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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Oh ... wirklich ...«, sagte Valeska. Sehr verlockend schien ihr diese Aussicht nicht.
»Und ebenso, wenn Sie Besuche empfangen, Fraulein Elten,« fuhr die Haidenschild eifrig fort, »aber ich bitte Sie ... das ist ja selbstverständlich ... Damen vom Theater können das ja gar nicht vermeiden ... es kommt ein Agent ... oder ein Direktor aus der Provinz ... oder der eine und andere Kollege ... oder ein Journalist, der das und jenes wissen will ... sehen Sie ... diese Herren können Sie hier im Salon ganz prächtig und ungestört empfangen ... nicht wahr?«
Das hieß mit anderen Worten: Auf deinem eigenen Zimmer, meine Liebe, dulde ich vorläufig keine Herrenbesuche.
Valeska begriff das und nickte.
Frau von Haidenschild schien befriedigt.
»Es wird Ihnen schon hier gefallen«, sagte sie und kletterte auf einen Stuhl, um das Gas im Korridor anzuzünden. Im Lichte der aufflackernden Flamme sah Valeska, daß ihre Beschützerin eine etwas quabblige und schlampig angezogene Dame zu Anfang der Fünfziger war, die aber doch in der gezierten Sprache und würdevollen Haltung eine aristokratische Gewähltheit festzuhalten suchte.
»Gott weiß, wer der ihr seliger Mann war!« dachte sie bei sich.
»Ich esse ein saures Brot,« sagte, als habe sie ihre Gedanken erraten, Frau von Haidenschild, indem sie von dem Stuhl herabstieg, »mein guter Mann, der Rittmeister, hat mir eigentlich nichts hinterlassen als die Möbel und unseren schönen Namen. Sie wissen ja, wie es mit den Schulden beim Militär geht ...«
Tatsächlich war der »Rittmeister«, der Sprosse eines verkommenen Geschlechts, zeit seines Lebens in einem pommerschen Städtchen den Honoratioren mit dem Schermesser um den Bart gegangen und des Abends nur ein- bis zweimal im Monat nüchtern gewesen. Nach seinem Tode hatte die Witwe, die ältere Kunstfreunde vor Jahrzehnten als Ballettelevin im Schweriner Hoftheater gesehen haben wollten, das Geschäft verkauft und aus dem Erlös sich die Pension in der Lützowstraße eingerichtet.
Valeska war im Begriff, in ihr Zimmer zurückzutreten, als die Nebentür aufging und ein kleines Männchen mit gelbem Gesicht und kurzem, schwarzem Schnauzbart herauskam. Das Männchen grüßte höflich, zwinkerte mit seinen vergnügten Schlitzäuglein Valeska freundlich an und ging die Treppe hinunter.
»Aber das ist ja ein Japanese!« sagte die Elten in kläglichem Ton.
»Gewiß!« bestätigte Frau von Haidenschild. »Der Vicomte von Asagata, der hier Medizin studiert ... aus einer der vornehmsten Familien Japans. Sein Vater ist dort Finanzminister. Sie werden sehen ... er ist ein zu lieber, freundlicher Mensch ... und so solide ...«, sie lächelte mit jener mütterlichen Anerkennung, die die Zimmervermieterinnen Berlins den wenigen tugendhaften Chambregarnisten zollen, »so solide ... man glaubt es kaum.«
»Wahrscheinlich ist er in eine Japanesin verliebt«, meinte die Elten und wollte nun wirklich in ihr Zimmer, als die Türklingel klang und ein herrschaftlicher Lakai von lümmelhafter Majestät auf der Schwelle erschien.
»Eine Empfehlung vom Herrn Grafen,« sagte er, den Hut etwas lüftend, zu der alten Dame, »und er käme heute abend aus Potsdam herüber.«
Der Haidenschild schien das unangenehm.
»Es ist gut!« sagte sie zu dem Lakaien, der sich, einen neugierigen Blick auf Valeska werfend, würdevoll entfernte.
Diese erwartete, daß sie von ihrer redseligen Wirtin eine Aufklärung über den Grafen und seinen Diener erhalten würde, aber es erfolgte nichts, und sie ging in ihr Zimmer, um sich wohnlich einzurichten.
Es war ein recht hübsches Zimmer. Die beiden Fenster gingen auf die Lützowstraße, deren Pferdebahngeklingel unablässig herauftönte. In einer Ecke stand, durch einen Wandschirm verdeckt, das Bett. An den beiden Seitenwänden befanden sich verschlossene und mit Draperien verhängte Türen.
