eigens wegen dir heraufgekommen sein!«

      »Tant mieux!« meinte die Elten leichtsinnig und mit pochendem Herzen.

      Thilda warf ihr einen strafenden Blick zu. »Sprich nicht so!« sagte sie kurz.

      »Sie ist doch ein blondes Schaf!« dachte Valeska und schwieg.

      Wiederholt

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