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unterbrach er sich, als er Valeskas erstauntes Gesicht sah. »Sie sind doch Fräulein Elten ...?«

      »Das bin ich«, sagte die hübsche Schauspielerin pikiert. »Sie sahen mich doch in Bergheim, Herr Direktor ...«

      »Als Iza ... natürlich ... und engagierte Sie ... erinnere mich, mein Fräulein, erinnere mich ... habe soviel im Kopf ...«, setzte er etwas gereizt hinzu. »Wir bringen gleich zur Eröffnung der Saison eine große Novität ... das Neueste von Max Bucher ... Sie begreifen, daß ich darüber manches andere vergesse.«

      Max Bucher!

      Valeska kannte nichts von ihm, aber sie wußte, daß der löbliche Bergheimer Magistrat auf Zucht und Sitte im Theater hielt und »denen Histrionen«, wie es im preußischen Zensuredikt heißt, so manche gefährliche Neuheit vorenthielt. Dazu gehörten wahrscheinlich auch die Werke des berühmten Bucher.

      Sie schwieg also in ehrfurchtsvoller Teilnahme.

      »Ja ... wie war mir denn?« sagte der Direktor und hielt sinnend die Hand gegen die kahle, schweißperlende Stirn. »Ich hatte Ihnen doch eine Rolle darin zugeteilt ... he ... Herr Rüsemer ...«, rief er dann, erhob sich und öffnete die Tür. »Herr Rüsemer ... bitte ... bleiben Sie sitzen, Fräulein ... Herr Rüsemer, haben Sie die Rollen zu ›Ellinor‹ bei der Hand? Ja? Dann geben Sie, bitte, dem Fräulein die Rieke ...«

      Ein freudiger Schreck durchzuckte Valeska bei der Kunde, daß sie in wenigen Wochen eine Rolle kreieren werde. »Rieke« .... was mochte das wohl sein? Wahrscheinlich eines der modernen Hinterhausstücke. Einerlei ... ihre »Alma« konnte sich schon sehen lassen ...

      Da gab ihr der Sekretär das dünne blaue Heft.

      »Ellinor«, Schauspiel in 4 Akten von Max Bucher, stand oben auf der ersten Quartseite.

      Und rechts unten: »Rieke, Dienstmagd. ½ Bogen.«

      Ein halber Bogen nur! Entsetzt schlug sie das Blatt um und las.

      Erster Akt.

       Erste Szene.

       Rieke

      (tritt von links ein, mit dummdreistem Lächeln).

      Madame ... der Herr Baron is draußen!

      Ellinor.

      ... und außerdem hab' ich Kopfweh ...

      Rieke.

      ... da soll ick ihm nich 'rinlassen?

      Ellinor.

      ... also meinetwegen ... ich lasse bitten ...

      Rieke.

      Is jut! (Ab links.)

      Das war der erste Akt!

      Im zweiten Akt hatte sie die siebente Szene. Zu sprechen war da überhaupt nichts. Sie trug nur Tee herein, reichte ihn herum und ging wieder.

      Der dritte Akt brachte ihr vor der großen Schlußszene ein kurzes Auftreten:

       Rieke

      (rasch von links).

      Madame ... eben kommt der jnädige Herr ...

      Adalbert.

      Mut, Ellinor!

      Rieke (für sich).

      Na ... nu wird's jut! (Ab links.)

      Im vierten Akt ging sie überhaupt leer aus.

      Das war die »Rolle«.

      »Was haben Sie denn?« sagte Hochmann, den die Debatte mit Bucher und der Dobschütz offenbar nervös erregt hatte. »Was machen Sie denn für ein Gesicht?«

      »Die Rolle ist so klein ...« erwiderte Valeska stotternd ... »und ...«

      »Ja ... soll ich Ihnen zu Ehren die ›Maria Stuart‹ spielen ... oder was wünschen Sie sonst ...«

      »... und ... und ich kann gar nicht berlinerisch sprechen«, fuhr sie mit dem Mut der Verzweiflung fort.

