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Fräulein Thilda?«

      »Gewiß!« sagte Thilda. »Ihm schrieben sie ja hier schon in der Reitstunde das große Wort zu: ›Kerl lümmelt sich da auf dem Gaul herum wie die Ariadne auf dem Naxos!‹«

      Die kleine Elten konnte sich nicht mehr halten: »Donnerwätter!« sagte sie zu Thilda und kopierte täuschend den näselnden Kavalleristenton. »Önneroffizier, jebrauchen Sie jefälligst nich immer Jleichnisse aus biblische Jeschichte!«

      Darüber entstand erneute Heiterkeit. Valeska aber wandte sich zu dem Major und sagte ernsthaft: »Das ist nun wirklich eine Errungenschaft aus Bergheim, oder vielmehr aus unserer Sommersaison im Bade Holl. Da kamen die Herren immer des Abends in Zivil herüber und gingen einfach hinter die Kulissen ...«

      »Und wurden nicht weggewiesen?«

      »Aber ich bitte Sie, sie nahmen ja immer eine ganze Proszeniumsloge, und in den Knopflöchern hatten sie kleine Sträußchen stecken, die warfen sie uns dann auf die Bühne ... ach, das waren zu reizende Menschen!«

      Thilda machte ein etwas bedenkliches Gesicht. »Ich bin froh, daß ich kein Sommerengagement mehr anzunehmen brauche,« sagte sie, »diese trostlose Schmierenwirtschaft ...«

      »Da liegt Poesie drin!« widersprach die Elten lebhaft. »Und zu drollig ist's manchmal! Früher«, wandte sie sich zu dem Assessor, »soll in dem Badetheater eine furchtbar geizige Direktorin gewesen sein. Die machte im ›Freischütz‹ den Wolfsschluchtzauber selbst mit und galoppierte als Wildschwein auf allen vieren über die dunkle Bühne. Eines Abends aber leuchtete ihr Max mit seinem Kohlenpfännchen ins Gesicht und fragte höflich: ›Guten Abend, Frau Direktor! Wo wollen 5ie denn so spät noch hin?‹«

      »Das rechte Auge eines Wiedehopfs,« deklamierte Thilda, »das linke eines Luchses ...«

      »Das linke ist Luxus!« bestätigte die kleine Elten ernsthaft und fuhr dann eifrig fort: »Einmal – das hab' ich von diesem Sommertheater doch selbst gehört – da versprach sich die Amalie in den ›Räubern‹, und der Direktor zog ihr dafür anderthalb Mark ab. Einen Taler sollte sie für den ganzen Abend bekommen. Da ging sie in ihre Garderobe und zog sich aus. Daraufhin streikten auch Franz Moor, der Pfarrer und alle Räuber, bloß der Kosinski nicht, ein strebsamer polnischer Anfänger. Mit dem spielte Karl Moor allein das Stück zu Ende. Sowie der Kosinski auftrat, fragte er ihn: ›Wo sind meine Räuber?‹ – ›Tott, großer Hauptmann!‹ – ›Und mein Bruder?‹ – ›Auch tott!‹ – ›Und Amalie und ...?‹ – ›Tott ... alles tott!‹ Daraufhin sagte Karl Moor: ›Dem Manne kann geholfen werden!‹ und ging ab. Und erst als der Vorhang fiel, schrie eine Stimme von der Galerie: ›Der alte Moor sitzt ja noch im Hungerturm!‹«

      »Immer noch besser als hier im Parodie-Theater«, bemerkte, sein Monokel festklemmend, der Assessor. »Da sperrten sie den alten Moor in den Durstturm und stellten eine große Weiße davor!«

      Die beiden Mädchen schüttelten sich vor Lachen, und Thilda rief: »Das ist doch dort, wo in den Ritterstücken zum Schluß der Lampenputzer kommt und alles auf der Bühne totschlägt?«

      »Gewiß!« bestätigte der Assessor. »Früher gab man da schöne Stücke: ›Die Ehre oder die Jöhre, oder wenn ick so wat höre!‹ und die ›Haubenlerche‹, oder ›Lerche, Liebe, Leichtsinn und Lumpenmatz‹, Schauspiel in zwei Hauben und einer Lerche! Jetzt aber muß man in das American-Theater gehen. Das ›Kind in der Kommode‹ ist einfach groß!«

      »Det Kind is 'n Affe!« murmelte die Elten, die dies kleine Meisterwerk des Berliner Verismus aus der Reklamschen Bibliothek kannte. »Und ick bin sein Vater ... jloobt et mir!«

      Abermals schrien die drei vor Entzücken. Valeska aber wandte sich mit vor Lachen feuchten Augen zu dem Major, der ihr das Weinglas füllte. »Wir sind zu kindisch!« sagte sie. »Sie müssen sich wirklich bei uns langweilen.«

