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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Gefährlich?« fragt inzwischen tonlos der am Boden knieende Wendlau den Arzt. Der antwortet nicht gleich. Mit einem vielsagenden Blick deutet er auf das ringsum sprossende Riedgras. Breiartige weiße Flocken kleben daran.
»Eine Gehirnverletzung ist fast ausnahmslos tödlich, Herr Leutnant!« sagt er und kniet ebenfalls nieder, um den Gefallenen zu untersuchen. Man hört ein kurzes, schweres Röcheln, das zuckende Aufschlagen eines Stiefelabsatzes.
»Er lebt doch noch ...« Wendlaus Stimme klingt heiser.
»Das kann noch zehn Minuten so gehen ...« Der Arzt beugt sich noch einmal über den Grafen ... »vielleicht auch eine Viertelstunde. Das Bewußtsein ist weg ... kommt auch nicht wieder ...«
Dann wird alles still. Prinz Stayningen sieht stumpf vor sich hin, sein Gesicht ist noch immer aschgrau, seine Glieder zittern.
»Herrgott ...« sagt er schließlich ... »ich hatte wahrhaftig nicht die Absicht, Wendlau ... wahrhaftig nicht ...«
Aber der kleine Husar fühlt sich jetzt nicht als Freund, nur als Sekundanten. »Pardon, Durchlaucht,« erwidert er und sucht seiner hellen Stimme einen möglichst schneidenden Klang zu geben, »niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Ich glaube,« ... er sieht umher, »die Herren sind alle einig, daß bei Vollziehung des Zweikampfes die Standessitte gewahrt wurde ...«
»Ach was, Standessitte...« murmelt Stayningen fast kläglich ... »aber wenn einem die Kugel am Ohr vorbeigeht ...«
»... und ein Schütze wie Parsenow fehlt,« sagt ernst ein dunkelbärtiger Herr, der bis dahin geschwiegen ...
»... ich kanns nicht glauben ...« Der Husar sieht verstört auf den Sterbenden ... »er traf ein Kartenblatt auf zwanzig Schritt und jetzt ...«
»Verzeihung, Herr Leutnant,« unterbricht ihn mit kalter Höflichkeit einer der Gegensekundanten ... »die Andeutung, als ob der Herr Graf sich freiwillig der Kugel unseres Mandanten preisgegeben habe ...«
Aber der Unparteiische schneidet ihm das Wort ab: »Genug, meine Herren ... Diese Erörterung ist, wie mir scheint, überflüssig. Halten wir uns an die Thatsachen. Graf Parsenow ist tot. Was er vorher dachte und wollte, geht uns nichts mehr an!«
Die Anwesenden verstummen. Allmählich dämmert ihnen allen die schweigende Erkenntnis auf, daß Graf Parsenow es vorgezogen hat, sein Schicksal zu corrigieren!
Und wieder wird es ganz still. Oben in der Fichte, über der die kleinen Lämmerwölkchen an dem blaßblauen Herbsthimmel dahinziehen, hämmert und klopft der unverzagte Specht und in weiter Ferne, wo die Ausflügler in ihren Kremsern über die Chaussee rollen, tönt kaum hörbar ein Gesang.
»Im Grunewald ist Holzauktion« ... klingt es herüber, dann wieder das Rauschen des Morgenwindes im Stangenholz und in ihm, halbverweht und kaum vernehmbar »... ist Holzauktion ... ist Holzauktion...«
Von den Döbeln, die spät in der Nacht noch aus Potsdam zurückgekommen, saß nur der Major im Frühstückssaal des Hotels. Hilda wollte noch bis zum Nachmittag bei ihrer Freundin in Potsdam bleiben. Kurt war zum Dienste.
Unter höhnischem Brummen und halbersticktem Wutgelächter studierte der alte Herr eben einen gegen die Agrarier gerichteten Leitartikel der »Freisinnigen Zeitung«, die ihm durch irgend ein Unglück in die Hände gefallen war, als der Leutnant von Wendlau sporenklirrend eintrat und sich ihm vorstellte.
Die beiden Herren gingen in Döbelns Zimmer. Als sie nach einiger Zeit wieder herunterkamen, schien das Gesicht des Majors um Jahre gealtert. Er ging langsam, er sprach leise und begnügte sich zum staunenden Entsetzen der herumstehenden Piccolos, die sein Temperament wohl kannten, mit einem milden Verweis, als ein ungeschickter Hausknecht ihm einen Koffer an das Schienbein schleuderte.
Dann fuhren die beiden davon, in den Grunewald.
Auf dem schmalen Kiefernpfad unweit der Saubucht, in dessen Sand die Räder knirschend einsanken, kam ihnen ein offenes Gefährt entgegen.