      »Ach was ... wo sind Sie geboren? ... in Eisenach? Nun also ... wer von nördlich des Mains ist, spielt die norddeutschen Dialektepisoden, wer südlich, die süddeutschen! Das ist doch ganz einfach!«

      »Ja aber ... ich habe doch in Bergheim ....«

      » Was haben Sie in Bergheim?« Der Bühnenleiter zog eine Schublade auf und holte nach kurzem Suchen einen bedruckten Bogen hervor. »Ist das Ihr Kontrakt oder nicht ...?«

      Allerdings ... das war ihr Kontrakt, eine endlose Reihe enggedruckter Paragraphen mit all den unwürdigen Bestimmungen, die diese Sklavenformulare enthalten. Sehr genau war darin festgesetzt, daß sie an das »Westend-Theater« als Schauspielerin engagiert sei, keine Rolle zurückweisen und in ihrem künstlerischen Fache keine Tätigkeit verweigern dürfe, die nicht offenbar mit Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden, daß sie bei Gastspielen Anrecht auf Beförderung in der dritten Klasse der Eisenbahn und der zweiten des Dampfschiffes habe, daß sie für ihre Toiletten – mit Ausnahme der Männerkleider –, für Trikots, Wäsche, Schmuck und Fußbekleidung aus eigenen Mitteln aufkomme und dafür eine Gage von 300 Mark monatlich beziehe, wenn nicht die Direktion von ihrem Rechte Gebrauch mache, sie, sobald sich auf den ersten Proben ihre künstlerische Unfähigkeit herausstelle, oder sobald sie innerhalb der ersten vier Wochen nach Beginn der Saison einmal aufgetreten, oder sobald sie über eine gewisse Zeit hinaus krank gewesen, ohne weiteres zu entlassen. Ebenso konnte sie gegen Ende der Saison entlassen werden, während sie sich ihrerseits für drei Jahre fest an das Theater gebunden hatte.

      Ja ... da war nichts zu machen! Die Elten schwieg.

      »Wo sollte denn das hinführen, Kind,« sagte der an sich sehr gutmütige Direktor etwas versöhnlicher, »wenn jeder nur die besten Rollen haben wollte? Da müßte man sie schließlich verlosen, um allen gerecht zu werden. Wenn es mit Ihnen geht, bekommen Sie auch größere Aufgaben. Und nun adieu! ... Morgen um zehn ist Probe!«

      Er reichte ihr die Hand. Valeska ging verstört in den Vorraum zurück.

      Diese Hunderolle! ... und in einem Dialekt, den sie nicht beherrschte ... und als schlampige Dienstmagd angezogen, wo sie zu Hause die großen Koffer voll glänzender Toiletten hatte ... und womöglich noch mit rotgeschminkten Backen und Armen ... es war furchtbar! Eine unsägliche Wut gegen den Autor der »Ellinor« stieg in ihr auf.

      »Glauben Sie, daß man das Dings oft spielen wird?« fragte sie draußen den Sekretär.

      Der schien ganz entsetzt. »Das ›Dings‹! ... Aber Fräulein ... ein Werk von Bucher ... hoffentlich macht es was!«

      »Und wie oft gibt man's dann?«

      »Solang es geht! ›Die kleine Herzogin‹ haben wir in der vorigen Saison hundertundzweiundzwanzigmal gespielt.«

      Valeska verspürte einen gelinden Schauder. Einhundertzweiundzwanzigmal diese Köchin verzapfen ... sie, die in Bergheim die ersten Rollen gespielt, nimmermehr! Mit dem festen Entschluß, in solchem Falle kontraktbrüchig zu werden, stieg sie die Treppe hinunter und schritt durch das Portal.

      Da stand die Blondine noch in eifrigem Gespräch mit einem schönen, hochgewachsenen Mimen, dem das spärliche Haupthaar in langen Strähnen auf den trotz der Sommerhitze umgeworfenen Radmantel fiel. Das war Harald Grillon, der erste Liebhaber, Regisseur und Gegenstand des schauernden Entzückens aller Backfische im Tiergartenviertel.

      Er lüftete mit einem verbindlichen »Grüß' Gott!« den Kalabreser, als sie vorbeischritt. Sie dankte und bemühte sich, während sie, das blaue Heftchen in der Hand, in den Wagen stieg, so fröhlich und unbefangen auszusehen, als sei ihr eine Bombenrolle anvertraut worden.

      Sie fuhr nach der Hasselschen Agentur.

      Persönlich kannte sie Herrn Hassel nicht. Aber er hatte ihr Engagement wie viele andere am Westend- Theater vermittelt, und sie hielt es für angezeigt, ihn zu besuchen.

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