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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
In dem behaglich eingerichteten Vorzimmer blieb sie lange Zeit allein.
So saß sie stumm und müßig da. An das Antichambrieren gewöhnte sie sich schon allmählich.
Im Nebenzimmer, beim Agenten, war Josef Jeserich, der berühmte Wandervirtuose und »Mauerweiler«, ein Mann, dessen imposanter Gesichtsausdruck schon sagte, daß für ihn die Achse des Weltalls mitten durch seine Garderobe ging.
Ein erregtes Gespräch klang zu Valeska hinaus. Es handelte sich um die Zusammenstellung einer Gastspieltournee. Die Namen der Direktoren und Intendanten, der Autoren, deren Stücke in Frage kamen, der beteiligten Schauspieler, die Tantiemeberechnungen und Provisionssätze, die Durchschnittserträge der einzelnen Theater, die Kosten für Ankauf eines vielversprechenden französischen Stückes, das alles schwirrte bunt durcheinander.
Man schien sich nicht einigen zu können. Wenigstens erhob sich der Mime plötzlich, ergriff seinen Hut und öffnete die Tür zum Vorzimmer. Der Agent lief hinter ihm her.
»Ich habe doch nun mal nicht die Verfügung über die Kasse des Direktors Schwarze,« rief er erregt, »wenn der Mann mir sagt ... so und so ... und mehr kann ich nicht ...«
»Ich komme morgen wieder, Herr Hassel«, sagte der Tragöde mit leiser, melodisch aus tiefer Brust klingender Stimme, grüßte freundlich die kleine Schauspielerin, die beim Eintritt ihres berühmten Kollegen aufgestanden war, und ging.
Der Agent, ein großer, wohlbeleibter Herr mit schneeweißem Patriarchenbart und spärlichem Silberhaar, unter dem eine rosige Glatze schimmerte, hörte mit freundlichem Lächeln Valeskas Klagen an.
»Ja ... Fräulein ... zu machen ist da nichts!« sagte er. »So mir nichts, dir nichts kriegt man nicht erste Rollen in Berlin. Seien Sie froh, daß ich Sie an das schöne Theater gebracht habe ... jetzt seien Sie fleißig und geschickt ... suchen Sie die einflußreichen Leute für sich zu gewinnen ... Haben Sie Seybling vielleicht kennengelernt? ... Nein? ... Da halten Sie sich daran. Der und die Dobschütz spielen die erste Flöte. Wenn Sie natürlich Schliephacke auch für sich interessieren können, ist's um so besser.«
Seybling ... Schliephacke ... Valeska sah den Agenten fassungslos an.
Aber Herr Hassel hielt es offenbar für überflüssig, sie aufzuklären.
»Also machen Sie's gut, Kind!« sagte er väterlich. Und vertraulicher setzte er hinzu: »Und verplempern Sie sich nicht! Das Westend-Theater ist ein heißer Boden.«
»Wer ist denn da besonders gefährlich?« fragte die hübsche Schauspielerin naiv.
»Ich möchte Sie vor allen Dingen vor dreien warnen! ... Der eine ist Seybling, der andere ist Harald Grillon und der dritte ...«, der Greis lächelte mild und schalkhaft, »der dritte bin ich selbst! Also seien Sie klug und werden Sie weder Frau von Seybling noch Frau Grillon ...!«
»... noch Frau Hassel!« setzte Valeska kaltblütig hinzu. Derlei Dinge waren ihr nichts Neues. »Ich verstehe. Guten Morgen!«
»Guten Morgen, liebes Fräulein!«
Nun begann die Rundfahrt auf den Redaktionen. Valeska hielt sie nach ihren Provinzerfahrungen für unbedingt erforderlich. Erst später erfuhr sie, daß man in Berlin bereits angefangen habe, sich von diesem Brauch zu emanzipieren, oder ihn durch das Versenden von Visitenkarten an die Kritiker zu ersetzen.
Von diesen traf sie auch nur wenige an. Einige Feuilletonredakteure empfingen sie freundlich, aber mit der Miene vielbeschäftigter Männer, ein oder zwei große Blätter nahmen die Anzeigen von Gastspielen und Debüts überhaupt nur auf schriftlichem Wege entgegen.
Es war doch ganz anders als in Bergheim, wo sie, der Stern des Theaters, der den ganzen Winter hindurch den Kasinotafeln und Stammtischen, den Damenkaffees und Backfischkränzchen unerschöpflichen Gesprächsstoff lieferte, von Zeit zu Zeit, wenn eine besonders günstige Kritik über sie erschienen, neckisch lachend in das düstere Redaktionszimmer rauschte, um dem Redakteur völlig den Kopf zu verdrehen und nach einem Plauderviertelstündchen sich durch ein Spalier staunender Metteure, Laufburschen und Expedienten mit lieblicher Herablassung zu empfehlen.
