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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Am Eingang hielt auf der Chaussee der Wagen. Sie stiegen ein und rollten den Berg hinunter, hinter dem in schlüpfrigem Grau die Häuser von Charlottenburg glänzten.
Eine lange verlegene Pause entstand.
»Liebes Kind!« sagte Parsenow endlich ... »es war gewiß nicht recht, daß ich vorhin ... ich dachte nicht daran ... freilich ... aber Du mußt das nicht mißdeuten ... die Dame hatte mir etwas wichtiges mitzuteilen ...«
»Was denn?« frug Frau Hilda gepreßt und sah zum Fenster hinaus auf die leere, kotige Landstraße.
Ihr Bräutigam schwieg. Er konnte doch unmöglich in diesem Augenblick von ihrem Vermögen anfangen.
»Es war wohl so wichtig, daß ichs nicht hören darf!« sagte Hilda endlich. Ihre Stimme klang schon thränenerstickt.
»Du irrst Dich, Herz! ... und überhaupt ... es waren nur ein paar Worte, die gewechselt wurden ... Dummheit von mir ... ich geb's ja zu ... hauptsächlich habe ich mit einem Herrn Schumacher verhandelt, der meinen ganzen Rennstall ...«
Frau von Braneck fing an zu weinen ... langsam, sanft und unaufhörlich. Parsenows beschwichtigende Worte verstärkten weder den Strom der Thränen noch hielten sie auf ihm. Sie hörte einfach nicht auf ihn. Er konnte sagen, was er wollte. Der Graf kannte diese Verfassung der Frauen. Da galt es eben, ein, zwei Stunden, vielleicht einen halben Tag geduldig zu warten, bis unter einem letzten großen Thränen-Erguß das erste, noch halb verzweifelte Lächeln wieder zum Vorschein kam.
Langweilig! ... aber es ging nicht anders. Grimmig schweigend saß der Graf da, während Frau Hilda müde die rotgeränderten Augen schloß und wie schlafend den Kopf in die Polster lehnte. Das war also das erste Vorspiel zur Ehe! Parsenow gähnte verstohlen. Eine Cigarette wagte er sich nicht anzustecken; so sah er verbissen zum Fenster hinaus, an dem die bunten, regenfeuchten Baumgruppen des Tiergartens vorüberzogen. Ein paar Schutzleute standen am großen Stern und betrachteten gelangeweilt den grauen Himmel, jämmerliche Lastfuhrwerke knarrten vorüber; am kleinen Stern spielte der blinde Invalide wie immer die »Wacht am Rhein« und die Arie der Agathe aus dem »Freischütz« auf seiner alten Drehorgel, im Goldfischteich zogen noch immer die fallenden Regentropfen ihre ineinanderfließenden Kreise.
Und dann schoß ein Gefährt vorüber, das der gelangweilte Bräutigam wohl kannte. Es gab wenige solche Orloff-Traber in Berlin. Einen Augenblick sah er durch die Scheiben Ernas Gesicht, die neben dem müde scheinenden von Look saß. Sie gähnte eben, lässig die Finger der Rechten vorhaltend, daß das Gold der Plomben zwischen den weißen Zähnen aufblitzte.
Dann war der Wagen vorbei und in Parsenow regte sich der verbrecherische Gedanke, daß es doch eigentlich viel bequemer sei, eine Frau neben sich zu haben, deren Kummer man, wie den Ernas, bei dem nächsten Juwelier für ein paar hundert Mark stillen konnte ... eine Frau, die Spaß verstand ... die ihn eben mit einem Worte nicht zum Philister in Schlafrock und Pantoffeln machen wollte.
Gleich darauf schämte er sich dieser Regung. Ehrerbietig ergriff er Hildas Hand und führte sie leise an seine Lippen. Sie ließ es ruhig geschehen, aber ihr sofort eintretendes erneutes Schluchzen bewies ihm, daß die Frage der Aussöhnung noch nicht ganz reif sei.
So schwieg er denn wieder und sah vor sich hin. »Faul! ... oberfaul!« klang es immer wieder in seinem Innern nach. Wenn Krakauer das sagte, hatte er seine guten Gründe. Und er konnte nichts machen – gerade jetzt nichts – ohne im höchsten Maße taktlos zu erscheinen. Allenfalls konnte er in den nächsten Tagen mit dem Schwiegervater darüber sprechen. Er mußte es sogar ... so bald als möglich. Vielleicht war das Gerücht doch wahr ... er glaubte jetzt noch nicht daran, weil er wußte, wie leicht auf der Börse und dem Rennplatz solche Stimmungen entstehen und vergehen – aber wenn es sich bestätigte, dann war jede Stunde kostbar.
