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      »Es ist auch der Lehrter Bahnhof,« sagte die Thorbeck, »aber das, was zwischen dem Bahnhof, dem Zuchthaus und der Kaserne liegt ... ja ... da ... das bunt herausgeputzte Eisen- und Glasgerippe, das ist das Preußische Landes-Ausstellungs-Gebäude.«

      »Das könnte auch schöner sein!« meinte die Elten despektierlich. »Der Staat kümmert sich doch viel zu wenig um die Kunst!«

      »Viel zu viel noch,« sagte Thilda, »alle Augenblicke wird uns in Berlin ein Stück verboten, bis es das Oberverwaltungsgericht wieder freigibt. Die Polizei in der Kunst, das ist wie die Kuh im Porzellanladen! Es kommt nichts Gescheites dabei heraus!«

      »Gehen Sie in die ›Freie Volksbühne‹, Fräulein,« sagte plötzlich der Arbeiter vor ihnen, griff an die Mütze und stieg ab, »an die kann der Staatsanwalt nich tippen!«

      Die Elten sah ihm erstaunt nach.

      »Haben denn die Arbeiter hier ihre eigene Bühne?« fragte sie.

      »Zwei!« Thilda lachte. »Die ›Freie‹ und die ›Neue Freie‹! Ich hab' selbst mal in den ›Webern‹ mitgespielt. So ein dankbares Publikum findet man gar nicht wieder.«

      »Also das ist die berühmte ›Freie Bühne‹?«

      »Nein, die ›Freie Bühne‹ war wieder etwas anderes. Daneben gab es auch noch eine ›Freie Deutsche Bühne‹ und eine ›Fresko-Bühne‹.«

      »Ehe ich das alles begreife, werde ich hundert Jahre alt!« seufzte die Elten und stieg mit der Freundin die Treppe zu dem Ausstellungsplatz hinunter.

      Am Eingang zu der Glashalle wollte sie sich gewissenhaft von einer der Verkäuferinnen einen Katalog erstehen, Aber Thilda wehrte ihr.

      »Wenn Sie sich jedes einzelne Bild nach der Nummer ansehen wollen, brauchen Sie zwei Tage. Das meiste sind doch Schmieralien. Wir schlendern am besten so durch, und ich zeige Ihnen das Hauptsächlichste.«

      Das Hauptsächlichste wird wohl ein Leutnant sein, dachte die Elten. Aber sie muß ihrer Sache sehr sicher sein, daß sie gerade mich als Gardedame mitnimmt. Denn ich bin doch viel hübscher!

      Daran war kein Zweifel. Die Thorbeck war gerade noch passabel zu nennen und dabei äußerst mager.

      Übrigens schien diese sehr ungeduldig, daß sie Valeska gar nicht aus dem vordersten, dem Ehrensaal, wegbringen konnte, wo die zahlreichen, mit minutiöser Genauigkeit abgepinselten Uniformen und Paraden deren höchstes Interesse erweckten.

      »Das ist alles so reell gemalt«, meinte sie naiv. »Zum Beispiel hier ... auf dem Orden kann man ganz deutlich die Inschrift lesen ... und ebenso der Helm hier ... von dem Kürassiermajor ... der ist ganz genau nach der Vorschrift.«

      Aber Thilda zog sie mit sich fort und ließ ihr kaum Zeit, ab und zu eines der Genrebildchen zu bewundern, die namentlich im Düsseldorfer Saal ihr Entzücken erregten. Den Großvater mit dem Enkel auf den Knien, das mit der Katze spielende Mädchen, die Heimkehr des Reservisten, alle die schönen Bilder, die sie so oft in den Familienblättern gesehen, hingen da in Reih' und Glied, und sie zürnte wirklich der Thorbeck, die sie immer weiter drängte, weil die wirklich guten Bilder, namentlich das Gemälde »Größenwahn«, im letzten Saale hingen.

      Also denn man zu! Nur einmal blieb Valeska noch stehen und warf einen erstaunten Blick in den Nebensaal. Es schien, als sei da zwischen den bunten Leinwandrahmen ein Loch in die Wand gebrochen, durch das das Tageslicht hereinströmte. Jenseits des Loches sah man eine Sanddüne, auf der eine alte Frau zwei Ziegen hinter sich herzerrte. Weiter nichts.

      »Ein Werk Max Liebermanns«, sagte Thilda. »Gefällt es Ihnen?«

      Das wußte Valeska nicht. »Es ist so ganz anders«, sagte sie beklommen und folgte Thilda zu dem Bilde »Größenwahn«. Schon von weitem leuchtete ihr die virtuos gemalte Gestalt des irrsinnigen Mimen entgegen, der, die Pappkrone auf dem Haupt, in eine zerlumpte Decke gewickelt, majestätisch inmitten seiner verhungernden Familie in der Dachkammer stand.

