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Bein den Ärmsten gehindert, dem Beispiel der Vorfahren zu folgen.

      Wirklich erschienen die beiden Brüder einen Augenblick zu spät, und der Major begann beim Eintreten sich in beinahe auffälliger Verlegenheit zu entschuldigen.

      Aber der kleine General ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.

      »Tjä ... tjä ... Liebster, Bester!« rief er eifrig. »Keine Exküsen ... bitte jehorsamst ... in Ihrer schönen, verantwortlichen Stellung kommt der Dienst vor allem, und erst, wenn der getan ist, sind Sie Mensch und können an anderes denken ... und darunter auch an Ihren alten Freund und Jönner Westrow! Hier, lieber Major ... und Sie da unten ... Sie Assessor! ... Karl, die Suppe für die Herren, aber ein bißchen dalli ... sehen wirklich übermüdet aus, Major!«

      So setzte man sich.

      Wenn die wüßten, wo wir herkommen, dachte der Assessor, während er die Serviette entfaltete. Aber soll ich ihnen etwa sagen, daß wir uns mit zwei kleinen Theaterprinzessinnen im »Nassen Dreieck« verbummelt haben? Entsetzlich!

      Das bei ihrem Eintritt unterbrochene Gespräch wurde wieder aufgenommen.

      »Nein, ich versichere Sie,« sagte die hübsche kleine Frau von Harwitz mit ihrer Kinderstimme, »Hans Dobrecht stand im 5. Garde-Regiment, ehe er heiratete und sich zu den 22. Husaren versetzen ließ.«

      »Es waren damals drei Dobrechts in dem Regiment,« bemerkte in seinem tiefen Baß der Oberst von Westrow, »man nannte sie die drei D's.«

      »Ja,« sagte Herr v. d. Lünne, »der dicke Dobrecht, der dolle Dobrecht und ... ja ... und ...«

      »Und der dumme Dobrecht,« ergänzte der Hauptmann von Harwitz behaglich, »den meint meine Frau ja eben!«

      Darüber lachte man.

      »Wo sind denn die beiden andern hin?«

      »Der eine steht noch im Re'ment«, sagte unten einer der Leutnants von Isingen.

      »Das ist der dicke,« hieß es, »der soll jetzt ein ›Streber‹ geworden sein.«

      »Und der andere hat auch geheiratet und als Reichmeier seinen Abschied genommen. Lebt jetzt in Wiesbaden. Seine Frau ist eine Tochter von dem General von Ehrenschwert II.«

      »Der die 80. Kavalleriebrigade hat?«

      »Ja, eben der! Früher bei den Winterfeldt-Dragonern.«

      »Ist denn der so reich?«

      »Ja ... die Frau hat's ... eine Amerikanerin! Sind übrigens vier Töchter da!«

      Und so kam man von den Dobrechts auf die Ehrenschwerts und von diesen auf die ihnen vervetterte Sippe der von Messow auf Pletzow, deren einer Sprosse, der 10. Kürassier, eben sich mit einem Fräulein Westrow verlobt hatte.

      Herrn v. d. Lünne, den eleganten Generalstäbler und Prinzenadjutanten, langweilte diese Familiensimpelei denn doch allmählich. Er wandte sich zu dem Major.

      »Na, alter, tüchtiger Rönne, was machen denn Sie für Geschäfte?«

      Der fuhr wie aus einem Traum auf.

      »Danke, ganz gut, lieber Lünne«, sagte er rasch.

      Er hat mich gar nicht verstanden, dachte der Generalstäbler und fügte laut hinzu:

      »Und wie geht's der Frau Gemahlin?«

      »Meiner Frau? ... Wie immer!« sagte der Major ruhig. »Sie wissen ja – von Besserung kann kaum mehr die Rede sein!«

      »Nun, nun, nur immer Kopf hoch!«

      Der elegante Herr v. d. Lünne sah etwas verwirrt auf seinen Teller nieder. Er hatte ganz vergessen, daß Frau v. Rönne schon seit Jahren bettlägerig war. Bald nach dem Tode ihrer beiden Kinder hatte sich das schleichende Leiden eingestellt. Die Ärzte hielten das Ende für nahe.

      Aber der Major war nicht der Mann, andere unnütz in Verlegenheit zu lassen.

      »Haben Sie schon die neueste Sache von Boguslawski gelesen, Lünne?« fragte er über den Tisch hinüber. Der Generalstäbler bejahte eifrig, und sofort waren die beiden Herren in ein Fachgespräch über die bei der ersten Besetzung von Orleans 1870 begangenen Fehler vertieft.