Er versank in tiefe Gedanken, bis die Gummiräder auf dem Pflaster zu hüpfen anfingen. Man fuhr auf das Brandenburger Thor zu; die vier Pferdeköpfe der Quadriga starrten von oben herab. Darüber zogen graue triefende Wolkenfetzen pfeilschnell hinweg nach dem Hohenzollernschloß zu und in schweren Stößen schleuderte der Wind die Regengüsse vor sich her über den spiegelnden Asphalt der Linden.
Parsenow seufzte. Das war also der letzte Tag auf dem Turf gewesen. Unwillkürlich blickte er zu dem Himmel empor und wieder kam ihm der Vers in den Sinn, den er vorhin scherzend gesprochen:
»Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter,
Grau wie der Himmel steht vor mir die Welt!«
VII
»Bist Du immer noch böse?«
Parsenow beugte sich halb lächelnd über den Tisch, von dessen weißem Damast der Kellner soeben die Brodkrumen hinweggefegt hatte, und sah Hilda erwartungsvoll bittend an.
Er hatte den Zeitpunkt richtig gewählt. Die schöne Frau war versöhnlich gestimmt. Sie blickte zwar unverwandt vor sich nieder in das Kaffeetäßchen und rührte mechanisch mit dem Löffel in der dampfenden Flut, aber ein flüchtiges Lächeln umspielte ihren Mund und sie erwiderte noch halb zagend den Druck seiner Hand.
Das war also erledigt. Frau Hilda musterte ihren Bräutigam mit einem Blicke zärtlicher Resignation als wollte sie sagen: »Gott, was werde ich noch an Dir zu erziehen haben!« ... aber gleichzeitig kam ihr der tröstliche Gedanke, daß er ja in Hinterpommern unter ihrer steten Obhut sein werde! Und nach Berlin ließ sie ihn nicht allein fahren ... das Gelübde hatte sie sich schon lange abgelegt!
Nachdem so die Versöhnung glücklich zu Stande gekommen, wurde sie sehr vergnügt; es war, als wolle sie sich für den Aerger der letzten Stunden schadlos halten. Der Totalisatorgewinnst fiel ihr ein. Sie hatte ihn Parsenow zum aufheben gegeben und bestand jetzt darauf, daß man Cocktails Sieg in angemessener Weise feiern müsse. Sie selbst wollte dabei die Wirtin spielen. Es machte ihr Spaß, die drei Herren, Parsenow, ihren Vater und ihren Bruder, an dem heutigen Abend frei zu halten.
Aber wohin gehen?
»Im ›Theater an der Spree‹ ist heute eine große Novität,« sagte Parsenow, den Vergnügungs-Anzeiger studierend. »Hast Du schon 'mal eine Berliner Premiere mitgemacht?«
Sie verneinte. Der Gedanke gefiel ihr. Und nach wenigen Minuten war ein Piccolo des Hotels auf dem Wege nach dem Theater, mit dem strengen Befehl des Portiers, unter allen Umständen die befohlenen Plätze herbeizuschaffen.
Vor dem, natürlich bereits völlig ausverkauften Hause angelangt, sah sich der Piccolo zunächst einen Augenblick vorsichtig um. Dann schritt er ohne weiteres auf einen dunklen Klumpen höchst fragwürdiger Gestalten zu, die auf der Straße vor dem Einfahrtsgitter Posten gefaßt hatten.
Seine Absicht, eine ganze Loge zu erstehen, rief in den Kreisen der Billethändler Sensation hervor. Es gab ein aufgeregtes Hin- und Hergeflüster, bis endlich mehrere der Händler, mit dem Knirps in der Mitte, sich in Bewegung setzten und an einem argwöhnisch dreinschauenden Polizisten vorbei auf den Barbierladen an der Ecke zuschritten.
In diesem Raum kam der Handel zu Stande. Die drei Verkäufer stellten aus ihrem Billetvorrat eine Loge zusammen und forderten dafür hundert Mark! Allein der Piccolo war ihnen gewachsen. Er erklärte einfach, bis zum Beginn des Theaters hier warten zu wollen – seine Herrschaften seien feine Leute, die doch erst später kämen – dann würden die Preise von selbst sinken und sie, die Händler, froh sein, wenn man ihnen die Plätze zu dem schoflen Stück zum Kassenpreis abnähme.
Schließlich einigte man sich auf fünfundachtzig Mark. Mit ruhiger Siegesmiene legte der Knirps die Billete vor Frau von Braneck nieder, mit der Meldung, daß dieselben leider unter hundert Mark nicht zu bekommen gewesen seien. Diese Summe habe inzwischen