Hinter einer dieser Türen ertönte jetzt ein Poltern. Ein Stuhl fiel um, ein kräftiges, männliches Gähnen wurde hörbar, dann einige Flüche in unverständlicher Sprache. Es schien, als ob da jemand aus dem Schlaf erwache. Man hörte Wassergeplätscher, dann, wie ein Herr mit knarrenden Stiefeln und leise pfeifend im Zimmer auf und ab ging. Das häufige Zuschlagen von Kommoden- und Schranktüren zeigte, daß er dabei Toilette machte.
Zugleich ertönte wieder die Türklingel. Der Theaterdiener des Westend-Theaters war da, um Fräulein Elten das gedruckte Wochenrepertoire und ein Exemplar der Hausordnung zum Unterschreiben zu bringen.
Fräulein Elten war zwar zweifelhaft, ob der Theaterdiener zu den »Männern« im Sinne der Haidenschild oder, wie sie meinte, zu den geschlechtslosen Wesen vom Schlage der Kellner, Friseure und Schneider zu rechnen sei, entschied sich aber doch, auf den Flur hinauszutreten.
Dort empfing sie die Nachricht, daß bis auf weiteres – Sonntags ausgenommen – Probe zu »Ellinor« stattfinde und ferner »Die kleine Herzogin«, das Repertoirestück der letzten Saison, neu einzustudieren sei – für sie schien keine Rolle darin übrig –, dann las sie bei dem flackernden Gaslicht die Hausordnung, überzeugte sich, daß sie Klagen und Beschwerden nur schriftlich, Reklamationen gegen das Repertoire nur bis Sonntag mittag zwölf Uhr einreichen dürfe, daß es ihr unter keinen Umständen erlaubt sei, sich aus Berlin zu entfernen, daß sie vielmehr, wenn sie auf mehr als zwei Stunden ihre Wohnung verlasse, ihre Adresse dort hinterlegen müsse, daß sie bei Erkrankungsfällen sofort ein Attest des Theaterarztes einzureichen habe, daß die Weigerung, eine Rolle zu übernehmen, die sofortige Entlassung nach sich ziehe, und eben dies auch infolge andauernden schlechten Memorierens, ungebührlichen Betragens und ärgerlichen Lebenswandels unvermeidlich sei, und viele andere, mit Entlassungsdrohung und dem Abzug von viertel, halben und ganzen Monatsgagen gezierte Paragraphen, die sie nur flüchtig durchlas, um dann ihren Namen darunterzukritzeln.
Eben war sie damit fertig und der Theaterdiener empfahl sich, als wieder eine Tür heftig aufging. Ein Paar bestaubte Lackstiefel flogen heraus, ein hübscher junger Mensch mit bräunlichem Teint und dunklem Haar erschien, in Maroquinpantoffeln, mit lichten Beinkleidern und einem geflickten Hemd angetan, auf der Schwelle und zog sich bei Valeskas Anblick blitzschnell, in gebrochenem Deutsch eine Entschuldigung stotternd, zurück.
»Das ist der Attaché«, sagte die Haidenschild und hob die winzigen Lackstiefel auf. »Sehen Sie 'mal den Fuß ... wie 'ne Dame ... das soll bei allen vornehmen Südamerikanern so sein. Er wohnt jetzt schon ein Jahr hier. Viel zu tun hat er nicht. Den halben Tag sitzt er im Café und himmelt die Büfettmamsell an. Die andere Hälfte schläft er. So gegen Abend wird er munter und geht aus. Was er dann treibt, mag ich gar nicht wissen. ›Sie brauchen eigentlich gar keinen Hausschlüssel, Herr Baron!‹ hab' ich ihm neulich gesagt. ›Sie kommen ja doch erst um sechs Uhr morgens wieder zurück, wenn das Haustor schon offen ist.‹«
Eine merkwürdige Gesellschaft, dachte Valeska wieder, als sie in ihr Zimmer zurückging, um sich nun endlich einzurichten.
Das war bald geschehen. Die Wirtin stellte eine Lampe auf den Tisch, brachte Tee und empfahl sich wieder. Aus dem Salon hörte man das Lachen und Plaudern einiger Damenstimmen.
Valeska ging müßig in dem dämmrigen Zimmer auf und ab. Sie langweilte sich. Zum Lesen hatte sie nichts, zum Briefschreiben war sie zu müde, und zum Schlafen war es zu früh. So wollte sie noch ein bißchen ins Freie gehen, um die frische Nachtluft zu genießen.
Aber kaum war sie, gemächlich schlendernd und sich