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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Erna seufzte. Was nun? Engagementsanträge nach auswärts waren ihr mehrfach zugegangen, sie konnte sich auch auf Gastspielreisen begeben. Aber was brachte das schließlich ein? ... und inzwischen räumte man ihr hier ihre Wohnung, das hübsche, traulich eingerichtete Nest völlig kahl aus. Ein Glück, daß sie wenigstens ihre Toiletten, als zur Ausübung ihres Berufes gehörige Gegenstände, vor diesem ekelhaften Menschen gerettet hatte.
Sie schickte ihre Zofe mit dem schwanenpelzbesetzten, blauseidenen Überwurf in das Leihhaus, um wenigstens etwas bares Geld in die Hand zu bekommen. Aber als das Mädchen gegangen, fühlte sie sich ganz unheimlich in ihrer eigenen Wohnung. Die verräterischen Siegel, die verstohlen an den Möbeln klebten, kamen ihr nicht aus dem Sinn.
Ans Fenster tretend, starrte sie müßig auf die Straße. Es war ein schöner, klarer Herbsttag, verlockend zu einer Promenade im Tiergarten. Sie nahm Schirm und Handschuhe, band den Schleier um das winzige Hütchen und stieg, immer noch in sehr gedrückter Stimmung, die Treppen hinunter, ab und zu sich scheu umsehend, ob sie den Hauswirt nicht begegne.
Als sie langsam auf dem breiten Fußweg der Tiergarten-Straße dahinschritt, auf dessen feuchtem Kies zerstreut das welke Herbstlaub lag, hatte sie eine vollkommene Anwandlung von Schwermut, beinahe von Lebensüberdruß. Plötzlich blieb sie stehen und starrte erschrocken auf ein Gefährt, das ihr rasch über den Asphalt dahinrollend, entgegenkam.
Sie kannte dies Gefährt, diese schwarzen Orlofftraber mit den federnden Vorderbeinen und den wehenden Schweifen. In ängstlicher Neugier sah sie darauf hin, wer wohl jetzt der Besitzer sein möge.
Plötzlich sprang im Wagen ein Herr, sie offenbar erkennend, auf, gab dem Kutscher einen Wink, zu halten und lief, ehe die Pferde noch völlig standen, heraus, um quer über den lockeren Reitweg auf sie los zu eilen.
Erna hatte den Prinzen Stayningen noch nie so lebendig und zugleich so selbstbewußt gesehen. Seit dem Zweikampf mit Parsenow ging der schwäbische Dynast hochaufgerichtet und gemessen einher. Den trottenden Gigerlschritt hatte er sich ebenso abgewöhnt, wie das stiere Lächeln um den halboffenen Mund. Er empfand das Bedürfnis, ernst und würdig auszusehen, wie es sich für einen Mann ziemt, gegen den ein Verfahren wegen Zweikampfs mit tödlichem Ausgang schwebt.
»Nun ... gehen spazieren, Gnädigste?« sagte er, lässig den Hut lüftend.
Erna entzog ihm halb ihre Hand. »Ich habe Angst vor Ihnen, Durchlaucht. Am Ende bringen Sie mich auch um ...«
»Nein, meine Gnädigste ... nur Männer! ... that mir leid um Parsenow ... famoser Kerl sonst ... aber ging nicht anders. Mußte ihn erschießen ... Beleidigung zu schwer ...«
»Sie sind ein schrecklicher Mensch.« Erna sah mit großen, feucht schimmernden Augen in das rote, gutmütige Gesicht des Gigerls.
Der aber wechselte die Unterhaltung. »Und zu Fuß, Gnädigste ... bei feuchtem Herbstwetter ... werden sich Schnupfen holen ...«
»Wenn schon ...« sagte Erna kläglich ... »ich trete ja doch nicht mehr auf. Und was soll man denn thun, wenn man keinen Wagen hat?
»Wie ... kenne doch Ihr kleines Coupé ... würdevoller alter Kutscher oben ...«
»Der Kutscher ist weg!« Erna seufzte, »... und das Coupé ist verkauft und die Pferde sind verkauft ... und mein Schmuck ist weg ... und meine Möbel ... und schließlich wird mir der Gerichtsvollzieher noch alles wegnehmen, was ich habe ... und ich kann doch nichts dafür ...«
Sie war nahe daran, zu weinen.
