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einer Minute wiederholte sich dort dasselbe Schauspiel – nur daß es diesmal ein alter, respektvoll aussehender Herr war, der hüstelnd und leise eine Frage an sie stellte. Um ihm zu entgehen, trat sie an ein Schaufenster. Aber gleich darauf tönte es: »Warm heute abend ... Fräulein ... was?« Und ein hübscher junger Mensch, anscheinend ein Offizier in Zivil, stand lächelnd neben ihr.

      Sie drehte sich um und eilte, so rasch sie konnte, nach Hause. Ab und zu ertönte ein Räuspern oder ein lachender Zuruf hinter ihr. Und alle die Menschen, die den breiten Bürgersteig belebten, schienen gar nichts an der Art zu finden, wie man sie behandelte, und die Schutzleute schauten nachdenklich in das Gewühl der Menge.

      »Mein liebes Fräulein,« meinte Frau von Haidenschild, als Valeska wieder bei ihr eintrat, »wenn Sie es schon nicht lassen können, um ein Viertel auf zehn Uhr abends noch auszugehen, so müssen Sie durchaus so elegante Toiletten wie diese vermeiden und dafür einen schwarzen Schleier vornehmen. Wer so hübsch und schick ist wie Sie ...«

      »Es ist empörend ...«, sagte die Elten bleich und dem Weinen nahe, »bin ich denn vogelfrei in Berlin, daß jedermann ...«

      »Das ist die Weltstadt. Da ist eine einzelne Dame wirklich beinahe vogelfrei, und wir tun uns noch was darauf zugute, daß wir solch weltstädtisches Leben haben! ... Aber kommen Sie doch ein bißchen in den Salon ...«, setzte die Haidenschild gutmütig hinzu, »und beruhigen Sie sich! Es ist Ihnen ja nichts weiter geschehen.«

      Im Salon befanden sich die anderen Damen, die bei der Haidenschild wohnten. Die beiden Schottinnen, zwei rothaarige, sommersprossige Mädchen von knochigem Körperbau und mächtigen, blendendweißen Gebissen, dann Fräulein Klein, eine bleiche, müde Gouvernante in den Dreißigern, und eine ältere, kleine Dame aus der Provinz, die in Berlin den Ausgang eines Prozesses gegen ihre Verwandten abwartete.

      Die Schottinnen bearbeiteten, halblaut im Takte zählend, das Klavier in der Ecke und unterhielten sich dazwischen kichernd in ihrer Muttersprache, die Valeska nicht verstand. Über etwas Französisch, das sie sich in den letzten Jahren eingetrichtert, gingen ihre Sprachkenntnisse nicht hinaus. Die blasse Gouvernante schwieg und seufzte. Die kleine Dame unterhielt sich mit der Haidenschild darüber, daß der neben ihr wohnende Regierungsbauführer Bergmann demnächst von seiner achtwöchigen Reserveoffiziersübung zurückkehren und sie dann wieder allnächtlich durch sein spätes und geräuschvolles Nachhausekommen ängstigen werde.

      Alles in allem eine höchst langweilige Gesellschaft.

      Valeska wollte sich auf ihr Zimmer zurückziehen. Sie fragte ihre Wirtin, ob sie nichts zu lesen habe.

      Gewiß ... den »Lokal-Anzeiger«! Wie sollte dies Organ aller Zimmervermieterinnen, Waschfrauen und Herrschaftsköchinnen von Berlin hier fehlen?

      Allein der »Lokal-Anzeiger« war nicht da. Es ergab sich, daß der vorhin nach Hause gekommene Doktor Lenze ihn mit auf sein Zimmer genommen hatte. Ehe Frau von Haidenschild noch bei ihm klopfen konnte, erschien Lenze selbst, zum Ausgehen gerüstet, das Blatt in der Hand, auf der Schwelle.

      Ein schlanker, stutzerhaft elegant gekleideter Mann in den Dreißigern, mit langem Schnurrbart, zahllose Schmisse auf dem scharfgeschnittenen, verlebten Gesicht, trat er spöttisch lächelnd auf die Haidenschild zu und überreichte ihr feierlich die Zeitung. Dann machte er auch Valeska eine tiefe Verbeugung, so daß sie sich einen Augenblick hindurch von dem Vorhandensein einer Glatze in seinem sorgfältig gescheitelten Haupthaar überzeugen konnte.

      Die neue Hausgenossin schien ihn zu interessieren.

