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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Van Look kannte von der Börse her zahlreiche Anwesende. Er trat an den sogenannten Millionentisch, an dem in bunter Reihe Jobber, ein paar Rechtsanwälte, ein stark verbummelt aussehender Japaner, dann als Gros einige Schöneberger Terrainbesitzer, endlich ein Turfagent und andere fragwürdige Persönlichkeiten saßen, und nahm, teils verlegen, teils ehrerbietig begrüßt, Platz.
Zu anderen Zeiten wäre ihm die Gesellschaft viel zu gemischt gewesen. Aber was verschlug ihm das jetzt? Die Hauptsache war, daß er spielen konnte! Er ließ sich vom Kellner ein Cognacflacon und ein Glas kommen und begann zu pointieren.
Es war ihm lieb, daß er verlor, ja, er spielte absichtlich unbesonnen, aus Furcht, daß die anderen sonst allmählich das Jeu aufgeben würden. Die aber blieben kleben, Stunde um Stunde. Längst waren im Vorderraum die letzten Gäste verschwunden und die Flammen ausgelöscht, die Thüre geschlossen und die Kellner bis auf einen zu Bett ... die Spielergruppe blieb sitzen und starrte lautlos in die Karten, mechanisch gebend und abhebend, mischend und setzend, während draußen schon wieder der Himmel ergraute und das Pferdebahnklingeln, das Läuten der Bolleschen Milch-Wagen, Stimmengewirr und Droschkengerassel den neuen Tag verkündete.
Kurz nach acht Uhr Morgens hörten sie endlich auf. Van Look hatte, was er an barem Gelde bei sich trug, bis auf ein paar Thaler verloren. Es war ihm gleichgültig. Darauf kam es nicht an. Als er auf die Straße trat, schlug ihm ein dünner Sprühregen ins Gesicht. Ein vorübergehender Maurergeselle sah den feinen, übernächtigen Herrn halb scheu, halb verächtlich an. Ein verbissenes Lächeln umspielte seine groben Züge, während er weiter schritt.
Und alles umher arbeitete auf den Straßen, durch die van Look langsam dahinging. Die Gassenfeger waren in voller Thätigkeit, die Bäckerjungen und Fleischergesellen liefen von einem Haus zum anderen und scherzten mit dem Dienstmädchen, die den Korb am Arm in die Markthalle gingen. Scheuerfrauen arbeiteten auf dem Trottoir und in den Fluren, verschlafene Gäule zogen die Frühdroschken vorbei, die Ziehhunde vor den Gemüsewagen kläfften in ihrem Geschirr.
Überall Leben und Bewegung. Van Look kam sich unbehaglich gedrückt vor. Er beschleunigte seine Schritte und blieb gleich darauf wieder stehen. Eine geheime Angst hielt ihn von seinem Schreibtisch fern, auf dem, wie er wohl wußte, jetzt der schicksalsschwere Brief lag.
Endlich stand er im Corridor seiner Wohnung. »Ist die Post schon da?« frug er gleichgültig den Diener, der ihn den Paletot abnahm.
»Jawohl, gnädiger Herr ... mehrere Briefe... sie liegen in dem Arbeits-Cabinet ...«
Lange saß ihnen van Look schweigend und eine Cigarrette rauchend gegenüber. Endlich nahm er eine Schere und schnitt das Schreiben, dessen blaue Marke und Poststempel die Herkunft aus London verkündete, auf.
Es waren nur wenige Zeilen seines Onkels, des City-Millionärs Augustus T. van Look.
Ein böses Zeichen, daß er so kurz schrieb.
Der Bankier schloß nervös die Augen: dann richtete er sich auf und heftete mit raschem Entschluß seine Blicke auf das Blättchen Papier ...
»Du verlangst meine Hülfe, weil Du durch den Sturz von Lejeune Frères u. Co. in Paris in Zahlungsschwierigkeiten geraten bist.
Ich würde sie Dir gewähren.
Aber zugleich bittest Du, diese Hülfe zu beschleunigen, um die etwa zurückverlangten Depots auszahlen zu können.
Diese Depots sind mithin von Dir verpfändet oder sonst veruntreut.
Also bist Du ein Betrüger.
Mit Betrüger hat keinen Umgang, weder heute noch morgen, noch jemals
Dein Onkel
Augustus T. van Look.«
Das war das Ende!
