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wußte, merkte sie zwar, daß er gründlich in sie verschossen war – der erste in Berlin! – aber das fehlte noch, sich mit solch einem Habenichts, der Plötzensee von inwendig kannte, und zwar, wie sie jetzt erfahren, nicht nur wegen Preßvergehen, sich in Dummheiten einzulassen. Außerdem gefiel er ihr auch nicht. Er war kein richtiger Kavalier und war kein rechter Journalist, sondern ein Zerrbild von beiden, das ihr höchstens ein gewisses Mitleid einflößte.

      Am folgenden Tage, dem 29. August, stand Valeska, von der letzten kurzen Probe kommend, andächtig in der Sonnenglut vor einer Litfaßsäule und las den Zettel des Westend-Theaters.

      »Rieke, Dienstmagd . . Valeska Elten«

      hieß es da ganz am untersten Ende des Personenverzeichnisses. Sie seufzte. In Bergheim hatte sie immer ganz hoch oben gestanden. Wo waren jetzt ihre Träume von der »Francillon« und der »Magda« geblieben?

      Es war noch taghell, als sie gegen halb sieben Uhr abends hinüber in das Theater ging, um sich in ihrer Garderobe mit Ruhe umzukleiden, da sie ja die ersten Worte in dem Stück hatte.

      Von Publikum noch keine Spur. Ein paar in der Sonne blinzelnde Schutzleute vor dem Theater und, in weitem Bogen um sie kreisend, zwei oder drei Billetthändler. Einer von diesen bot Valeska zwei gute Parkettsitze in der vordersten Reihe an, und sie lachte noch über diese Idee, als sie schon in den Bühnenraum trat.

      Von den andern war noch keiner da. Doch stand auf der Bühne bereits die Dekoration des ersten Aktes, ein kleinbürgerliches Wohnzimmer. Sie sah sich darin um und blickte durch das Loch im Vorhang in den Zuschauerraum, der hell erleuchtet, aber vollkommen menschenleer vor ihr lag. Auch auf der Szene war niemand zu sehen. Ihr eigener Schritt verhallte lautlos in dem Bühnenteppich, als sie wieder nach hinten ging. Es war beinahe unheimlich.

      Aber schon während sie sich in ihrem erstickend heißen Zimmerchen mit Hilfe der Garderobiere in die bewußte Rieke verwandelte, wurde es um sie lebendig. Zuerst kam Thilda zu ihr herein und warf sich phlegmatisch in das Kostüm der englischen Gouvernante. Furchtbar mager ist doch das Mädel! dachte Valeska, sie verstohlen ansehend. Dann liefen draußen Garderobefrauen und die Friseusen hin und her, offenbar von der allmächtigen Dobschütz in Bewegung gesetzt, und aus dem Nebenraum hörte man, wie Mizi Stadinger, nach ihrer Gewohnheit einen Gassenhauer pfeifend, herumkramte.

      Als Valeska geschminkt und kostümiert auf die Bühne trat, herrschte auch da schon reges Treiben. In der ersten Kulisse standen rechts und links zwei Feuerwehrwachen im blinkenden Helm zum Dienst bereit, im Souffleurkasten hatte sich Frau Kautz in ihrem verschossenen, rotgefütterten Lehnstuhl niedergelassen und blickte, an einem Strumpfe strickend, in das während der Proben vielfach mit roten Strichen, mit überklebten und eingeschriebenen Stellen versehene Buch des Stückes, das vor ihr aufgeklappt lag; der Inspizient ging in seinem charakteristisch lautlosen, schleichenden Schritt, das Regiebuch in der Hand, auf und nieder und warf zuweilen einen prüfenden Blick auf den großen Tisch im Hintergrund, wo die Requisiten für den ersten Akt: ein Hut, ein Mantel, ein Pack Zeitungen, eine Schnapsflasche mit zwei Gläsern, ein paar Stoffmuster, beisammen lagen und standen. Auf der Szene selbst waren zwei Arbeiter, am Boden kniend, damit beschäftigt, eine Seitenwand besser zu befestigen. Gedämpft klang ihr vorsichtiges Pochen durch das Geflüster auf der Bühne und das dumpfe Summen und Sesselklappen, das vom Zuschauerraum drang.

      Hochmann selbst ging mit großen Schritten auf und nieder, ein zierliches Ordenskettchen auf dem Frack, und ab und zu die weiße Binde zurechtzupfend. Wie immer, wenn er aufgeregt war, verspürte er alle fünf Minuten Brandgeruch aus irgendeinem Winkel des Theaters und ließ sich nur mit Mühe durch den Hausinspektor beruhigen.

      Harald Grillon saß, rosig geschminkt, mit langem, blondem Schnurrbart und wie ein Jüngling aussehend, auf einem der Rohrstühle hinter der Szene und überlas murmelnd seine Rolle.

