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Dort hatte an dem Tische, den die Schranke des Holzverschlags von dem seinen trennte, offenbar eine größere Gesellschaft Platz genommen. Er konnte die Gesichter nicht sehen, wohl aber vernahm er die Stimmen, jene eigenartig schnarchenden Nasaltöne, die allenfalls einige der begabtesten Schauspieler den Angehörigen der höheren norddeutschen Gesellschaft nachzumachen vermögen.

      Die Herren mußten eben das Extrablatt gekauft haben. Der Graf hörte, wie sie die einzelnen Sätze vorlasen und sich darüber unterhielten. Und dann schlug plötzlich ein bekannter Name an sein Ohr.

      »Wißt Ihr, was mir dieser Kerl, der Krakauer, vorhin erzählt hat,« sagte ein tiefer, rauher Baß, ... »ich war bei ihm ... in Angelegenheit meines Gutsverkaufs ... da schwor er, daß Frau von Braneck ihr ganzes Vermögen bei van Look verloren habe ...«

      »Oh,« machte eine helle Stimme bedauernd, ... Parsenow kannte sie. Das mußte Wendlau sein. Die andern schwiegen.

      »Na ... und Parsenow ...?«

      »Pah ... der nimmt 'ne andere«, klang eine wohlbekannte, etwas heisere Stimme, ... »furchtbar einfache Chose ...!«

      »Nanu, Stayningen ... das ist denn doch ...« mehrere Herren riefen durcheinander, aber das heisere Organ klang durch.

      »Was ist denn da weiter dran! ... ziemlich stumpfsinnige Dame ... bei Gott ... und nun ohne Geld ... das ist nichts für einen Glücksritter, wie es unser guter Parsenow doch allmählich ...«

      Prinz Stayningen brach plötzlich ab und schluckte heftig, während sein Gesicht sich aschgrau färbte und ein unerträglicher Schrecken seine Herzmuskeln zusammenzog. Parsenow stand hochragend dicht vor ihm und wehte ihm flüchtig mit dem ausgezogenen Handschuh über das Gesicht.

      Einen Augenblick entstand tiefe Stille. In blödem Erstaunen stand der Kellner wie angewurzelt, das Tablett mit Austern vor sich hinhaltend; ein Gast, der in der Nähe gesessen, erhob sich und verließ das Lokal.

      »Ihre Zeugen, Durchlaucht!« sagte Parsenow endlich ruhig und sah den Tisch entlang ... »lieber Wendlau, würden Sie die Güte haben, für mich ...«

      Der kleine Husar sprang, erschrocken und geschmeichelt zugleich auf.

      »Baron Hork hat vielleicht die Freundlichkeit, Ihnen zur Seite zu stehen ... Einen Augenblick.« Der Graf schob seinen Arm unter den des Leutnants und führte ihn ein paar Schritte zur Seite. Hork, ein älterer Herr, ging nebenher. »Bestehen Sie, bitte, darauf, meine Herren, daß die Mensur schon morgen früh stattfindet. Es ist gegen den Brauch; aber die Sache liegt ja ganz klar und vor allem ... sie hat sich in der Öffentlichkeit ereignet. Eben hat noch so ein Mensch hier das Lokal verlassen, vielleicht um die Affaire brühwarm auf die nächste Redaktion zu bringen ... und Sie werden zugeben, daß es nicht angenehm ist, sich zu schlagen, wenn schon alle Zeitungen voll von der Geschichte sind und meine Braut alles erfahren hat ...«

      »Wir werden unser Möglichstes thun, Herr Graf!«

      »Ich bitte Sie darum. Die Bedingungen so schwer wie möglich ... eigentlich selbstverständlich, da thätliche Beleidigung meinerseits vorliegt. Ich erwarte Sie in meiner Wohnung, Wendlau ... Guten Abend, Ihr Herren!«

      Der Graf ging.

      Wendlau und Hork saßen längere Zeit flüsternd mit den beiden von Stayningen bezeichneten Herren in der nahegelegenen Wohnung des ersteren beisammen. Man stritt sich mit halblauter Stimme, machte Bemerkungen und Verbesserungen auf einem Blatt Papier, das zwischen ihnen lag, und strich sie wieder aus, bis endlich das Protokoll zu Stande kam. Die Herren tranken ihre Gläser aus und empfahlen sich, der Husar aber begab sich eilends zu seinem Mandanten.

      Er fand Parsenow, eine Cigarette rauchend, auf dem Sofa liegen.

      »Nun wie stehts?« rief er ihm schon in der Thüre entgegen.

