Скачать книгу

Morgen, wo der Magen übernächtig und empfindlich ist, bringen auch kleine Gaben Alkohol diese Wirkung hervor.

      Bei Parsenow war dies freilich nicht zu besorgen.

      Er hatte das Gläschen geleert und starrte schweigend vor sich hin. Auf dem Tisch lagen zwei Briefe, an Frau Hilda von Braneck und Herrn Krakauer adressiert.

      Es herrscht tiefe Stille in dem halbdämmernden Gemach. Von der Straße her dringt Wagenrasseln und fröhlicher Lärm. Eine Reihe Kremser fährt da vorbei. Sie befördert das Personal einer großen Firma im Nordosten der Stadt, die heute ein Geschäfts-Jubiläum feiert, zu einem Herbst-Ausflug hinaus in den Grunewald. Dichtgedrängt sitzen die Männer, die Frauen und jungen Mädchen in langen Reihen auf den Bänken. Zwischen ihnen die noch halb verschlafenen Kinder. Bunte Papierlaternen schaukeln an den Seiten, um des Abends zur Heimkehr angezündet zu werden, ein Bierfäßchen schwebt an starken Ketten unter dem Wagen, von dem Vorderplatze neben dem Kutscher wimmert stoßweise eine Drehorgel.

      Ab und zu wird ein Versuch zum Singen unternommen, aber noch ist die Stimmung zu frostig in dem kalten Herbstmorgen. Man verstummt wieder. Die Männer reichen sich schweigend die Gilka-Flasche und wischen sich den Schnurrbart, die Frauen zupfen den Kindern die Kleidchen zurecht, und während die Wagen weiter und weiter über das endlose Pflastern dahinrasseln, harren ihre Insassen mit einer innerlichen, fast stumpfsinnigen Freude des genußreichen Tages in Feld und Flur, des großes Tages, von dem schon seit Wochen in den staubigen Fabriksälen die Rede gewesen.

      Schon rollt die Wagen-Colonne auf dem glatten Kurfürstendamm dahin. Es ist ein kalter rötlicher Herbsttag. Leichte weißliche Morgennebel dehnen sich in Streifen über den Äckern und Feldern, die sich rechts und links endlos ausbreiten. Hinter ihnen liegt, eintönig summend und brausend, das Häusermeer der Weltstadt. Eine rauchige Nachtwolke hängt noch da und dort über der steinernen Wüste, in langen schrägen Strahlen flimmert die Sonne dazwischen durch und läßt die Kuppeln und Türme des zoologischen Gartens hell aufleuchten. Abgerissen dringt aus ihm, im Winde verweht, das heisere Brüllen der Raubtiere, das stoßweise Bellen der Robben herüber.

      Dann reitet ein Leutnant vorbei, den Burschen auf dem Chargenpferd hinter sich, und erregt bei den kleinen Fabrikmädchen Sensation. Ein Hase springt auf und flüchtet unter dem Jubel der Gesellschaft, mit den Hinterläufen schlenkernd, querfeldein.

      Die Dampfbahn saust heran. Das Pferd eines entgegenkommenden Generals macht einen mächtigen Sprung zur Seite, ohne daß sich das strenge Gesicht des weißhaarigen Militärs irgendwie verändert. Den Kremserinsassen imponiert das ungemein, wenn auch viele der jungen Männer höhnisch über die teilnahmsvolle Ehrfurcht lächeln, mit der die Frauen dem davongaloppierenden Würdenträger nachstarren.

      Endlich taucht ein dunkler Streifen am Horizont auf und rückt näher und näher. Das ist der Grunewald. An der Villenkolonie vorbei geht die Fahrt. Noch liegen alle die barocken Gebäude, die bizarren Landhäuser und Restaurants in tiefer Ruhe, kleine Wellen ziehen plätschernd über die Oberfläche der künstlichen Seeen. Dann kommt der richtige Föhrenforst, hagerer Stämme, die dürren Wurzeln von weißem Sandgeriesel umgeben, hie und da etwas Graswuchs, ein graugrüner Moosteppich und überall verstreut auf dem sanft gewellten Boden die schmierigen Stullenpapiere, die Eierschalen und Glasscherben.

      Eben hält die Wagenreihe vor dem Wildgatter, das sich quer über die Straße zieht und die Insassen schauen bereits neugierig nach Hirschen und Rehen aus, da fliegt von hinten ein elegantes Fuhrwerk auf federnden Rädern an ihnen vorbei und durch das eben geöffnete Gatter auf der Straße weiter. Ein dunkler, schnurrbärtiger Herr sitzt darin, so weit man es erkennen kann, und ein Husarenleutnant. Aber schon ist der Wagen hinter einer Senkung der Allee verschwunden.

