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wohltönende Stimme, die damals an einem lauen Juliabend zum letztenmal an ihr Ohr gedrungen, während sie sich schluchzend an seine Brust lehnte und in all ihrem Kummer doch merkte, wie stark die auswattiert war.

      »Leb' wohl, mein liebes kleines Mädchen! ... Mög's dir in diesem Leben besser gehen als mir!« –

      Valeska trocknete sich die Augen. Sie fühlte sich so allein, so verlassen auf der Welt. Eine tiefe, unbestimmte Sehnsucht erfaßte sie, ein Drang, sich irgendwo mit geschlossenen Augen anzuschmiegen und nach zärtlich streichelnder Liebe zu bangen.

      Aber sie richtete sich entschlossen auf. Mit diesen Dummheiten war es vorbei! Auf die Weise kam man nicht vorwärts! Vier Jahre hatte sie, dem Rittmeister zuliebe, in Erfurt gesessen, und nur die Freundschaft zu dem Husaren Fritz hatte sie bewogen, ein zweites Jahr nutzlos in Bergheim zu bleiben. Jetzt mußte das ein Ende nehmen. Sie wollte sich nicht mehr verlieben – den Entschluß hielt sie in grimmer Energie fest –, sie wollte Karriere machen!

      Mit Neid sah sie auf die glückliche Braut, deren Photographie sie immer noch in der Hand hielt. Die hatte es gut im Leben! Von den Eltern verwöhnt und verhätschelt, mit Sorgfalt vor allem Häßlichen und Widerwärtigen bewahrt, gehegt und gepflegt, als sei sie ein köstliches Kleinod, und nun noch einen so lieben Kerl, wie ihren Fritz, zum Mann – ja, die konnte wohl ihrem Schöpfer danken.

      Aber wahrscheinlich tat sie es nicht und wußte gar nicht, um wieviel besser es ihr im Leben ging als ihr, Valeska Elten, der armen Bühnenzigeunerin, die allein und haltlos in dem Reiche des Scheins und der Lüge umhertrieb, das für sie die Welt bedeutete, gierig verfolgt von den Männern, mitleidig verachtet von den Frauen der guten Gesellschaft, deren lispelnde Wohlerzogenheit es nicht zu fassen vermag, daß ein Mensch hungern und dürsten und frieren, und daß er lieben und sich die Liebe da nehmen kann, wo er sie in seinem armen Dasein findet.

      »Aber wartet nur!« Valeska Elten knöpfte sich energisch die Handschuhe zu, warf einen Blick auf die Uhr und trat in die Augustsonne hinaus auf die Friedrichstraße.

      Donnernd und brausend schlug ihr im Rädergerassel und Pferdebahngeklingel, im Fluten der Menschenmassen und dem Geschrei der Verkäufer der glühende Atem der Weltstadt entgegen.

      II.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Wagen hielt vor dem Portal des Westend- Theaters, das verlassen, im Sommerschlafe, dalag.

      Nur ein Trupp Mimen stand am Eingang. Herren mit kleinem Ferienschnurrbart und einzelne Damen. Neugierig musterten sie Valeska, die aus der klapperigen Droschke – in ihrer Unerfahrenheit hatte sie natürlich eine zweiter Klasse genommen – herausstieg und sich von dem Portier den Weg in das Direktionsbureau zeigen ließ.

      In dem Vorzimmer, in das man sie führte, saßen bereits wartend zwei Damen und erwiderten stumm ihren Gruß.

      Offenbar auch Schauspielerinnen. Die eine eine junge, bildhübsche Blondine mit keckem Stumpfnäschen und großen Kinderaugen. Die andere älter, unscheinbar gekleidet. Ihr scharfgeschnittenes, unter der Schminke verwelktes Gesicht trug einen müden, leidenden Ausdruck. Sie mußte einmal sehr schön gewesen sein.

      Komische Alte oder so was, jedenfalls ungefährlich. Hingegen die andere ... Valeska schaute vom Fenster, wo sie stand, verstohlen auf die Blondine, die ihren Blick ruhig aushielt.

      Die beiden schönen Mädchen sahen sich schweigend und feindselig an. Eintönig tickte die Uhr. Sonst regte sich nichts in dem Gemach.

      Endlos langsam verstrich die Zeit. Viertelstunde auf Viertelstunde. Valeska glaubte vor Ungeduld zu vergehen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus.

      »Wo nur der Direktor bleiben mag!« sagte sie zu der Blondine.