      »So was zu malen! Schrecklich!« sagte sie. »Es gibt doch so viele nette Sachen, Blumen und Landschaften und Soldatenbilder und hübsche Mädchen, warum denn nun ausgerechnet gerade...«

      Aber Thilda hörte nicht mehr auf sie. Sie blickte aufgeregt und, wie es schien, etwas erschrocken auf die beiden Herren, die kopfschüttelnd vor dem Gemälde standen.

      Zwei kann sie sich doch nicht bestellt haben, dachte Valeska. Also hat »Er« zur Vorsorge sich auch einen Heldenvater mitgebracht – wirklich reizend!

      In der Tat war der eine der Herren schon anfangs der Vierzig. Ein stattlicher, hochgewachsener Mann, in dessen dunklem Vollbart und Haupthaar bereits die ersten Silberfäden schimmerten. Zahlreiche kleine Fältchen spielten in dem wettergebräunten, durchgeistigten Gesicht, über dessen ernst, beinahe müde blickenden Augen blendendweiß der obere Teil der Stirn glänzte.

      Also ein Landwirt oder ein Offizier. Eher ein Offizier, nach dem tadellosen Sitz des grauen Sommerzivils und der straffen Haltung zu schließen.

      Sein Begleiter, ein kleiner, etwas hinkender Herr zu Ende der Zwanzig, der eben höflich grüßend auf Thilda zutrat, war offenbar nicht militärisch, sondern akademisch gebildet. Beweis: der mächtige »Durchzieher«, dessen rosige Narbe ihm vom linken Ohr quer über die Backe bis in den Mundwinkel lief. Dies tadellose Exemplar konnte nur in der Heidelberger Hirschgasse oder der Göttinger Landwehr entstanden sein. Anderswo, zumal auf Universitäten mit Glockenschlägern statt der Korbklinge, wäre es niemals gediehen.

      Thilda war ihm einige Schritte entgegengegangen. Sie sprachen leise miteinander. Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie sagen:

      »Ich habe sie nun einmal mitgebracht! Wie konnte ich denn wissen...!«

      Am besten ist, ich ziehe mich zurück, dachte Valeska.

      Aber schon traten die beiden auf sie zu, und die Thorbeck stellte ihr den Regierungsassessor von Rönne vor.

      Eine kurze Pause entstand. Offenbar handelte es sich darum, wie der andere Herr, der sich ihnen näherte, die Begegnung auffassen würde.

      Valeska hatte den Eindruck, als sei es die Absicht des Assessors gewesen, seinen Begleiter gewissermaßen mit Thilda zu überrumpeln, und als sei sie, Valeska, beiden nun sehr im Wege.

      Aber der Fremde machte gute Miene zum bösen Spiel. Als wohlerzogener Mann mußte er sich den Damen vorstellen lassen.

      »Nun, Max,« wendete er sich gelassen zu dem anderen, »ich sehe, du triffst Bekannte.«

      »Ja, gestatte, lieber Albrecht!« stotterte der Assessor aufgeregt. »Mein Stiefbruder, Major von Rönne – Fräulein Thorbeck vom Westend-Theater!«

      »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, mein Fräulein!« sagte der Major, sich verbeugend, mit halbem Lächeln.

      Thilda wurde blutrot, erwiderte aber nichts.

      »Und hier ...« Natürlich wußte der Assessor den Namen nicht.

      »Fräulein Elten, meine Kollegin«, sagte Thilda rasch. »Sie war so freundlich, mich heute zu begleiten. Frau Haupt, unsere alte Wirtschafterin, ist unwohl.«

      »Doch hoffentlich nichts Ernstliches?«

      »Nein. Ein bißchen Influenza.«

      Man verstummte wieder. Valeska begriff jetzt so ziemlich den Zusammenhang.

      Offenbar war der ältere Herr gegen die Verlobung seines Bruders mit einer Schauspielerin. Und gerade heute, wo dieser ihn glücklich in die Falle gelockt und gezwungen hatte, Thilda kennenzulernen, brachte sich das Unglücksgeschöpf auch noch eine Kollegin mit!

      Und noch dazu eine so abschreckend hübsche! Eine nette Situation. –

      »Ja, wie wäre es ...«, meinte der Asessor stockend – er wußte, daß er eine besondere Dummheit sagte –, »wollen wir uns nicht die Bilder ansehen?«

      Also sah man sich die Bilder an.

      Thilda ging mit ihrem

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