      »Du ... det war was Feines!« flüstert eine blasse Blondine zu ihrer Nachbarin. Die nickt andächtig und ein finsterer Bursche gegenüber setzt hinzu: »Ja ... solchen Briedern jehts jut auf der Welt ... die haben die janze Woche blauen Montag und wissen nischt von Sorgen und Verdruß ...«

      Durchdringend schallt aus dem nahegelegenen Saupark das Grunzen und Quieken des Schwarzwildes über die kleine Waldblöße hin. Sonst ist es still. Nur oben in irgend einem Wipfel hämmert eintönig ein unsichtbarer Specht und die Fichtenstämme knarren in dem Morgenwind, der um sie streichend den Tau von dem hohen zitternden Herbstgras streift.

      Aus der Ferne äugt ein Rudel Damwild unschlüssig auf die Gruppe dunkler Männer-Gestalten, die gähnend inmitten der Lichtung steht. Flüchtig äsend ziehen die schlanken Geschöpfe hin und her, bis plötzlich ein Schaufler den Kopf in den Nacken wirft und mit elastischen Sprüngen zwischen den Stämmen davonfegt. Die andern folgen seinem Beispiel, erschreckt durch das Aufleuchten der roten Attila in der schmalen Schneise, die zu der Blöße führt.

      Wendlau sieht ihnen einen Augenblick zerstreut nach. Dann wendet er sich mit schwankender Stimme zu den neben ihm schreitenden Parsenow.

      »Die andern warten schon!«

      »Na ... dann kann die Sache ja losgehen,« erwidert der Graf, kaltblütig auf die Uhr schauend.

      Ganz klar ist es dem Prinzen Stayningen nicht, was sich in den nächsten Minuten ereignet! Er sieht nur allerhand Herren um sich, er hört einen gedämpften Stimmwechsel, er schüttelt mechanisch das Haupt bei dem, hauptsächlich zur Deckung der Sekundanten vorgeschriebenen Versöhnungsversuch. Dann hört er ein kurzes, wiederholtes Stampfen, das Laden der Pistolen, und sieht sich plötzlich allein in der Mitte der Lichtung, die Waffe in der Hand, einige Schritte vor ihm zwei Paar zitternde, in den Boden gesteckte Stäbchen, hinter ihnen immer noch in unheimlich naher Entfernung, des Grafen dräuende Gestalt. Unwillkürlich schaut er hülfesuchend um sich und sieht die anderen Herren in langer Reihe am Waldrand stehen, ihm zunächst den kleinen Husaren, der ihn mit zu Boden gesenkter Pistole grimmig mustert. Etwas vor ihnen der Unparteiische, ein stattlicher Herr mit ergrauten Favoris, der aufmerksam auf eine goldene Uhr blickt.

      Tiefe Stille. Nur der Specht hämmert irgendwo unverdrossen über ihren Häuptern.

      »Sind die Herren bereit?« klingt von irgendwoher, wie aus einem Nebelland eine ganz fremde, merkwürdige Stimme« ... dann, bitte ... los! ...«

      In diesem kritischen Augenblick empfindet der Prinz nur einen einzigen verzweifelten Gedanken. »Ach ... wenn ich doch am Leben bliebe ...!« Das ist die Vorstellung, die ihn mit zwingender Gewalt beherrscht, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzend, mechanisch vorschreitet.

      Er denkt nicht daran, zu schießen. Er ist vollkommen abhängig von dem, was sein Gegner thut.

      Er sieht Parsenow auf sich zugehen, sieht wie die langen, nassen Grashalme sich unter seinem ruhigen Schritt neigen. Es kommt ihm vor, als ob ein teuflisches Lächeln um den Mund des Grafen spiele, als ob er wie ein Gespenst immer höher und höher emporwachse und ihn mit funkelndem Blick durchbohre.

      Jetzt sind sie dicht an der Barriere. Wie hypnotisiert starrt der Prinz auf seinen Feind.

      Plötzlich ein helles Aufzucken, ein klingendes Pfeifen an seinen, Ohr, fast gleichzeitig ein kurzer Knall, und gleich darauf weiter hinten ein trockenes Knacken in einem Fichtenstamme. Ein paar weiße Späne und Borkenstücke kreisen da zu Boden, erschrocken stellt der Specht sein Hämmern ein.

      Durch den Pulverdampf, der ihm entgegenweht feuert Stayningen fast unwillkürlich gleichfalls die Pistole los. Seine Augenlider krampfen sich in der Aufregung zusammen ...

      Er öffnet sie gewaltsam und starrt verdutzt vor sich hin. Er hatte den Eindruck, als habe Parsenow in dem Augenblick, da der Prinz auf ihn schoß, ihm eine rasche spöttische Verbeugung gemacht.

      Und nun ist er gar nicht mehr da ... aber doch ... da liegt er ja, quer über den niedergebrochenen Stäbchen, das Gesicht nach unten.

      »Was hat er nur so mit den Händen in das Gras zu greifen?« ist der erste Gedanke, der dem Prinzen durch den Kopf geht »... und wie seltsam er mit dem linken Bein in der Luft zuckt ...«

      Aber schon springen die Sekundanten dazwischen. Der Prinz sieht nichts mehr: nur allmählich steigt in seinem verstörten Hirn die Ueberzeugung empor, daß Parsenow getroffen ... daß das Duell zu Ende sei ... und daß er lebe

Скачать книгу