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Ihren Kolleginnen geht es ebenso. Der größte Teil Ihrer Kollegen, alle Angestellten und Arbeiter, erwerben knapp durch angestrengte Arbeit das zum Leben Nötige. Hochmann selbst quält sich bei Tag und Nacht und kommt auf keinen grünen Zweig. Was er verdient, fressen ihm die Mietrente an Schliephacke und die Zinsen an Seybling und Genossen wieder weg.«

      »Also leben die eigentlich von uns!«

      »Sie säen nicht, sie ernten nicht,« sagte der Journalist, »aber es geht ihnen recht gut auf Erden. Denn sie sind Kapitalisten, und wir – Sie und ich, mein Fräulein – sind arme Teufel. Und wenn ihr euch am Sonntag abend im ausverkauften Hause stundenlang müht, daß der Beifall dröhnt und der Schweiß euch Streifen in die Schminke zieht, so bekommt ihr darum nicht einen Groschen mehr. Freilich müßten jene auch den Verlust tragen, wenn Hochmann umwirft. Aber das kommt nicht vor, und sie könnten's verschmerzen.«

      »Ja, das ist aber doch ...«

      »Das ist eine alte Geschichte, mein Fräulein – und wem sie just passiert, der wird Sozialdemokrat, offen oder heimlich. Das sind wir hier alle!« Er stand auf und strich über den Zylinder. »Und nun, wie wär's? Soll ich 5ie nicht ein bißchen in Berlin herumführen? ... Nein? Dann nicht. Deswegen brauchen Sie doch nicht so entrüstet auszusehen, mein gnädiges Fräulein ... ich denke mir nichts Böses dabei. Auch muß ich 'nen Moment in den Reichstag ... es ist Abendsitzung, Sie wissen, die große Vorlage; dann aufs Telegraphenbureau, dann in den »Kaiserhof«... Ach bitte, Frau von Haidenschild, lassen Sie mich morgen in aller Frühe wecken, so um neun Uhr etwa, ich muß zeitig in das Kultusministerium. Gute Nacht, meine Damen!«

      »Schade um den Herrn Lenze,« sagte die Haidenschild, ihm nachschauend, »so ein talentvoller Mensch und dabei...« sie neigte sich vertraulich zu Valeska ... »Sie müssen nicht alles ernst nehmen, was er sagt. Er hat schon dreimal gesessen ... in Plöhensee ... wegen Preßvergehen. Aber das rechnen sich die Herren ja fast zur Ehre!«

      Lange noch saß Valeska sinnend in ihrem Zimmer. Es war ihr, als läge der Morgen dieses ersten Tages

      in Berlin seit Wochen hinter ihr. so viel hatte sie heute erlebt und erfahren.

      Aber nichts Erfreuliches.

      Sie kam sich so klein vor, so winzig klein und unbedeutend. So überflüssig in diesem lärmenden, riesenhaften, kalten Berlin.

      Wenn sie mich morgen hier tot finden, dachte sie, sich in die Bettdecke einwickelnd, so kräht kein Hahn danach. Höchstens kriegt eine andere die Rolle der Rieke... vielleicht die Blondine... der möcht' ich's gönnen. –

      Sie versuchte zu schlafen. Aber das Geklingel der bis nach Mitternacht rollenden Pferdebahnwagen hielt sie wach.

      Wie würde das enden?

      Wäre sie doch in Bergheim geblieben, wo jeder Mensch sie kannte, wo die Spaziergänger auf den Straßen sich nach ihr umschauten und ein geflüstertes: »die Elten« alle Augenblicke hinter ihr erscholl.

      Und wo sie ihren kleinen Husaren Fritz hatte, den lieben Kerl.

      Sie fühlte sich entsetzlich einsam und verlassen. Sie schob im Dunklen den Kopf zur Seite, als wolle sie sich irgendwo zärtlich anschmiegen, und stieß unsanft mit der Stirn gegen die Wandtapete.

      Und die Tränen kamen über sie. Sie schluchzte lautlos in die Kissen, während draußen die Pferdebahnen klingelten und über den Flur her das schwere Atmen der Damen – die Herren bummelten natürlich alle noch in Berlin herum – in regelmäßigen Pausen erscholl.

      Wäre sie doch in Bergheim geblieben!

      Aber da klang ihr wieder die Warnung des siechen Mimen Sparski im Ohr:

      »Und die Jahre wandern, deine Schönheit verblüht, und du sitzest als komische Alte in Kötzschenbroda oder Meseritz. Und bist vielleicht nur alt, nicht komisch!«

      Nein! Sie wollte Karriere machen!

