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der Gelegenheit möchte ich dir gleich bekennen, zur faulenzenden Haustochter habe ich kein Talent. Ich muß etwas zu arbeiten haben. Ich bin ja nun wieder gesund und bedarf keiner Schonung mehr. Als du heute ausgegangen warst, besuchte mich Frau Weilert aus Berlin. Sie quälte mich sehr, wieder zu ihr zu kommen. Mutter hat nichts dagegen und ich brauche Beschäftigung. Auch habe ich mich verpflichtet. Krank fühle ich mich gar nicht mehr und deshalb meine ich, von morgen ab sollte ich meine Stellung wieder antreten.“

      Robert Tann machte eine großartige Handbewegung.

      „Jetzt sorgt dein Vater für dich, mein Kind, und wenn du etwas tun möchtest, dann lerne Sprachen, Musik oder sonst etwas, was zu einer höheren Tochter gehört.“

      Elisabeth schüttelte den Kopf.

      „Ich höre sehr gern Musik, Vater, aber ich verspüre gar keine Neigung dazu, mich selbst damit zu beschäftigen. Sprachen zu treiben, entspräche schon eher meinen Wünschen, aber dazu reichen die Abende und Sonntage. Ich habe meine Näherei liebgewonnen und ich kann bei Frau Weilert viel lernen und abgucken. Ich eröffne dann in einigen Jahren ein Modeatelier, das ist schon seit langem mein Zukunftsideal.“ Sie schloß etwas erregt: „Halte mich nicht zurück, Vater. Denn wenn ich hier mit den Händen im Schoß weiter herumhocke, werde ich verrückt vor lauter Grübeln und Sinnieren. Dann denke ich immer wieder an Heino Staufen und zermartere meinen armen Kopf, weshalb das zwischen uns so kommen mußte. Dann zermartere ich meinen Kopf aber fast noch mehr damit, daß ich herumrätsele, wer wohl der Mensch gewesen sein mag, der das Geld im Stadtwald gefunden hat und wie ich auf seine Spur kommen könnte.“

      Sie machte unwillkürlich ein paar lebhafte Schritte auf die Eltern zu.

      „O, wenn ich den Menschen fände, wenn es mir gelänge, ihn ins Gefängnis zu bringen, damit die Schande von Heino genommen würde! Vielleicht läse er dann darüber in den Blättern und käme zu mir zurück, hätte mich wieder lieb!“

      Mit elementarer Macht überfiel sie der jammervolle Gedanke, daß ihr der Geliebte für immer verloren war, und im Übermaß eines jähen, überwältigenden Schmerzes warf sie die Arme hoch, schrie in förmlicher Ekstase: „Wüßte ich nur, wo dieser Elende wäre, der Heino und mich unglücklich gemacht, ich glaube, ich hätte die Kraft, ihn zu erwürgen.“

      Dicht vor Robert Tanns Kinn befanden sich jetzt die nervös bewegten Hände und die Blitze von Elisabeths Augen trafen das verfältelte Ledergesicht.

      Mit einem förmlichen Sprung zog sich Robert Tann um ein paar Schritte zurück, so daß Elisabeth die Arme sinken ließ und ihn, ebenso wie seine Frau befremdet anschaute.

      Es durchzuckte ihn, er war auf dem besten Wege, sich auffällig zu machen. Und das wäre doch blöd, weder Elisabeth noch seine Frau ahnten, wie nahe die erregten Hände dem gewesen, der zwei Menschen, die sich liebten, unglücklich gemacht.

      Er vertröstete sich, hätte er nicht das Geld genommen, dann würde es wahrscheinlich irgendein anderer gefunden und unterschlagen haben. Und er konnte es nicht zurückgeben, es wäre gleichbedeutend mit der Vernichtung seiner Existenz, alle seine Zukunftshoffnungen fielen dann in Trümmer. Und helfen würde er niemand dadurch. Heino Staufen war verschwunden, war wohl schon auf dem Weg nach dem Ausland. Also änderte sich für Elisabeth nichts, gar nichts. Der einzige, der von seinem Bekenntnis Vorteil hätte, war Leonhard Mosbach, der reiche Getreidehändler. Er würde das Geld erhalten, das er noch besaß und er selbst durfte ins Gefängnis spazieren für nichts.

      Nein, so opferwillig war er nicht.

      Das alles war blitzgeschwind durch seinen Kopf gegangen. Nun scherzte er: „Ich glaubte eben, du würdest mir an die Kehle springen, ich habe mich tatsächlich gefürchtet vor deinen drohenden Händen.“

      Seine Frau lachte jetzt.

