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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Parsenow winkte einen der Kerle heran, warf ihm ein Zehnpfennigstück in die Hand und entfaltete beim Schein der Gaslaternen das Blatt, als dessen Herausgeber unten am Rand in winziger Schrift sich Xaver Ritter von Crocevich nannte.
Ueber den Tod van Looks enthielt das Blatt nichts neues, wohl aber die Nachricht, daß die Behörden bereits Nachforschungen in dem Bureau der Bank vorgenommen, und sich so gut wie nichts an Depositen und sonstigen Werten gefunden habe.
Krakauer hatte also recht behalten. Der Bankier war im Kampfe bis aufs Messer unterlegen.
Es wunderte Parsenow nicht weiter. Flüchtig durchlas er die letzten Sätze, in denen der Ritter von Crocevich mit herbem Zorn die allgemeine Entrüstung und Empörung der beteiligten Kreise schilderte und warf das Blatt zusammengeballt auf das Pflaster. Nun hatte er volle Gewißheit.
»Das Allerneuste!« heulte es noch immer auf den Straßen; es klang ihm noch in die Ohren nach, als er das Foyer des »Eden-Theaters« betrat.
Dort hatte die Nachricht wie eine Bombe eingeschlagen. Ein stummer, bleicher Schrecken ging lautlos durch das lichterstrahlende Haus.
Lange war es fraglich gewesen, ob die Vorstellung überhaupt stattfinden konnte, denn Erna lag noch zehn Minuten vor Beginn der Ouvertüre in Weinkrämpfen in ihrer Garderobe. Sie hatte, als sie sich eben zu schminken begann, einen Carton aus dem Blumenladen geschickt erhalten. Sie vermutete ein Bouquet van Looks darin und prallte aufkreischend zurück, als sie den Deckel abhob. Die Schachtel enthielt einen frischen Totenkranz, das Extrablatt lag, an den Hauptsätzen noch vorsorglich blau unterstrichen, darunter.
Die unbekannte Collegin, die ihr diese Sendung zugedacht, erreichte ihren Zweck! Die Ernesti, ohnehin schon nervös und aufgeregt durch die bevorstehende Première, geriet in eine Verfassung, die aller Bemühungen des Theater-Arztes, der ratlos herumstehenden Garderobièren und des verstört aussehenden Direktors spottete.
Endlich kam der Inspicient auf eine glückliche Idee, indem er die Ernesti frug, ob sie denn wirklich der neidischen Absenderin den Triumph gönnen und sich die schöne Rolle verderben lassen wolle. Das wirkte. Vor Wut und Schrecken zitternd ließ sich Erna ankleiden und betrat die Bühne.
Wie wohl hätte sie sich zu einer anderen Stunde da gefühlt in dem drolligen Leichtsinn, der übermütigen Pikanterie, dem schlagenden Couplet-Witz ihrer Rolle! Jetzt spielte sie befangen und innerlich verstört. Sie fühlte sich wie gelähmt. Immer wieder stand die bleiche Gestalt des Bankiers zwischen ihr und dem Publikum, und wenn sie doch einen verzweifelten Anlauf nahm, die temperamentssprühende Grazie zu entwickeln, der sie sonst ihre Triumphe verdankte, so flimmerte ein Totenkranz vor ihren Augen und die Stimme verklang ihr in die Kehle.
Und es war nicht ihre Schuld allein, daß das lustige Stück kalt ließ, daß es von Akt zu Akt zu sinken begann bis zu dem eisig aufgenommenen, lärmenden und prachtvoll ausgestatteten Finale. Auch im Zuschauer-Raum ging ja das Gespenst des Bankerottes auf und nieder. Bald setzte es sich in eine der zahlreichen leergebliebenen Logen – ihre Besteller dachten jetzt nicht an »Satanella«, sondern verhandelten aufgeregt in ihren Privatbureaux mit einander und fuhren bis tief in die Nacht von einem Hause des Tiergarten-Viertels zum anderen, um sich gegen die am Montag drohende Börsenpanik zu wappnen –, bald klopfte es im Foyer einem der anwesenden Börsianer, dem das Vaudeville allmählich doch Spaß zu machen schien, kalt lächelnd auf die Schultern, daß er zusammenschrak und vor ihm die ganze bunte Bühnenwelt in einem Meer von Zahlen und Ziffern, von Wechseln und Schlußscheinen versank.
Und dann saß das Gespenst wieder im Parkett und fixierte mit tückischem Blick bald den, bald jenen, der sein bißchen Geld irgend einer Berliner Bank anvertraut. Wird vielleicht auch diese Konkurs ansagen – wird er sein sauer Erspartes niemals wiedersehen? ... kalter Angstschweiß trat dem Armen auf die Stirne und er sah gar nicht mehr hin auf die flimmernde Bilderpracht, die ihm die Kunst des Kulissenmalers und Maschinenmeisters vor Augen zauberte.
