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sich wirklich so verhielte, dürftest du ihm eigentlich nicht so viel Böses wünschen, Liesel.“

      „Doch, Vater, auch dann“, war die schnelle Erwiderung. „Er, der das Geld fand, wußte selbstverständlich wohl kaum, wer es verlor, aber es war seine Pflicht und Schuldigkeit, es auf der Polizei abzugeben. Er durfte doch auch für alle Fälle mit einer guten Belohnung rechnen. Damit hätte er sich dann helfen können, wenn er es nötig gehabt. Die Unterschlagung, der man Heino verdächtigte, hat er begangen, und die Schande, die nun Heino nachläuft wie ein dunkler Schatten, müßte jenen anderen verfolgen. Wie ein Brandzeichen müßte ihm die Schande aufgedrückt werden.“

      Sie dachte so recht stark daran, daß der Unbekannte die Schuld an ihrem Unglück und Herzeleid trug. Rascher strömte ihr Blut, Haß flammte in ihren Augen auf.

      „Ich muß dem Mann Böses wünschen, Vater, weil ich Heino um seinetwillen verlor.“ Wie ein Schrei brach es von ihren Lippen: „Ich habe ihn doch so lieb, so grenzenlos lieb!“

      Robert Tann war es, als läge ihm ein Alpdruck auf der Brust, den er gewaltsam abschütteln wollte, was ihm aber nicht gelang.

      Sein verwittertes Gesicht war fahl, als er mit scheuer Bewegung über Elisabeths Hände streichelte und sagte: „Gräme dich nicht allzusehr, Liesel, mit Staufen wärest du ja doch nicht glücklich geworden. Er hätte dich um solcher Bagatelle willen nicht so rücksichtslos behandeln dürfen. Wenn er dich wirklich lieb gehabt hätte, würde er dich gebeten haben, die Stellung wieder aufzugeben, was du ihm ja sowieso versichertest, und damit wäre dann alles erledigt gewesen. Sieh einmal, Liesel, wenn einer schon um so eine Kleinigkeit sich so anstellt, als hättest du wer weiß was begangen, wie wäre das erst in der Ehe geworden. Mußt das etwas leichter auffassen, Kind, mußt darüber wegkommen.“

      Elisabeth drängte die Tränen zurück.

      Plötzliche Scheu zwang sie dazu, denn mit einem Male hatte sie das Gefühl, ein fremder Mensch saß neben ihr.

      Es störte und ernüchterte sie.

      Ihr Blick huschte über das verwitterte Gesicht hin, das dem ihren so nahe war, und sie sann: Es war doch gar kein fremder Mensch, dem es gehörte. Es war ihr Vater, und die Augen waren zweifellos den ihren ähnlich. Vielleicht auch Nase und Mund.

      Seltsam, dachte sie, daß dieser ihr so fremd scheinende Mann ihr Vater war und sie ihm ähnelte.

      Grau und müde war sein Gesicht. Er mußte viel durchgemacht haben, ehe er heimgekommen.

      Sie hätte den Vater nicht mehr vermißt. Er war viel zu lange fortgeblieben, die Lücke, die sein jähes Verschwinden einmal in ihr hinterlassen, war längst nicht mehr bemerkbar.

      Aber die Mutter war froh und glücklich. Und nur darauf kam es an.

      Sie erwiderte auf das, was er vorhin gesagt: „Ich werde auch wohl darüber hinwegkommen müssen, Vater, ich wüßte ja nicht einmal, wohin ich ihm schreiben könnte. Die Welt ist dazu viel zu groß.“

      Die Welt ist klein! dachte Robert Tann und er spürte den Alpdruck stark und quälend. Winzig klein war die Welt und sie lag in den Banden von unzähligen Zufällen, die wie tückische Kobolde alles regierten und leiteten nach ihren Launen.

      Wäre Größe in dieser Welt, überlegte er, dann hätte es nicht geschehen dürfen, daß er, gerade er das Geld fand und daß es gerade Heino Staufen verlor.

      Es zwickte ihn, weil Elisabeth nun unter all dem leiden mußte, als hätte man ihm Blutegel an Arme und Beine gesetzt.

      Er versuchte sich gegen die Bedrängnis zu wehren, sagte ein wenig scharf: „Man kann dem jungen Mann den Vorwurf großen Leichtsinns kaum ersparen. Es war fremdes anvertrautes Geld, damit mußte er vorsichtig umgehen, das durfte er einfach nicht vergessen. Überlege einmal, Liesel, wie würde geschäftlich alles drunter und drüber gehen, wenn jeder Angestellte so pflichtvergessen sein würde wie er. Liebesschmerzen haben doch schließlich viele.“

      Das Wort „plichtvergessen“ kränkte Elisabeth. Sie hatte es auf der Zunge, zu antworten: Der Pflichtvergessenste aller Menschen, die ich kenne, bist du, denn du ließest Frau und Kind im Stich in Sorgen und Not.