      Die Luft war schwül.

      »Sprich nur jetzt niemanden an,« sagte Thilda leise zu ihrer Freundin, »ich rate dir im guten.«

      Der Direktor sah auf die Uhr.

      »Bitten Sie Fräulein Dobschütz,« sagte er zu dem Inspizienten und verließ durch die kleine eiserne Tür den Bühnenraum, um in der Direktionsloge neben seiner Frau Platz zu nehmen.

      Bald rauschte denn auch die Dobschütz auf die Bühne, sehr bleich und nervös, ein Flakon mit Kölnischem Wasser in der Hand, und ging mit der Miene einer gekränkten Herzogin quer über die Szene bis zu dem Sessel rechts vorn, wo sie sich niederließ und schweratmend regungslos dasaß.

      »Bühne frei!« rief der Inspizient leise. Die Theaterarbeiter verschwanden in zwei Sprüngen, und Thilda huschte durch die Mitte hinaus, so daß die Dobschütz allein zurückblieb ... »Herr Grillon, ... Fräulein Elten, ... an den Eingang links ... so ...«

      Das erste Klingelzeichen tönte.

      Eine längere Pause entstand.

      Da gab Hochmann, von seiner Loge aus das Publikum betrachtend, einen fast unmerklichen Wink.

      Zwei kurze Glockenschläge, ein in der ersten Kulisse links gezischtes »Auf!«, und der Vorhang ging in die Höhe.

      »Hinaus!«

      Der Inspizient zog mit der linken Hand an einer Schnur die Papptür auf, mit der rechten schob er Valeska nach vorn.

      In der plötzlichen Totenstille, die im Hause eintrat, machte Valeska die Meldung, daß der Herr Baron draußen sei, ließ Harald Grillon, der schon hinter der Kulisse sein sonniges, Herzen knickendes Lächeln auf dem Gesicht fixiert hatte, herein und verschwand nach links.

      »Heiß ist es heute!« sagte sie zu Thilda, die da nervös gähnend auf einem Strohstuhl saß, und nahm neben ihr Platz. »Ich bin jetzt schon ganz naß!«

      Dann schwiegen beide.

      »Das Haus ist kaum halb voll,« versetzte Thilda nach einiger Zeit, »natürlich – eine Augustpremiere ...«

      »Um so besser, wenn's durchfällt«, meinte die Elten. Aber ihre Freundin bat sie dringend, hier nicht laut von derlei zu sprechen.

      Wieder saßen sie eine Weile still beisammen.

      Von der Bühne her drang eintönig durch die dünne Pappwand die Stimme der Dobschütz und Grillons sonores Organ.

      Vor ihnen schritt, seine Rolle hinmurmelnd, mit kniffligem Gesicht der Väterspieler, den sein Weib, die Dobschütz, da draußen betrog.

      Dann kam die Mizi, apathisch wie immer, stellte sich an die Mitteltür und wurde vom Inspizienten hinausbefördert.

      »Findest du nicht, daß ich scheußlich aussehe?« fragte nach einiger Zeit Valeska und blickte an ihrem groben Kattunkleid und der blauen Küchenschürze hinab.

      Aber Thilda war nicht dieser Meinung.

      »Es steht dir ganz gut,« sagte sie, »auch der Wuschelkopf, den du dir da zurechtgemacht hast, und die Schlappschuhe ... eben, weil es gar nicht zu deiner Erscheinung und zu deinem hochmütigen Gesichtchen paßt. Du siehst aus, wie 'ne Prinzessin auf dem Maskenball!«

      »Um so besser!« sagte die Elten. »O Gott, die Hitze!«

      Mizi kam durch die Mitte zurück, setzte sich neben die beiden und summte, mit den Beinen schlenkernd, töricht eine ganz leise Melodie vor sich hin.

      Dann war der Akt zu Ende.

      Ein mattes Prasseln drang aus dem Zuschauerraum und erstarb, noch während Grillon und die Dobschütz sich verbeugten.

      Der zweite Akt neigte sich dem Ende zu, als Valeska, ihres Stichwortes harrend, mit dem Teeservice an die Tür links trat. Voll bitteren Zornes betrachtete sie dieses Teebrett. Sie empfand eine Art persönlichen Hasses gegen die leeren Tassen, die leere Kanne, das leere Sahnentöpfchen und die anderen Dinge, die darauf lagen und standen.

      Sie dachte an die Glanzrollen, die sie in Bergheim gespielt, und an die einzelnen »Schlager« in diesen Glanzrollen.

      Sie wiederholte sich im Geiste das lachend-empörte »Hinaus! ... hinaus!« der Magda und Almas naiv- verderbte Frage: »Aber

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