Van Look warf den Brief auf den Tisch und stierte vor sich hin.
Eine Rettung gab es jetzt nicht mehr. Unmöglich konnte er im Laufe des Tages die Summen zusammenbringen, um auch nur dem ersten, am Montag zu erwartenden Kassensturm zu begegnen.
Und was dann?
Er sah eine kleine, mit dem Nötigsten ausgestattete Zelle vor sich, im Untersuchungsgefängnis zu Moabit. Und dann, fern vor den Thoren Berlins, einen finstern, sich weithin ausdehnenden Gebäudekomplex mit vergitterten Fenstern und Mauern.
Und er dadrinnen in Plötzensee, er, der blasierte Lebemann, in grauem Sträflingskleid mit kurzgeschorenem Haar.
Das war unmöglich.
Die Flucht?
Wohin? ... Er hatte noch etwas Vermögen in seinem Schreibtisch liegen; es mochten zwanzigtausend Mark sein.
Damit war nicht viel zu machen. Man mußte arbeiten in dem fremden Lande, ringen im Kampf ums Dasein, sich abhasten und mühen, in der ewigen Angst, ergriffen zu werden.
Blieb nur das eine!
Ihm war zu Mute, als fahre er von einem Maskenball nach Hause, während er dasaß und über seine Vergangenheit nachsann.
Ein bunter, vielbewegter Maskenball. Hübsche Mädchen waren dagewesen und schöne Frauen, Bajazzi hatten in Menge ihre Allotria um ihn getrieben und Ritter in klirrendem Blechpanzer gravitätischen Schritts seinen Weg gekreuzt. Mit durstigen Troubadouren hatte er gezecht, über pedantische Magister gegähnt, und da und dort einer leichtsinnigen Colombine oder Pierrette Schmeicheleien ins Ohr geflüstert.
Und nun ihn wirbelten die Paare, der Sekt perlte, jauchzend und träumend hüpften die Zigeunergeigen, und wenn sie einen Augenblick verstummten, dann war es ihm, als löste sich der bunte Schleier, der vor seinen Augen lag, als sähe er durch die flimmernden Kostüme, durch den ganzen Mummenschanz des Daseins hindurch, und was er sah, das waren arme, müde Menschen wie er, die in Flittertand und Sprüngen sich lustig zu gebärden versuchten.
Müde Menschen ..!... das war's! Einmal muß ein jeder Maskenball sein Ende nehmen. Man sehnt sich aus dem Fastnachtstrubel nach Hause in die Ruhe und Stille, man läßt sich im Corridor, wo die letzten Pärchen auf die Droschken warten, den Mantel reichen und tritt hinaus in die tiefe, klare Nacht ...
»Befehlen der gnädige Herr das Frühstück?« frug neben ihm der Diener.
Van Look schrak auf.
»Nein,« sagte er, sich erhebend, »nein ... ich gehe jetzt schlafen. Und daß mich niemand stört ... verstehen Sie ... niemand!«
»Sehr wohl!«
Der Diener ging. Es wurde still in dem Gemach. Vor den verhangenen Fenstern kreischten die Spatzen um die triefende Dachrinne und schritt ein reduziert aussehender Mensch auf der Straße gähnend auf und ab. Es war der Agent eines Privat-Detektive-Instituts, dem seit dem gestrigen Abend der geheime Auftrag zu Teil geworden war, den Bankier van Look zu überwachen ...
Gegen zwei Uhr Mittags bestand Graf Parsenow darauf, vorgelassen zu werden. Der Diener mochte sagen, was er wollte.
Er habe die anderen Herrschaften doch auch abgewiesen, meinte er achselzuckend, warum denn der Herr Graf durchaus ...
Allein Parsenow war nicht gesonnen, sich auf eine Unterhaltung mit dem Lakaien einzulassen. Er schob ihn zu Seite und trat in den Flur.
»Wo schläft Ihr Herr?« frug er kurz.
»Herr Graf ... auf Ihre Verantwortung ... ich kann nicht ...«
»Wo Ihr Herr schläft...?«
Parsenows Stimme klang drohend.
»Hier!« Der eingeschüchterte Diener bezeichnete ihm die Thüre. Der Besucher klopfte.
»Herr van Look!«
Keine Antwort.
»Herr van Look ... ich bin es ... Graf Parsenow! ...«
Keine Antwort.
Der Diener sah ängstlich auf. »Mein Gott ... sonst