Prinz Stayningen saß darin. Er hatte seine gewöhnliche Gesichtsfarbe wiedergewonnen; es schimmerte feucht in seinen kleinen Augen.
»Vor einer Viertelstunde war es erst zu Ende,« sagte er leise und beklommen zu Wendlau, der an seinen Wagen getreten war ... »ich habe die ganze Zeit gewartet, um für den Fall, daß er noch zur Besinnung käme ... Sie begreifen ... ich hätte ihm gern noch einmal die Hand hingehalten ...«
Der Leutnant schweigt.
»Setzen Sie sich nur in meine Lage,« fährt der Prinz fort. Ein paar dicke Thränen rollen über sein rotes, gutmütiges Gesicht. »Er hat mich doch schließlich mit dem Handschuh geschlagen. Was war da zu machen? ... ich geb's ja gerne zu ... er war ein brillanter Kerl ... der Parsenow ... Gott hab' ihn selig ...«
»Und was thun Sie jetzt, Durchlaucht?«
»Ich fahre erst auf die Bank ... nämlich wegen der Caution ... und dann zum Staatsanwalt ...«
»Nun, dann viel Glück!«
Vorsichtig gleiten die beiden Wagen an einander vorbei.
Mit einem scheuen Blicke sieht Stayningen dem grimmigen alten Herrn nach, der neben Wendlau sitzt. Dann wendet er sich zum Kutscher: »Nu man dally ... ich habe Eile ...«
Und je mehr der rasch dahinrollende Wagen sich Berlin nähert, desto zufriedener wird des Prinzen Stimmung.
Eigentlich hat er sich doch brillant aus der Affaire gezogen. Er ist am Leben geblieben, auf der Festung einer baldigen Begnadigung sicher, und wie anders steht er jetzt da als noch gestern um diese Zeit!
Da hielt man ihn noch für ein harmloses, gutmütiges Gigerl: jetzt hat er gezeigt, daß er Haare auf den Zähnen hat, indem er den gefürchteten Parsenow im ritterlichen Zweikampf erlegte. Staunend werden jetzt die Männer, mit angstvoller Bewunderung die Frauen auf ihn sehen, und er selbst fühlt sich heute zum ersten Mal in seinem siebenunddreißigjährigen nutzlosen Dasein nicht unwert des alten Heldengeschlechts, von dem er stammt, jener grimmigen Kämpen, deren Bilder den Ahnensaal seines Vaterschlosses fern am rebengrünen Neckarstrand zieren ...
Schweigend tritt inzwischen der Major und sein Begleiter in das kleine Zimmer des Grunewald-Restaurants, in dem man einstweilen den Grafen gebettet. Vor dem Fenster schwanken rötliche Buchenzweige, weiterhin schweift das Auge ungehindert über blaue Seeen und bläulichen Forst. Im Hofe unten heulen und janken ein Paar Teckel, Truthahngekoller mischt sich mit dem Gackern der Hühner.
Lange betrachtet der alte Döbeln die reglos ausgestreckte ritterliche Gestalt. Man hat Parsenow ein Tuch um den Kopf gelegt, das die Wunde verbirgt. Ein herber Ernst ruht auf seinen scharfgeschnittenen Zügen, aus denen der dunkle Schnurrbart sich jetzt noch grimmig emporsträubt. Sein gesunder, bräunlicher Hautton hat einen gelblichen Schimmer angenommen. Und dumpf starrt der graue Biedermann vor sich hin. »Wie wird Hilda diesen Schlag ertragen?« geht es eintönig durch sein armes Hirn ... »wie soll er sie darauf vorbereiten ... wie ihn ihr mitteilen ...«
»Ich denke ... wir warten die Dämmerung ab,« sagt endlich der Husar neben ihm ... »bis wir ihn hereinfahren. Dann sieht es niemand und die Sache spricht sich nicht so herum. Ich habe Parsenows Diener schon herausbestellt. Er kann dann auf dem Bock des Coupés sitzen. Wir beide fahren langsam mit unserer Droschke voraus ...«
Der Major nickt schwermütig mit dem Kopf. Gut, daß der Diener da ist!
Und wirklich sitzt unten in der Wirtsstube der perfekte valet de chambre und unterhält sich bei einem Glase Grog herablassend mit dem Kellner. Der Tod des Grafen geht ihm äußerlich wenigstens nicht allzu nahe. Ein Kammerdiener der jeunesse dorée muß darauf gefaßt sein, jeden Augenblick seinen Herrn durch Duell, Selbstmord, Heirat oder sonst einen Unglücksfall zu verlieren.
Schon steht die rotglühende Sonnenscheibe tief im Westen, ein feiner weißer Rauch entsteigt dem reglosen Gewässer der Havelseeen und die würzig kalte Nachtluft verdrängt die matte Wärme des Herbsttages, da rumpeln die beiden Wagen im Schritt über