      „Es sah aus, als ob du die Flucht vor Liesel ergreifen wolltest.“

      Er lachte auch und dann sagte er, und es war heimliches Lauern in seiner Stimme: „Du blicktest mich eben an, als wäre ich der von dir so sehr gehaßte Mensch. Setzen wir also einmal den Fall, ich wäre es tatsächlich, ich selbst hätte das Geld gefunden! Was tätest du dann? Du würdest doch deinen Vater nicht ins Gefängnis bringen!“

      Ihm war während seines Sprechens zumute, als schritte er über einen nur leicht zugefrorenen See, dessen Eis jeden Augenblick unter ihm einbrechen konnte.

      Elisabeth ließ die Arme schlaff am Körper herabhängen.

      „Ach, Vater, wozu soll ich über die Frage nachdenken, denn du hast ja nichts mit der bösen Sache zu tun, sie spielt doch vor deiner Ankunft.“ Sie warf den schmalen Kopf etwas zurück. „Wenn du aber doch eine Antwort auf die sonderbare Frage haben möchtest, kann ich sie dir auch geben. Also gesetzt den Fall, du wärest der Mensch, der das gefundene Geld unterschlug und ich wüßte es, dann würde ich auf dich genau so wenig Rücksicht nehmen wie auf jeden anderen. Die Schande, die Heino jetzt mit sich herumschleppt, wiegt zu schwer dagegen. Mein eigenes Leid würde ich dir dabei noch nicht einmal in Rechnung stellen.“

      Robert Tann lächelte: „Dem Himmel sei also Dank, daß ich unschuldig bin!“ Aber die Antwort hatte ihm doch wehe getan. Er dachte mit heimlicher Qual: Es war ihm bisher leider noch nicht gelungen, Elisabeths Herz zu gewinnen. Sie trug es ihm nach, daß er ihre Mutter und sie einmal so rücksichtslos verlassen hatte.

      Er würde viel Zeit dazu brauchen, sie so für sich einzunehmen, wie er es wünschte.

      Zehn Jahre hatte er sich nicht um Frau und Tochter gekümmert, zehn lange Jahre.

      Die Treue der Frau rührte ihn, schmeichelte seinem Selbstbewußtsein, aber er liebte sie nicht, die ihn förmlich anbetete.

      Er hatte sie einmal geliebt, aber das war lange vorbei. Sie war ihm immer zu ergeben gewesen, hatte ihn immer zu sehr bewundert.

      Elisabeth sagte müde: „Nicht wahr, Vater, es ist dir recht, wenn ich morgen früh nach Berlin fahre? Denn du willst doch sicher nicht, daß es zur fixen Idee bei mir wird, den Schuft suchen zu müssen, der das Geld unterschlug.“

      Robert Tann nickte lebhaft.

      „Tue, was du willst und was du für recht hältst, aber bitte, verbohre dich nicht in das, was du ganz richtig als fixe Idee bezeichnest. Du wolltest doch auch eigentlich gar nicht mehr davon sprechen. Und dazu rate ich dir, Kind, dazu rate ich dir noch besonders, denn es regt dich zu stark auf.“

      Elisabeth lächelte matt, mit einer kleinen Beimischung von Dankbarkeit.

      Am nächsten Morgen fuhr sie nach Berlin.

      Sie wollte arbeiten, wollte unter Fremden sein, wollte ständig daran erinnert werden, daß sie ja gar nicht so wichtig war, ständig über ihr Leid nachdenken zu dürfen.

      Doch wenn sie sich auch bemühte, von ihrer Unwichtigkeit durchdrungen zu sein bis ins tiefste, weh tat das Leid doch, bitter, bitter weh.

      VI.

      Frau Weilert kam Elisabeth entgegen wie einem besonders wertvollen, hochgeehrten Gast. Liebenswürdiger hätte sie die reichste Kundin nicht begrüßen können.

      Sie drückte ihre Hände, als wäre sie nach langen Jahren aus weiter Fremde heimgekehrt.

      „Ich bin ja so herzensfroh, Lili, daß Sie mich nicht wieder aufsitzen ließen mit meinen Hoffnungen, die mit Ihrer Person zusammenhängen. Ein bißchen bleich sind Sie noch, ein bißchen sehr schmal, aber es kleidet Sie famos.“

      Die Kolleginnen taten, als hätte man schon seit langem mit ihr zusammen gearbeitet und sie hätte ihnen sehr gefehlt.

      Die mollige Emma umhalste sie sogar sehr energisch.

      „Liliken, es war doof von dir, krank zu werden. So was is Zeitverschwendung. Na, ich bin froh, daß du wieder bei uns bist.“ Sie stellte zuerst fest, Frau Weilert hatte das Arbeitszimmer verlassen, dann lachte sie: „Unsere Olle war jar nicht mehr zu jenießen, so hat sie sich nach dir jesehnt. Wenn du „Modekönigin“ wirst, stellt sie dir ins Jlasspinde, damit kein Staub an dir rankommt. Und nu jib

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