      »Ich beneide Sie, mein Fräulein,« sagte Herr von Rönne, und es zuckte seltsam über sein müdes, geistvolles Gesicht, »und es tut mir wohl. Ich weiß kaum, wieviel Jahre vergangen sind, seitdem ich kein so frisches, helles Lachen mehr um mich hörte.«

      »Sprechen Sie, bitte, vor ihm nicht von Kindern!« flüsterte der Assessor rasch Valeska zu, während sein Bruder sich eben zu einem vorübergehenden Kellner wandte. »Er hat vor fünf Jahren seine beiden einzigen Knaben an der Diphtheritis verloren.«

      »Der Ärmste!« Valeska empfand ein tiefes Mitleid mit dem freundlichen, vornehmen Manne. »Ist er denn auch Witwer?«

      »Nein. Die Frau lebt noch!«

      Thilda hatte nichts von dem Gespräch gehört.

      »Was machen Sie denn für ein Gesicht?« rief sie über den Tisch herüber zu Valeska. »Sie sehen ja wieder aus wie drei Tage Regenwetter. Und dabei hat sie eine Bombenrolle in unserem neuen Stück!« erklärte sie, zu den beiden Herren gewandt.

      Die kleine Elten, die schon ein paar Gläser Rheinwein getrunken hatte, wurde traurig.

      »Spotten Sie nur!« sagte sie kläglich. »Jetzt, wo ich ein bißchen vergnügt bin ... ich komme mir ohnedies schon vor wie ein gescheuchter Hase ... hier in Berlin!«

      »Scheint Ihnen aber gut zu bekommen, gnädiges Fräulein!« bemerkte der Assessor.

      Allein Valeska ließ sich nicht überzeugen.

      »Ich bin ein armes Häsulein!« trällerte sie und schlug mit den Fingern den Takt auf den Tisch. »Sie auch, Fräulein Thilda ... die Dobschütz bringt uns um.«

      »Wer ist denn die Dobschütz?« fragte der Major.

      »Kennen Sie die Dobschütz nicht?« Valeska schien sehr verwundert. »Dann seien Sie froh. Das ist eine Ausgeburt der Hölle, nicht wahr?«

      »Jawohl!« Thilda konnte das mit gutem Gewissen bestätigen. Wer die Dobschütz umbrachte, tat ein gutes Werk.

      »Sie haben leicht lachen,« sagte sie zu den Herren, »aber wir Ärmsten ... wir ...«

      »Wir sind zwei arme Häsulein!« trällerte die Elten wieder und leerte seelenvergnügt ihr Glas. »Besonders ich! Alle piesacken sie mich hier in Berlin ... und ich hab' doch keinem was getan! Es ist ein Elend!«

      »Ach, Kinder,« sagte sie dann träumerisch, »hier ist es doch zu nett! Die Musik und die bunten Bilder und die vielen Menschen ... und ... und so alles ... Gestern um die Zeit war ich beinahe verzweifelt! Ich habe heute die halbe Nacht geweint«, wandte sie sich zu dem Major und sah ihn aus ihren großen, seelenvollen Augen an.

      »Und kamen sich als armes Häschen vor!« lachte der Assessor.

      Thilda goß ihr Wein ein:

      »Ich glaube, das Häschen hat es faustdick hinter den Löffeln!«

      »Ich?« Valeska bemühte sich, ihre unschuldigste Kindermiene aufzusetzen, während ihr der Schalk um die Mundwinkel zuckte. »Ich hab's schon vorhin dem Herrn Major gesagt ... ich bin froh, wenn ich nur das Leben hab' ...«

      »Und die Rolle der Rieke!« lachte Thilda.

      Valeska schlug zornig mit der kleinen, geballten Faust auf den Tisch.

      »Diese Rieke!« rief sie empört. »Diese Rieke, dieses Scheusal ... morgen schick' ich dem Alten die Rolle zurück! Die kann er sich sauer kochen lassen! Ich spiele sie nicht! Diese Rieke ...!«

      Dabei sah sie sich doch aber etwas ängstlich um, ob jemand ihre despektierliche Musterung gehört habe.

      »Sie werden die Rolle spielen,« sagte inzwischen Thilda kaltblütig, »und wenn das Stück was macht, werden Sie sie hundertmal spielen und, wie Sie eben treffend bemerken, froh sein, daß Sie das Leben haben.«

      »Natürlich werde ich das!« Valeska war schon wieder ganz kleinlaut. »Aber sagen Sie alle: ist es nicht eine Erbärmlichkeit, solche Rollen zu schreiben? Zu was haben wir denn die Theaterzensur? Die sollte solche Rollen verbieten, statt der Stücke!«

      Der Major hatte die ganze Zeit schweigend dagesessen.

      »Um

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