»Armes Kind ...« sagte der Prinz, wirklich, ergriffen ... »müssen mehr darüber erzählen. Wissen Sie was! fahren mit nach Charlottenburg zum Rennen ... Großer Preis wird heute gelaufen ... Gutes Ding für Floßhilde ... schönes Rennen ...«
Er wollte schon den Wagen heranwinken, aber Erna hielt ihn zurück. »Was denken Sie eigentlich von mir, Durchlaucht?« frug sie halb kühl, halb gekränkt, »daß ich mit Ihnen so mir nichts dir nichts nach Westend fahren soll? Ich besuche überhaupt den Rennplatz nicht ... den ganzen Herbst nicht mehr.. er ist mir verleidet ... und ...«
»Pardon ... Pardon ...« der Prinz schien etwas verwirrt ... »aber wissen Sie was ...« fuhr er freudig fort ... »werde, wenn erlauben, nach dem Rennen Augenblick bei Ihnen vorsprechen ...«
»... und mir erzählen, wie es draußen war!« Erna streckte ihm herzlich lächelnd die schmale Hand hin ... »thun Sie das, Durchlaucht ... es soll mich freuen ... auf Wiedersehen.«
Lange blickte Stayingen der schlanken, sich anmutig in den Hüften wiegenden Gestalt nach, die rasch und graziös über den Kiesweg dahinschritt. Dann stieg er ein und ein fettes Lächeln ging über sein Gesicht, während der Wagen durch den Hofjäger auf die Charlottenburger Chaussee zuschoß.
Dort ist heute, am Tage des Großen Preises von zusammen 35+000 Mark und bei dem prachtvollen Herbstwetter das Getümmel noch weit gewaltiger wie sonst. Eine schwarze Woge von rasselnden Gefährten wälzt sich die Straße entlang nach den Höhen von Westend, die hochgetürmten Pferdebahnwagen klingeln, dazwischen knarren und schaukeln die Kremser, von den Viererzügen tönt das Hornsignal, grell schimmern die hellen Damenkleider und die bunten Uniformen, die Händler schreien die »Sportwelt« aus, die Schutzleute fluchen in die endlosen, von einem Walde wehender Peitschen überragten Wagenkolonnen und von dem blaßblauen Herbsthimmel lacht die Sonne über Gerechte und Ungerechte.
Quer durch das Getümmel bahnt sich am großen Stern eine bescheidene Gepäckdroschke ihren Weg, zum Zorn der Sportsmen, die kaum mehr ihre rasch trabenden Pferde zu parieren vermögen. Namentlich der elegante, offene Wagen, in dem an der Seite eines schönen großen Mädchens Herr Krakauer, mit dem Ausdruck eines mißvergnügten Fuchses auf dem quittengelben Gesicht, trohnt, prallt beinahe mit der Droschke zusammen und zu dem vollbärtigen, mit dem eisernen Kreuz geschmückten Kutscher klingt ein heftiges Schimpfwort des gereizten Geldmannes empor.
Dann humpelt die Gepäckdroschke einsam am Spreeufer weiter, dem Lehrter Bahnhof zu. Niemand sieht ihr nach. Auffällig sind ja die Insassen weiter nicht, der alte, grimmig aussehende Herr mit dem schlohweißen Schnurrbart, der blutjunge Leutnant ihm gegenüber und die blasse, in schwarze Schleier gehüllte Dame, die teilnahmslos dasitzt. Erst, als sie sich schon im Coupé befindet und sich der Zug in Bewegung setzt, hebt sie das Haupt und winkt ihrem auf dem Bahnsteig stehenden Bruder mit der Hand einen müden Abschiedsgruß.
Dann sinkt sie wieder zusammen und starrt thränenlos vor sich hin. Gramvoll sitzt der alte Herr daneben. Sie schweigen beide, die langen Stunden, bis der Zug an der kleinen Station anhält, die dem Gute des Majors zunächst liegt.
Dort erwartet sie der Inspektor und Jochen, der ewig grinsende, flachshaarige Kutscher. Dann war noch ein dritter da, Herr von Kranow, ein Gutsbesitzer aus der Umgegend. Mäßig begütert lebte er seit Jahren als Witwer mit einem kleinen Töchterchen auf seiner Scholle.
Hilda kannte ihn wohl und hatte oft darüber gelacht, wenn sie auf Bällen und Gesellschaften unverwandt die Augen des stillen Mannes auf sich ruhen fühlte, der so gar nichts aus sich zu machen verstand und mit seiner schlichten, blondbärtigen Erscheinung so seltsam von dem lärmenden Kreise der Cavaliere abstach.
Der erwartete sie jetzt. Seit einer Woche stand er jeden Tag um diese Zeit auf dem Perron. Er geleitete sie stumm zum Wagen und half ihr hinein. Dann zog er seine Mütze und trat mit einer ernsten Verbeugung zurück, auf sein Pferd zu, das ein Bauernjunge in der Nähe hielt.
Vorher aber hatte Hilda seine Hand ergriffen und sie dankend gedrückt. Er sah, daß seine Teilnahme ihr wohl that.
Und als der einsame Junker bald darauf über die dämmernden Felder, durch die reine Abendluft seinem Hause zutritt, da stieg es wie ein Gefühl frohen Bangens in seinem Innern empor. Sich im Sattel aufrichtend schaute er zu dem klaren Himmel auf, an dem eben die ersten Sterne scheu blinkend hervortraten. Fern läuteten die Abendglocken, die Nacht sank schweigend hernieder und ihr Friede legte sich über