So fiel das Stück. Wenn der Vorhang nieder sank, blieb es still in den Logen und dem Parkett. Nur auf der Galerie lärmte, von vereinzelten »Beisitzern« unten aufgemuntert, eine zahlreiche Claque. In das gedrückte Schweigen, das vor dem Gobelin, in die zitternde Aufregung, die dahinter herrschte, klang der rohe, verständnislose Lärm wie ein Hohn hinein. Es zischte niemand; aber schließlich wurden die Klatscher selbst verlegen und hörten auf.
Das Haus war still. Nur aus dem Orchester klang das unharmonische Durcheinandertönen hervor, mit dem die Musiker während der Zwischenakte ihre Instrumente stimmten.
Während die Einleitungsmusik zum dritten Akt rauschend erklang, trat durch eine Seitenthüre des Theaters ein großer, gebeugter Mann vorsichtig auf die Straße. Einen Augenblick fühlte der Direktor des Eden-Theaters nach der Brusttasche, in der er die Einnahmen aus der Vormittags- und Abendkasse sorglich bewahrt hatte; dann schritt er leise nach der nächsten Droschke. »Kutscher ... Bahnhof Friedrichstraße!« ...
Dort kam er gerade noch zum Hamburger Nachtschnellzug zurecht. Er setzte sich in ein Coupé I. Klasse und fuhr hinaus in die dunkle Ebene.
Schon am Nachmittag hatte er daran gedacht. Der Abfall »Satanellas« wirkte entscheidend. Nun konnte er sich nicht mehr halten, er konnte die Wechsel nicht einlösen, die die Lieferanten gern von ihm in Zahlung genommen, als sie das Giro des Bankhauses van Look und Compagnie darauf erblickt, die Katastrophe war da!
Mochten die andern nun sehen, wie sie ohne ihn fertig wurden. Er trug ein paar Tausend Mark bei sich, die ihm das Vorwärtskommen in der neuen Welt erleichterten, und als der Zug an Paulinenaue vorbeidonnerte, sah er sich schon im Geiste als den Inhaber einer flottgehenden Music-Hall in Chicago, in der allerhand um sich spuckende und schiefe Cylinder auf den Köpfen balancierende Gentlemen beisammen sitzen und von grinsenden Nigger-Kellnern bedient würden.
Auch Parsenow hatte zeitig das Theater verlassen. Er konnte heute nirgends bleiben. Eine innere Unruhe trieb ihn von einem Ort zum andern.
Während er durch die Friedrichstraße schlenderte, kam ihm plötzlich ein neuer Gedanke. Er wunderte sich, daß ihm das nicht schon lange eingefallen, und trat in die nächste Weinstube ein.
Dort ließ er sich an einem der kleinen, in Holzverschlägen stehenden Tische nieder, bestellte eine Flasche Burgunder und goß hastig ein paar Gläser hinab.
Das beruhigte ihn etwas. Er fing wieder an, nachzudenken, wie sich nun eigentlich die Zukunft gestalten sollte.
Arbeiten! ... das Wort klang ihm zu befremdlich, fast drohend. Er konnte sich nichts rechtes darunter vorstellen und mußte selbst lachen, wenn er sich im Geiste in irgend einer der ihm bekannten Thätigkeiten sah ... etwa als Buchmacher ... nein, dazu braucht man Geld und kann vor Gericht kommen ... oder aber als Stallmeister, als Inhaber einer Reitschule ... oder vielleicht auch als Versicherungsagenten ... als einen in feinere Kreise eingeführten Wein- und Cigarrenreisenden ...
Er lachte höhnisch auf. Das alles war ja zu närrisch, zu undenkbar. Und schließlich, nötig hatte er es ja auch nicht. Er konnte mit Hilda auf dem Landsitz des alten, leidlich begüterten Majors leben, ihm bei der Landwirtschaft helfen, mit den benachbarten Gutsbesitzern unter derben Flüchen und noch derberen Späßen Whist spielen und zahllosen Flaschen Rotspohn den Hals brechen; er konnte auch, wenn Herr von Döbeln einmal starb, für den jungen Leutnant die Verwaltung des Guts weiter führen, als eine Art höherer Inspektor, als ein armer Verwandter, der sich für das Gnadenbrod irgendwie nützlich zu machen versucht.
Und er sah sich schon vor sich, nach weiteren zehn Jahren, verbauert und abgestumpft, in hohen Stiefeln und verblichener Joppe, ein abgestandener Krautjunker, wie er so viele kannte, schon halb ein Gegenstand des Spottes für die Männer, des Mitleids für die Frauen. Und dann erst die weitere Zukunft ... wenn er älter und immer älter würde ... wenn es ihm selbst, dem grauhaarigen Manne, unbegreiflich erscheinen mußte, daß er einmal der glänzende Parsenow, der tollkühne Sportsman, der berühmte Lebemann gewesen ...
Ein unbeschreiblicher Ekel stieg in ihm auf. Trostlos starrte er