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dem ersten Akt war Direktor Hochmann, ein älterer Herr mit ausgeprägtem Schauspielergesicht, auf die Bühne gekommen, einen Augenblick suchend stehengeblieben und dann direkt auf den zierlichen Pagen zugeschritten, der eben an der Hand des Bildhauers Clémenceau wiederholt sich vor dem klatschenden Publikum verbeugt hatte.

      Tags darauf war sie für den nächsten Herbst an das Westend-Theater zu Berlin engagiert. Heute, am 15. August, hatte sie sich zu melden. Am 1. September begann die Saison.

      »Ja, Glück must man haben,« dachte Valeska Elten bei sich, »klug must man sein...und hübsch...dann kann es doch schließlich nicht fehlen...«

      Und getröstet beendete sie ihre Toilette.

      Dann überlegte sie, was der heutige Tag von ihr verlangte.

      Erst Meldung beim Direktor. Da konnte man etwa um zehn Uhr hingehen.

      Dann Besuch beim Agenten.

      Dann Rundfahrt bei den Kritikern der großen Blätter.

      »Wie heißen denn die Kerle eigentlich?« brummte sie vor sich hin, schlug den Almanach auf und begann mit einem Bleistift die Adressen auf ein Blatt Papier zu kritzeln. Das wollte sie dem Kutscher geben, da sie selbst Berlin nicht kannte. Der würde schon sehen, wie man am raschesten von der Jerusalemer nach der Beuth- und von der Zimmer- nach der Breiten Straße kommt.

      Die Namen der Herren Doktoren – denn sie hegte die allgemeine Bühnenüberzeugung, daß ein Theaterkritiker unbedingt Doktor sei – notierte sie sich besonders.

      Visitenkarten hatte sie sich auch schon gerichtet ... kleine, zierliche Dinger, auf denen lithographiert der Name »Valeska Elten« und darunter, von ihrer eigenen Hand geschrieben, »Mitglied des Westend-Theaters« stand.

      Auf einige hatte sie noch weiter hingekritzelt: »Bittet bei ihrem Debüt um gütige Nachsicht.« Aber diese auszugeben, war noch nicht Zeit. Wußte sie doch gar nicht, welche Rollen sie bekam.

      Hoffentlich schöne! Sie wußte, in Berlin wurden alle die Sensationsrollen »kreiert«, die sie in der Provinz dem Bergheimer Publikum vorgespielt hatte, die Magda und die Iza, die Alma und die Adah, die Rita und die Nora und viele andere. Und ebenso ehrte man da die Franzosen: Vielleicht durfte sie die Francillon oder Cyprienne spielen, vielleicht die Frou-Frou oder gar Marguerite Gauthier, die Kameliendame. Das sollte herrlich werden.

      Sie blätterte in dem Genossenschafts-Almanach die endlose Reihe der Berliner Theater durch, sie überschlug die Opern-, Operetten-, Possen- und Vorstadtbühnen, sie warf nur einen flüchtigen Blick auf die anderen großen Schauspielhäuser, das Königliche, das Berliner, das Deutsche, das Neue, das Lessing-, das Residenz-, das Wallner-Theater, bis sie endlich an ihren eigenen Kunsttempel kam.

      Da stand's unter der Rubrik Berlin:

      XXVII. Westend-Theater.

      (Erbaut 1836, renoviert 1886, mit elektrischer Beleuchtung versehen 1890. Das Theater faßt 1050 Personen. Spielzeit vom 1. September bis 30. Juni.)

      Eigentümer: Hans Schliephacke, W, Bismarckstraße 107.

      Direktion: Egbert Hochmann, Ehrenmitglied des Stadt-Theaters zu Walstett, Ritter des fürstlich Gnadenheimer Hausordens vom wachsamen Sperber und des Rhenaschen Verdienstkreuzes am grün-gelben Bande, W, Lützowplatz 104, führt die Oberregie.

      Schauspiel-Vorstände: Harald Grillon, Inhaber des Sterns von Lichtenstein (um den Hals zu tragen), und Hans Bauer, Regisseure.

      Bureau, Inspektion und Kasse: Franz Reichau, Sekretär, Heinz Rüsemer, Bibliothekar, Willy Krause, Inspizient, F. Hertha Kautz, Souffleuse, Ernst Seiffert, Kassierer, Ernst Berg, Inspektor, Fritz Kaltschmiedt, Theaterdiener.

      Rechtskonsulent: Dr. Eugen Horwitz.

      Theaterarzt: Dr. G. Mans.

       Darstellende Mitglieder:

      Herren: Louis Adolf, Hans Bauer (siehe Regisseure), Heinrich Franke, Hans Frey, Harald Grillon (siehe Regisseure) ...