      Aber bald wurden sie wieder gestört.

      »Hören Sie mal, lieber Lünne,« rief der Oberst von Westrow vom unteren Ende der Tafel mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme, »Sie sind ja doch vereidigter ›Bärenführer‹ ...«

      »Das ist nämlich ein Spitzname für die Adjutanten der Duodezprinzen«, belehrte flüsternd seine kleine blonde Tochter den neben ihr sitzenden Assessor.

      »... und kennen alle Hofgeschichten«, fuhr der Oberst fort. »Nu sagen Sie mal, die jetzige Großfürstin Arkad ist doch eine geborene Stayningen-Westerfeld; hier Exzellenz meint, sie sei eine Stayningen-Altstayningen.«

      »Nicht doch, Exzellenz,« erwiderte Herr v. d. Lünne verbindlich, »diese Linie ist erloschen. Sie ist eine Stayningen- Westerfeld, aus der zweiten Ehe des Fürsten mit Prinzeß Clara Dietenstein.«

      Darüber entspannen sich neue Erörterungen, an denen sich auch die Damen lebhaft beteiligten.

      Der Major schwieg.

      Mehr denn je ermüdete ihn dieses stundenlange Hin- und Hergerede über Verwandte und Bekannte, die eigentlich so wenig des Interessanten boten.

      Er war viel im Reiche umhergekommen. In Kasinos und Honoratiorenklubs, an Fürstentafeln und als Manövergast der Schlösser hatte er in Ostpreußen wie in Schwaben, an der Elbe wie am Rhein die oberen Zehntausend kennengelernt.

      Und doch war es dem Major von Rönne, als habe er sein ganzes Leben auf einer Art Insel zugebracht, einer Insel, die außer ihm noch einige hundert oder tausend Menschen beherbergte. Und das seit dem Tage, da man ihn, den neunjährigen Knirps, in die Kadettenuniform eingeknöpft, viele Jahre hindurch bis jetzt.

      Diese Insel hatte er in jeder Stadt neu vorgefunden, in die ihn das Schicksal führte.

      Immer dieselben Kasinos und Kasernen, derselbe Kreis glänzender Uniformen, der sich, nicht unfreundlich, aber bestimmt, gegen die übrige Welt abschloß.

      Und in dieser Welt mußte sich doch auch leben lassen. Und sie selbst, sie lebten doch von dieser Welt. Denn von fern her, wo die Maschinen summten und surrten, wo aus der Handwerksstätte der Hobel schrillte und der Hammer klang, wo der Bauer zitternden Armes mit der Pflugschar die fettglänzenden Schollen umlegte und der Winzer mit Bastschnur die Rebenschößlinge aufband, von da kam das Geld, die Hunderte von Millionen, deren die Armee bedurfte.

      Gewiß, diese Armee war notwendig: für den Frieden, zu dem jene Welt betete, und für den Krieg, den er ersehnte.

      Aber der Krieg kam ja nicht. Seit zwei Jahrzehnten stand man nun gewappnet und wappnete sich alljährlich stärker, und die anderen rüsteten dagegen, und schließlich ...

      Die Geschichte jenes mittelalterlichen Turniers fiel ihm ein, wo sechzig Ritter ohne einen Schwertstreich vor Staub und Hitze in ihren überschweren Harnischen erstickten.

      Da entstand ein Stühlerücken. Die Exzellenz von Isingen hob die Tafel auf und schritt am Arme des Gastgebers in den Salon.

      Dort blieb man noch einige Zeit, Kaffee trinkend und plaudernd, stehen.

      Dann verzogen sich die Damen ins Nebenzimmer, und bald entwickelte sich dort eine lebhafte Unterhaltung, bei der der zahlreiche Kindersegen der Familien Westrow und Isingen, die Dienstbotenfrage und das Problem »Hertzog oder Gerson?« die Hauptrolle spielte.

      Die Männer blieben zurück, um bei einem Glase Bier zu plaudern. Das Gespräch nahm sofort eine Wendung zu ernsten Dingen. Der finstere General von Isingen, der bis dahin fast fortwährend geschwiegen, entwickelte in glänzender Knappheit seine Ansichten gegen die zweijährige Dienstzeit, wegen der er seinen Abschied genommen; der Generalstäbler widersprach höflich unter Darlegung der politischen Verhältnisse, die er bis auf das kleinste beherrschte; einer der jungen Leutnants,

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