      »Und vielleicht findest du auch hier einen Freund!« flüsterte es ihr lockend zu, während sie in Halbschlaf versank.

      Sie fuhr wieder auf.

      »Ich will mich doch nicht mehr verlieben!« sagte sie halb weinend vor sich hin. »Ich mache mich bloß unglücklich damit. Ich will nicht, ich will nicht.«

      Aber als sie von neuem einschlief, führte sie der Traum in das Bergheimer Stadt-Theater, wo man den »Lohengrin« gab. Es war, als trüge Lohengrin die Züge ihres verstorbenen Rittmeisters, den sie so oft wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Schwanenritter geneckt. Und von ferne klang leise und sehnsüchtig der Traum der Elsa:

      »Ein golden Horn zur Hüften,

       Gelehnet auf sein Schwert,

       So trat er aus den Lüften

       Zu mir, der Recke wert.«

      Draußen auf der Treppe knarrte leise die Zimmertür des Grafen Vach. Ein paar halblaute Worte, das leichtsinnige Auflachen einer süßen, vornehmen Frauenstimme, das warnende, tiefe Murmeln eines andern – dann ging die Tür behutsam ins Schloß. Der Spuk war verschwunden.

      Undeutlich hatte ihn Valeska vernommen. Jetzt schlief sie wieder fest ein. Und wieder sah sie Lohengrin vor sich stehen, und seine blauen Augen hefteten sich gütig auf sie, die arme kleine, ratlose Theaterprinzessin, und wieder hörte sie die süße Melodie:

      »Mit züchtigem Gebaren

       Gab Tröstung er mir ein.«

      Und aufjauchzend klang es zum Zittern der Harfen und Geigen:

      »Des Ritters will ich wahren!

       Er soll mein Streiter sein.«

      IV.

       Inhaltsverzeichnis

      »Also erster Akt, erste Szene ... Fräulein Dobschütz, Sie sitzen beim Aufgehen des Vorhanges auf dem Kanapee rechts vorn ... so ... nun Fräulein Elten von links ... drei, vier Schritte in die Mitte ... halt ... genug ... nun los!«

      Valeska war noch ganz atemlos. Gegen Morgen war sie, erschöpft von den Eindrücken des ersten Tages in Berlin, in tiefen Schlummer versunken und hätte ohne Frau von Haidenschild, die an ihre Tür klopfte, wahrscheinlich die erste Probe verschlafen. Nun war sie gerade noch zurechtgekommen, ehe der Direktor auf die Bühne trat, und den neuen Kollegen vorgestellt worden.

      Sie trat also von links vor.

      »Madame, der Herr Baron is draußen«, sagte sie etwas befangen zu der Dobschütz, die in verächtlicher Majestät dastand und sie kaum ansah.

      »Lauter, Fräulein«, bemerkte Hochmann. »Es sind die ersten Worte. Das Parkett ist noch unruhig!«

      »Madame, der Herr Baron is draußen«, sagte die Elten mit lauterer Stimme.

      »Und nicht so spitz sprechen, Fräulein! Rieke ist als ›Mädchen für alles‹ bei einem Schnittwarenhändler in Dienst... bei einem Schnittwarenhändler...«, wiederholte Herr Hochmann sinnend mit dem Tone ruhiger Überzeugung. »Also etwas dreister... etwas robuster! So... weiter...«

      Fräulein Dobschütz blickte in ihre umfangreiche Rolle und warf nachlässig ihr Stichwort hin.

      »Da soll ick ihm nich 'rinlassen?« fragte die Elten.

      »Also meinetwegen... ich lasse bitten...«, erwiderte die Dobschütz.

      »Is jut!«

      »So... nun markieren Sie ein vertrauliches Lächeln, Fräulein Elten... Sie sind Mitwisserin des Ehebruchs!« rief der Direktor eifrig. »Zurück an die Tür links. Sie öffnen sie, lassen Herrn Grillon eintreten... werfen einen lächelnden Blick auf die Herrschaften und diskret ab!... Weiter.. zweite Szene!«

      »Uff!« sagte die Elten halblaut und trat hinter die Pappwand, die einstweilen das geschlossene Zimmer markierte, in dem sich das Stück abspielen sollte. Dort blieb sie stehen. Für die nächsten zwanzig Minuten hatte sie

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