      Hier wurden ihr die Herren zu langweilig. Sie las weiter:

      Damen: Anna Maria Dobschütz, Käthe Hannemann, Pepi von Hochleitner, Franziska Ilgen, Elly Krause, Mizi Stadinger, Thilda Thorbeck ...

      Aber was sagten ihr diese Namen weiter? Waren ihre Trägerinnen jung oder alt, schön oder häßlich, talentvoll oder nicht?

      Darüber gab der Almanach keine Auskunft. Sie mußte ihre Feindinnen persönlich sehen.

      Sie legte den Almanach weg, setzte den Hut auf, zog ihr Jäckchen an, steckte die letzte Nummer ihres Agenturblattes, des »Norddeutschen Bühnenboten«, der für die 24 Mark jährliches Abonnement alle Quartale einmal ihren Namen nannte, in die Tasche und ging hinunter, um zu frühstücken.

      Mit der Schokolade brachte ihr der Kellner einen Brief.

      Ein großer Brief mit dem Poststempel Bergheim, die Adresse in gedrungener, schräger Militärhandschrift.

      Sie öffnete und lachte laut auf.

      Er war doch wirklich zu naiv, der gute Junge, trotz seiner vierundzwanzig Jahre!

      Schickte er ihr da allen Ernstes eine Photographie, auf der er mit seiner Braut in ganzer Figur abgebildet war, er aufrecht stehend, in knapper Husarenuniform, auf den Säbel gestützt, sie zu seiner Rechten sitzend, mit freundlich lächelndem, rundem Kindergesicht.

      »Zu dumm sieht sie aus!« dachte Valeska zornig und drehte die Photographie um, um zu sehen, ob auf der Rückseite etwas stände.

      Da war nichts, auch ein Begleitschreiben lag nicht bei. Es war eben nur der letzte Gruß ihres kleinen Freundes, mit dem sie zwei Jahre hindurch in Bergheim Leid und Freud' geteilt.

      Jetzt war sie in Berlin, und er heiratete. Im Trubel seiner Verlobung, des Schuldenbezahlens und Wohnungeinrichtens hatte er noch Gelegenheit gefunden, einige tausend Mark für sie zu erübrigen. Davon waren ihre neuen Toiletten und ihre ganze sonstige Equipierung bestritten worden. Der gute Fritz wollte sie doch nicht ohne Ausstattung in die Reichshauptstadt ziehen lassen und sah sich infolgedessen vier Wochen lang zwischen zwei Aussteuern, der offenkundigen seiner Braut und der heimlichen seiner »Kleinen«, die ihm übrigens an Wuchs beinahe gleichkam, stehen, so daß sein armer Kopf alle Mühe hatte, diese beiden heterogenen Dinge nicht zu verwechseln.

      Jetzt war die Sache erledigt. Sie hatten sich unter ehrlichen Tränen getrennt. Das war das letzte Abschiedszeichen.

      Ihm mochte vielleicht noch ab und zu einmal in dem Philisterium der Ehe die Erinnerung an jene wunderlich gemischte Stimmung von gedankenloser Lebenslust und Neckerei, von träumender Sinnlichkeit und unerklärlicher Wehmut aufsteigen, mit der die Vergangenheit solche Verhältnisse vergoldet.

      Und sie ...?

      Die Worte der Magda aus der »Heimat« fielen ihr ein: »Weißt du denn, ob er der einzige war?«

      Sie seufzte.

      Was war aus den beiden anderen geworden?

      Der eine, der kurische Baron, der ihr während ihres Aufenthalts in Riga den Hof gemacht und sie des Abends in seinem Wagen zum Strande nach Bolderaa geführt hatte, der war, als er ernstlich davon phantasierte, sie zu heiraten, von der Familie eingeheimst und auf eines seiner »Gütter«, wie er sie nannte, verschickt worden. Dort sollte er inzwischen ein Landfräulein geheiratet haben und seinen Daseinszweck darin erkennen, das alte Schwertbrüder-Geschlecht derer von Mayenhausen, soweit an ihm lag, nicht aussterben zu lassen.

      Und der andere? ... Sie sah ihn vor sich ... den schmucken, glänzenden Kürassier-Rittmeister, dem sie zu Ende der achtziger Jahre am Stadt-Theater zu Erfurt angehört.

      Sie hatte ihn leidenschaftlich geliebt. Ihr Auge wurde feucht, wenn sie an ihn dachte.

      Eines Tages war er um die Ecke! Ab nach Amerika!

      Ein Jahr darauf stürzte er sich – ein zerlumpter Bettler – von

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