      Aber ihr fiel rechtzeitig wieder ein, die Mutter verurteilte ihn nicht, also durfte sie es gar nicht.

      So schwieg sie denn, während Robert Tann etwas betont fortfuhr: „Natürlich kannst du ihm nicht schreiben, selbst wenn du wüßtest, wo er zu finden wäre. Er hat dir mitgeteilt, er liebt dich nicht mehr, also mußt du deinen Stolz zu Hilfe rufen.“ Er atmete etwas leichter. „Du bist wunderschön, mein Kind, so schön, daß ich alter Kerl ordentlich erschrocken bin vor dir. Wer weiß, was das Schicksal noch für ein großes Glück für dich bereithält und wozu es gut ist, daß alles so kam.“

      Um Elisabeths jungen Mund lag ein Hauch von Bitternis, als sie entgegnete: „Wozu es gut ist! Das sagt die alte Frau Schulten, die unter uns wohnt, auch immer. Sogar, wenn ihr ein Teller hinfällt oder die Milch anbrennt. Und nun wollen wir nicht mehr von meinem Kummer reden, ich muß und werde darüber wegkommen. Vor allem möchte ich nicht, daß sich Mutter meinetwegen zuviel sorgt. Ich habe ihr durch meine Erkrankung gerade genug Aufregung bereitet.“ Ihre Augen sahen den Mann groß an. „Mutter hat während der Jahre, die du weggewesen, sehr nach dir gebangt, sie hat zehn Jahre lang nur immer und immer auf dein Wiederkommen gewartet. Alles, was in der Zeit um sie herum geschah, nahm sie nicht viel anders auf, wie es eine Nachtwandlerin tun würde.“

      Ihre Stimme ward leiser, aber sie gewann an Eindringlichkeit.

      „Du mußt sehr gut zur Mutter sein, sehr, sehr gut, sie hat das um dich verdient. Du mußt sie mit viel Liebe und Güte bezahlen für die zehn traurigen Jahre des Wartens.“

      Robert Tann nickte und machte ein beinahe feierliches Gesicht.

      „Ich weiß, was ich ihr schuldig bin.“ Er druckste. „Ich – ich habe sie auch lieb, aber weißt du, ich verlor damals den Kopf. Ich hatte mich verbaut und geriet in allerlei Schwierigkeiten, mit denen ich nicht fertig werden konnte. Das bildete ich mir wenigstens ein. Jetzt weiß ich allerdings, mein Fortlaufen damals wäre gar nicht nötig gewesen. Deine Mutter sagte mir schon, was ich damals an Werten zurückließ, das Haus und die Möbel, hätte genügt, meine Verbindlichkeiten zu ordnen.“ Er seufzte. „Ich habe also auch zehn Jahre verloren! Zehn Jahre, die ausgereicht hätten, mich hier wieder emporzubringen.“

      Er erhob sich und trat an das Fenster.

      „Ihr wohnt zu hoch und zu eng, man müßte da eine Änderung schaffen.“ Er blickte nach dem fernen Tannenwald hinüber, vor dem sich die winzige Kolonie zusammendrängte. Er murmelte vor sich hin: „Unschön ist das! Wie können die Leute sich an den Häuserchen freuen, wenn ihnen die roten plumpen Fabrikschornsteine so auf den Leib rücken.“

      Elisabeth fragte, ob er etwas zu ihr gesagt hätte, sie habe ihn nicht verstanden.

      Eben trat seine Frau ein.

      Ihr Blick streifte flüchtig die Tochter, suchte sehnsuchtsvoll den Mann.

      Er sah sich nicht um und beantwortete Elisabeths Frage.

      „Eigentlich habe ich nur etwas zu mir selbst gesagt, aber du darfst es natürlich auch hören, Liesel. Weißt du, ich habe mir eben mit kritischem Auge die neue Häusergruppe vor den Tannen angesehen. Ein Mitreisender im Zuge hierher erzählte mir, daß kleine Sparer ihr Geld in den Liliputbuden angelegt hätten, und da dachte ich eben: Warum wurden die Häuschen ausgerechnet in so abscheulichem Stil erbaut und gerade vor die häßliche Fabrik hingestellt? Die Stadt hat doch hübsche Umgebung genug, man hätte doch ein vorteilhafter gelegenes Stück Land dafür aussuchen können.“

      Martha Tann war leise herangetreten und stand nun dicht hinter ihm.

      Sie legte ihm mit zärtlicher Bewegung die Hand auf den Arm, ihn aber durchzuckte es bei der behutsam sanften Berührung wie ein elektrischer Schlag.

      Erst jetzt erinnerte er sich, vorhin war die Tür gegangen, doch er war zu vertieft in sein Schauen, zu eingesponnen in seine Gedanken gewesen, um sich umzuschauen.

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