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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und wie weit hat der Zug nach Westen seine Vorposten schon hinaus in das Gelände getrieben! Hier zu zweien und dreien, dort noch vereinzelt ragen wie Castelle die Mietskasernen aus dem sonst noch öden Lande. Zerfallene Bauzäune umgeben die Nachbargrundstücke, Schutt- und Steinhaufen liegen auf dem niedergetrampelten Gras, die umgehackten und in Haufen geschichteten Obstbäume strecken ihr kahles Ästegewirr gen Himmel.
Daneben eine Ruine, ein zur Hälfte schon abgetragenes, wurmstichiges Bauernhaus. Was soll die Scharteke hier auf diesem Grund und Boden, wo jede Quadratrute kostbar ist! Ein großes Zinshaus wird auf ihm erstehen. Es wird sich mit keifenden Parteien und lärmenden Mägden füllen, Schwärme von verkümmerten Kindern werden in dem dunkeln, brunnenschachtartigen Hof spielen und in der Destille an der Ecke ein heiseres Klavier am Abend die Maurergesellen der Umgegend zum Biere locken.
Und andere werden folgen, überall da, wo jetzt noch der Herbstwind frei über die Stoppeln pfeift und die Hasen durch die zitternden Weißdornhecken huschen, Straße wird sich an Straße reihen, die Pferdebahn klingeln, die Wagen rasseln und die Menschen dahinströmen, immer weiter und weiter gen Westen.
Schon jetzt ziehen sich überall die projektierten Straßen durch das Gelände. Ausgefahrene Ackerwege mit wassergefüllten Rinnen, von knarrenden Lastfuhrwerken belebt. Zusammengebrochene Zäune folgen ihrem Lauf, halbfertige Häuser stehen daneben zwischen halbniedergerissenen, dann wieder endlose, kot- und geröllbedeckte Bauplätze, Steinhaufen, Baumstrünke, Schmutzlachen ... eine wüste, zerstörte Welt, in der mit Sonnenuntergang jedes menschliche Leben erlischt.
Es ist, als sei da ein Feind verheerend über die Fluren gezogen, und als der alte Major auf die dunkelnden Häusermassen der Weltstadt vor sich blickt, der sie entgegenfahren, da glaubt er diesen Feind zu erkennen. Wie ein Raubtier, das immer weiter im Umkreise gefräßig alles verschlingt, kommt ihm das große glänzende Berlin vor, wie ein seelenloses Ungeheuer, in dem alle Eigenart und Feinheit des Lebens, alle Frische der Empfindung und Vornehmheit des Denkens untergeht in dem wiehernden Gebrüll der Volks-Versammlung, dem roh donnernden Schritt der Arbeiterbataillone.
Und noch ein anderes, mächtigeres wirkt da mit! Der Major wendet sich um zu dem Wagen, der Parsenows Leiche hinter ihm her führt. Der Abendhimmel des Westens glüht im Feuerschein. Da und dort schleudern flimmernd und blitzend einige Glasscheiben die Strahlen zurück, die in langen rötlichen Linien durch das Laub des Tiergartens brechen und ihre zitternden Schatten über seine Seespiegel werfen.
Und ferne über dem bunten Blättergewoge taucht jetzt, da sie am Schlosse Bellevue vorbeifahren, ein glühender Körper auf. Das ist die Viktoriasäule, die im Abendrot glänzt. Man sieht nichts mehr von den plumpen Formen der Figur, nichts mehr von dem Sockel, nur eine Masse von glitzerndem, funkelndem Gold schwebt dort oben hoch in der Luft und zu ihm tönt aus dem dämmernden Treiben unten vieltausendstimmig das Hasten und Jagen, das Kämpfen und Sehnen der Weltstadt empor.
Das Gold ... ja ... das ist es, das ist der eigentliche Herr über alles, was hier lebt und streitet! Der Major schließt finster die Augen. Ihm ekelt vor Berlin.
Da tönt Musik und Gesang neben ihm. Eine Kremserreihe mit buntfarbig leuchtenden Laternen rollt langsam vorbei. Es ist das Fabrik-Personal, das von seinem Festtag zurückkehrt. Eine gehobene Stimmung herrscht in den vollgepfropften Wagen. Manche der Männer sind etwas angetrunken, die Mädchen hochrot erhitzt, aber die Fröhlichkeit ist allgemein. Im vordersten Gefährt erklingt die Drehorgel und ein kräftiger Chor folgt der einfältig-wehmütigen Melodie.