Dies Berlin! Diese eisige Gleichgültigkeit, die ihr entgegentrat, diese geschäftsmäßige Seelenlosigkeit im Verkehr, diese blinde, ebenso geschäftsmäßige Anbetung des Erfolges!
In der Leipziger Straße, auf deren Schattenseite sie langsam zu Fuß ihrem Hotel zuschritt, blieb sie vor einem Schaufenster stehen.
Die Photographien zahlreicher Schauspielerinnen hingen darin, wahllos zwischen Potentaten, Abgeordneten, Schriftstellern, Afrikaforschern und sonstigen Berühmtheiten des Tages. Unter jeder Photographie stand auf einem Zettelchen der Name.
Viele Namen waren es nicht. Etwa ein Dutzend, das immer wieder in den Schaufenstern der Papiergeschäfte und Buchläden auftauchte.
Sie blickte beinahe ehrfurchtsvoll auf die Bilder dieser Kolleginnen. Die hatten also den Erfolg errungen! Aber wie – das hätte sie gar zu gern gewußt.
Und da fiel ihr ein: sie trug ja noch einen Brief in der Tasche. Einen Brief, den ihr Bruckhoff, der alte Direktor des Bergheimer Stadt-Theaters, an den einst weltberühmten Menschendarsteller Sparski in Berlin mitgegeben.
Als junger Bursche war er mit Sparski zusammen an »der Burg« engagiert gewesen ... »damals« ... »unter Laube« usw. ... beides blutige Anfänger, die sich dann während ihres wechselvollen Lebenslaufes nicht mehr aus den Augen verloren hatten.
Jetzt hatte sich Sparski schon lange krankheitshalber von der Bühne zurückgezogen. Man sprach nicht mehr von ihm, der einst der Abgott des Publikums, ein Gegenstand bewundernden Neides für die Kollegen, ein Schrecken der Ehemänner und ein wonniger Dämon der Frauen gewesen war.
»Direkt helfen wird er Ihnen nicht können, Elten,« hatte der alte Bruckhoff zu ihr gesagt, »aber klug ist er, mein Freund Sparski ... sehr klug. Er kennt Berlin, er kennt das Theater, er kennt die Menschen. Suchen Sie ihn recht bald auf und grüßen Sie ihn von mir.«
Valeska entschloß sich, das jetzt gleich zu tun. Vielleicht fand sie da Trost und Ermunterung.
Eine Droschke führte sie vor ein unsauberes, altes Haus in einer stillen Seitenstraße. Eine brummige Magd öffnete die Flurtür, nahm die Karte in Empfang und führte sie in das Zimmer.
Valeska trat in einen Raum, in dem bereits das Dämmern des Augustabends brütete. Verblaßte Plüschmöbel, zahllose Lorbeerkränze mit lang herabhängenden Schleifen, Photographien mit Widmung und Diplome an den Wänden, die Luft von dem beklemmenden Dunst welker Blätter, Kölnischen Wassers und bessarabischen Tabaks erfüllt.
»Bitte, mein Fräulein!« ließ sich plötzlich eine tonlose Stimme vom Fenster her vernehmen. »Treten Sie näher... setzen Sie sich...«
Jetzt erst sah sie den siechen Mimen.
Er saß in einem Rollstuhl, vom Schlafrock umhüllt, eine Decke über die Knie gezogen. Die magere, gebrechliche Greisengestalt war nach vornüber gesunken. Aus dem leichengelben, durchfurchten und leidenden Gesicht hefteten sich die Augen in stechendem, lüsternem Glanz auf die Gestalt des schönen Mädchens.
»Setzen Sie sich, mein Fräulein!« wiederholte er hüstelnd. »Sie bringen mir einen Brief meines Freundes Bruckhoff. Bruckhoff ist ein Esel. Sonst schickte er Sie nicht zu mir. Denn ich bin, wie Sie sehen, lebendig tot. Eine Leiche auf Urlaub. Noch dazu augenblicklich in gelindem Morphiumdusel. Ich bin mit mir und meinen Schmerzen allein. Menschen kriege ich nur zu sehen, wenn sie jetzt noch etwas von mir wollen. Also was wollen Sie?«
Valeska wagte vor Beklemmung kaum zu atmen. Dies boshafte, vom Schlafrock umschlotterte Gerippe, das da hüstelnd vor ihr lag, das war Sparski, von dessen Romeo und Prinz Heinz die alten Schauspieler nur mit feuchten Augen, in bewunderndem Schauer sprachen? Entsetzlich!... Aber sie faßte sich Mut.
»Ich