      »Ganz nach Wunsch ...« erwiderte stotternd der kleine Sportsman; seine Stimme zitterte vor Aufregung. »Das Duell findet morgen früh sieben Uhr im Grunewald hinter der Saubucht statt. Hagenow, Stayningens Sekundant, meinte, es wäre gut, nicht zu weit von der Chaussee ... wegen der Wagen ... um zu verhindern, daß sie auf dem Rückweg zu sehr über die Wurzeln rumpeln ...«

      »Und die Bedingungen?« unterbrach ihn Parsenow, der die letzten Worte überhört zu haben schien.

      »Fünfzehn Schritt Distance, fünf Schritt Barrière, mit avancieren, unbeschränkte Zielzeit, fünfmaliger Kugelwechsel ...«

      »Das genügt,« sagte Parsenow nachdenklich und zündete sich eine neue Cigarette an. »Dann haben Sie wohl die Freundlichkeit, um dreiviertel sechs Uhr bei mir vorzusprechen, Herr von Wendlau?«

      »Zu Befehl« – hätte der Leutnant beinahe gesagt. So sehr imponierte ihm Parsenows kaltblütige Ruhe. Doch begnügte er sich mit einem ernsthaften Kopfnicken.

      »Es ist merkwürdig!« sagte er scheu nach einer Weile.

      »Was denn, lieber Wendlau?«

      »Sie scheinen wirklich in keiner Weise erregt zu sein!«

      »Nein!«

      »Man möchte fast sagen,« fuhr der Husar stockend fort, »daß Sie geradezu vergnügt aussehen!«

      Der Graf lachte hell auf. »Bin ich auch, Liebster ... warum denn nicht?«

      »Na ... wissen Sie ... vor so 'ner Affaire ...«

      »Soll ich mich etwa nicht freuen, dem thörichten Prinzen einen Cursus in der Schweigsamkeit beizubringen?«

      »Ja ... aber ...« Der Leutnant sah unsicher in das Gesicht seines Gegenüber. Es lag so ein merkwürdiger Ausdruck von Ironie in Parsenows braunen, scharfgeschnittenen Zügen. »Sie sind ja freilich ein ausgezeichneter Schütze ... aber man kann doch nie wissen ...«

      »... wie es ausgeht? ... Das werden wir in wenigen Stunden erfahren. Und nun habe ich noch einen Brief zu schreiben. Also auf morgen, lieber Wendlau!« Der Graf streckte ihm unbefangen lachend die Hand entgegen. Wendlau drückte sie und ging. In Gedanken versunken trat er auf die dunkle, stille Straße. Er wußte selbst nicht recht, warum ihm Parsenow so merkwürdig verändert vorkam.

      IX

       Inhaltsverzeichnis

      Leutnant von Wendlau verbrachte eine sehr unruhige Nacht. Stand er doch vor einem der wichtigsten Ereignisse in seinem noch recht jungen Leben.

      Duelle in Offizierskreisen sind weit seltener als man im Publikum glaubt. Er hatte noch nie eins mitgemacht, wenn er nicht eine Schlägermensur dazu rechnen wollte, die er einst auf Kriegsschule in der großen Turnhalle mit einem Kameraden ausgefochten. Aber das war doch eine halbe Kinderei gewesen. Der Assistenzarzt hatte die paar Schmisse zugenäht, sie kamen beide auf ein paar Wochen ins Lazaret und dann war die Sache gut, während jetzt ...

      Erschrocken dachte er immer wieder daran, daß es sich bei dem Duell zwischen Parsenow und Stayningen unzweifelhaft um Leben und Tod handele ...!

      Gelesen hatte er viel dergleichen. Er wußte aus den Romanen, daß bei solchen Gelegenheiten die Gegner sich stets »mit kalter Höflichkeit« grüßen und, wenn der Schuß fällt, unfehlbar »ein Rabe sich krächzend vom beschneiten Ast erhebt.« Auch war er darauf gefaßt, daß ihm Parsenow mit vielsagendem Händedruck noch eine Locke und einen Brief an die Geliebte übergeben würde, und er kam sich äußerst wichtig und feierlich vor, als er fröstelnd in seinen Mantel gehüllt, am nächsten Morgen durch die leeren und halbdunklen Straßen in Parsenows Wohnung schritt. Der Graf saß vor dem Kaffeetisch, auf dem noch eine Lampe brannte. Er rauchte eine Cigarette und sah äußerst gleichgültig aus.

      Wendlau setzte sich neben ihn und sah auf die Uhr. Der Diener schenkte ihm Kaffee ein. Beide schwiegen.

      »Erlauben Sie?« sagte endlich Parsenow scherzend, indem er ein Gläschen mit Cognac in der Hand erhob.

      Der Leutnant verbeugte sich und stotterte verlegen eine Bejahung, ohne die Frage zu begreifen.

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