»O lieb', so lang du lieben kannst
Am märk'schen Sand und See ...«
und zitternd sich in die Höhe schwingend, fallen die dünnen, klagenden Mädchenstimmen ein:
»O lieb', so lang du lieben kannst
Am grünen Strand der Spree! ...«
X
Das »Edentheater« war gerichtlich geschlossen, ein Steckbrief lief hinter dem flüchtigen Direktor her. In dem dunklen Parkett huschten die Mäuse, eine dicke Staubschicht legte sich über die Bretter des Podiums, die Spinne wob ihr Netz über den Flurschalter, an dem sonst der Kassierer gelauert.
Nach Weihnachten sollte dort eine süddeutsche Künstlergesellschaft einziehen und das Publikum in einem vierwöchigen Gastspiel mit Jodeln, Zitherklang und Schuhplatteln erfreuen. Bis dahin blieb das Haus geschlossen. Totenstill lagen die finstern Corridore, die Foyers und Bühnenräume, nur des Sonnabends hallte unheimlich in ihnen der schwere Tritt einiger Scheuerfrauen, die ein paar Stunden hindurch einen aussichtslosen Kampf gegen Schmutz und Moder führten.
Das Personal war in alle Winden zerstoben. Ein Bruchteil der Truppe zog in den kleinen Städten der Mark umher und veranstaltete in den Hotelsälen Gastspielvorstellungen vor den meist ziemlich stumpfsinnig dasitzenden Honoratioren des Ortes, Andere hatten in Berlin oder der Provinz ein bescheidenes Unterkommen gefunden oder privatisierten, wenn sie es konnten, bei Angehörigen. Mancher aber trieb sich noch jetzt stellungslos in den Straßen der Weltstadt umher und blockierte die Thüren der Agenten und Direktoren.
Dem weiblichen Chor und namentlich dem Ballett ging es besser. Sie fanden rasch Plätze bei den Operettenbühnen und den Feeerien, die von den Circus- und Tingeltangel-Inhabern in wilden Wettstreit veranstaltet wurden.
Und nach kurzem war das Eden-Theater und seine Insassen vergessen. Es ereignet sich ja so viel in Berlin und ein Theaterkrach gehört wahrhaftig nicht zu den merkwürdigen Vorkommnissen ...
Erna Ernesti ging trostlos in ihrem schmucken Salon und dem anstoßenden Boudoir auf und nieder. Von Zeit zu Zeit bückte sie sich, kippte mit Anstrengung einen der schweren Sammetfauteuils oder ein geschnitztes Tischchen um und sah mit wehmütigem Kopfschütteln auf die kleinen häßlichen Siegel, die eben ein unangenehm bestimmt auftretender Herr an den verborgenen Stellen des Mobiliars angebracht.
Ehe der Gerichtsvollzieher ging, hatte er sie noch gewarnt, ja nicht die Siegel wegzunehmen oder die Möbel aus der Wohnung zu entfernen. Sonst käme sie vor Gericht.
Davor hatte sie eine furchtbare Angst. Sie kam sich wie eine Mitschuldige van Looks vor, wenn sie Tag für Tag in den Zeitungen von dem Unglück las, das der Konkurs in zahlreiche Familie getragen Auch ihr Name war darin häufig angedeutet. War sie doch nach der Versicherung der giftigen Winkelblätter als Letzte dem Bankier behülflich gewesen, das Geld seiner Klienten durchzubringen.
Zudem war auch ein Schreiben des »Berliner Argus« bei ihr eingetroffen. Der Ritter von Crocevich schickte ihr den Bürstenabzug eines Artikels, in dem er sie beschuldigte, um das Treiben van Looks gewußt und seine Unterschleife durch ihre Verschwendung begünstigt zu haben. Den Schluß bildete eine dunkle Andeutung, als ob der Staatsanwalt ihrer Person bereits näher getreten sei. Ein Prospekt zum Abonnement auf den »Berliner Argus« lag bei.
Das Revolverblatt verfehlte indeß seinen Zweck. Von ihrem bösen Gewissen getrieben faßte Erna einen ganz anderen Entschluß. Sie packte alles, was sie noch an Geld und Schmucksachen von dem Bankier besaß, zusammen und schickte es mit der Bitte um Quittung an den Verwalter der Konkursmasse.
Die Empfangsbestätigung traf denn auch bald ein und in dem Kreisen der großen wie der halben Welt erzählte man sich staunend von der heroischen That der Ernesti.
Aber für Erna war nun guter Rat teuer. Die Gläubiger drängten