      »Max Bucher ist drinnen bei ihm,« erwiderte die, »es ist wegen des neuen Stücks. Da hat er für uns Neuengagierte keine Zeit!«

      Valeska hatte eine dumpfe Erinnerung, als habe sie irgendwo den Namen Bucher gelesen. Genau wußte sie es nicht. Es war ja jetzt auch gleich.

      »Sie sind auch neu engagiert?« fragte sie harmlos.

      »Ja ... ich komme vom Lobensteiner Stadt-Theater. Hochmann sah mich da als Iza im ›Fall Clémenceau‹ und ...«

      »So ...mich auch ...«, sagte die Elten scharf, »in Bergheim ...«

      »Auch als Iza?«

      »Ja. Ich habe ihm sehr gefallen!«

      Also zwei Rivalinnen des Rollenfaches! Die Damen verstummten. Die Blondine sah neidisch auf die Elten, und die wieder dachte bei sich: hübsch mag die Kröte schon ausgesehen haben ... als Page und dann ... vor allem in der Atelierszene ...

      Die blasse Dame im Hintergrund seufzte und sah auf die Uhr. Immer mehr machte sich der schwüle Augusttag im Zimmer geltend.

      Da rauschte es im Vorflur wie von leichtem Schleppenfegen. Line schlanke, hochgewachsene Dame zu Anfang der Dreißiger, mit interessantem, aber keineswegs schönem Gesicht, schritt, ohne nach rechts und links zu sehen, quer durch das Zimmer und öffnete die Tür zum Allerheiligsten.

      »Morgen, Direktor!« sagte sie beim Eintreten nachlässig, dann, in höflicherem Tone: »Guten Morgen, Herr Bucher!«

      Damit schloß sich die Tür. Man hörte nur noch undeutliches Stimmengewirr und Gelächter.

      Das mußte etwas Besonderes sein!

      Valeska sah sich fragend nach den andern um.

      »Die Dobschütz!« sagte die Dame im Hintergrund mit müder Stimme.

      Die Dobschütz! ... Also das war hier offenbar ein großes Tier! Die Elten und die Blondine trafen sich in einem ängstlichen Blick nach der Tür, wo jene verschwunden.

      Wieder verstrich eine Weile in stummem Antichambrieren. Da ging die Tür wieder auf, die Dobschütz kam zurück, neben ihr ein dicker, mittelgroßer Herr in den Sechzigern, einen Zwicker auf der Nase und mit einer mächtigen Glatze.

      »Lassen Sie sich von dem Alten nicht bange machen, Herr Bucher,« sagte die Dobschütz im Vorübergehen, »die große Szene wird gespielt, wie ich es will und wie Sie's geschrieben haben! Ich garantiere Ihnen ... der dritte Akt steht wie 'ne Mauer!«

      Damit war sie hinaus. Ihr Begleiter mit flüchtiger Verbeugung gegen die Damen hinterher.

      Der Theatersekretär hatte inzwischen deren Karten dem Direktor hineingetragen und kam wieder zurück.

      »Der Herr Direktor bedauert,« sagte er zu der blassen Dame, »für seriöse und komische Alte ist keine Verwendung mehr. Alles komplett. Eine Empfehlung an Herrn Hassel!« – Dann zu der Blondine: »Bitte, gehen Sie nur hinein!«

      Die blasse Dame stieß einen müden Seufzer aus, erhob sich und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, den Raum.

      »Die hätten Sie Ende der sechziger Jahre hier sehen sollen,« sagte der Sekretär zu Valeska, »eben in diesem Theater ... Wir haben noch die alten Kassenbücher ... Jedesmal ausverkauftes Haus, wenn sie auftrat ... und jetzt ...« Er zuckte mitleidig die Achseln. »Du lieber Gott, ja ... es ist nichts und wird nichts mehr mit ihr ... sie kann einen wirklich dauern!«

      Ein Frösteln überlief Valeska.

      Das war auch ihr Schicksal in zehn, fünfzehn Jahren, wenn sie nicht klug und tätig war!

      Da kam die Blondine zurück, etwas mißvergnügt und niedergeschlagen, wie es schien, und empfahl sich mit freundlicher Kopfneigung Valeska und dem Sekretär.

      »Na ... bitte ... nur 'rein, Fräulein!«

      Valeska trat in das Direktionszimmer, wo Herr Hochmann hinter einem großen, mit Schriftstücken bedeckten Tische saß.

      »Guten Morgen!« sagte er zerstreut und reichte ihr über den Tisch seine kleine fleischige Hand. »Nun, wie steht's, Fräulein ... Fräulein ...« Er warf einen

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