      »Also wirklich beim Westend-Theater, gnädiges Fräulein?« sagte er, trat ohne weiteres in den Salon und nahm im hellen Sommerpaletot, den spiegelnden Zylinder in der Hand, auf dem nächsten Fauteuil Platz ... »Nun ... haben Sie schon um Fräulein Dobschütz' Gunst gebuhlt?«

      »Nein!« sagte die Elten. »Ich werde es auch nicht tun.«

      »Hm.« Lenze lächelte ironisch ... »Mut zeiget auch der Mameluck! Was macht denn der alte tüchtige Hochmann? ›Steht‹ die ›Ellinor‹ schon? Grüßen Sie ihn und sagen Sie ihm, es gäbe einen Durchfall mit Pauken und Trompeten.«

      »Mein Gott,« fragte Valeska erschrocken, »woher wissen Sie denn das alles?«

      Ihr Gegenüber sah sie belustigt an.

      »Sie kommen aus der Provinz, mein gnädiges Fräulein,« sagte er, »sonst müßten Sie wissen, daß ich, Hermann Lenze, den sie im ›Kaiserhof‹ Doktor und den sie im ›Café Schiller‹ sogar Herr Leutnant nennen – im Vertrauen gesagt, ich war einmal wirklich Tertianer im Kadettenkorps –, also daß ich, Hermann Lenze, gemäß meines Kontraktes mit der Firma Casselmann und Co. und als Herausgeber der dieser Firma gehörenden ›Europäischen Korrespondenz‹ verpflichtet bin, alles zu wissen ... nicht nur in meinem eigentlichen Fache, der Politik, sondern überhaupt alles ... alles« wiederholte er mit Nachdruck, da Valeska verlegen lächelte ... »Alles, mein Fräulein!«

      Die impertinente Sicherheit des Fremdlings machte einen tiefen Eindruck auf die Elten.

      »Wenn Sie alles wissen«, sagte sie mit raschem Entschluß, »wollen Sie mir da ein paar Fragen beantworten?«

      »Bitte« ... erwiderte Herr Lenze geschäftsmäßig ... »Sie wollen wissen, wer die Dobschütz ist? Ich antworte kurz und bündig: die Dobschütz ist ein Racker! Sie wollen wissen, wer Hochmann ist? Hochmann ist ein guter Kerl, ein fleißiger und geschickter Regisseur und spielt leidlich die humoristischen Väter. Viel zu sagen hat er in seinem Theater nicht.«

      »Sagen Sie mir um's Himmels willen ...«, bat die Elten, » wer hat denn in diesem Theater etwas zu sagen?«

      »Die Dobschütz!«

      »Und wer noch?«

      »Herr von Seybling.«

      »Ja – wer ist denn das nur?«

      Lenze sah sie prüfend an.

      »Seybling? Ritter des Takowa-Ordens!« sagte er kurz.

      »Ja, bitte ...«, meinte die Elten melancholisch, »verspotten Sie mich nur! Es geht mir ohnedies schon alles wie ein Mühlrad im Kopf herum.«

      Das schien Lenze leid zu tun.

      »Also im Ernst gesprochen,« sagte er, »Seybling ist früherer Kavallerieoffizier und ein sehr kluger Mensch. Er ist in allen Ehren aus dem Dienste ausgeschieden, hat reich geheiratet und betreibt jetzt Geschäfte im großen Stil. Wenn er in seinem trottenden Gigerlschritt, die silberbeschlagene Keule in der Hand und das Monokel im Auge in die Börse tritt, so zittern vor ihm alle, die es angeht. Er hat schon die gerissensten Kulissiers hereingelegt. Ihn ›kann keiner‹.«

      »Schrecklich!« sagte die Elten.

      »Nachmittags ist er auf dem Rennplatz, erscheint dann abends mit seiner schönen Frau in irgendeiner Loge und soupiert später mit der Dobschütz, wenn er nicht in den Klub spielen geht.«

      »Schrecklich«, sagte die Elten wieder. »Aber was hat denn das alles mit dem Westend-Theater zu tun?«

      »Zum Komödienspielen gehört doch Geld,« erwiderte der Journalist kaltblütig, »der olle Hochmann hat nicht 'nen Groschen. Seine Geldgeber sind ein Konsortium von Börsenleuten, an dessen Spitze Seybling, der Freund und Beschützer der Dobschütz, steht.«

      Valeska seufzte. »Nun sagen Sie mir bitte nur noch eines: wer ist Schliephacke?«

      »Schliephacke ist ein alter, friedlicher Herr und unter anderem Besitzer des Westend-Theaters. Er bezieht jährlich davon 125 000 Mark Pacht.«

      »Und was tut er dafür?«

      »Nichts. Er besitzt das Theater. Auch den Fundus hat Hochmann von ihm zur Miete.«

      »Ach Gott, wie ist das alles verwickelt.« Die kleine Elten hielt sich verzweifelnd den hübschen Kopf.

      »Gar nicht verwickelt, mein Fräulein!« sagte der andere ruhig. » Sie mühen sich im Schweiße Ihres Angesichts, proben täglich zwei bis drei Stunden, spielen ebensolange, verbringen eine weitere Stunde in der heißen,

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