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junge Mädchen, um dem Rufe zu folgen.

      Sie drückte die Klinke zur Wohnstube nieder und stand dann auf der Schwelle, die Mutter staunend betrachtend.

      Sie sann, welche Wunder doch die Freude zu vollbringen vermochte.

      Das war ja gar nicht mehr die Mutter, die sie bisher gekannt, das war eine andere, eine viel jüngere Frau.

      Robert Tann hatte den dünnen Mantel, den er über dem Arm getragen, auf einen Stuhl geworfen, sein Hut lag auf der Kommode.

      Elisabeth wandte ihm nun den Blick zu, und der Blick durchforschte das Faltengesicht, prüfte die braunen Augen, die sie anblitzten.

      Die Mutter rief ihr entgegen: „Dein Vater konnte nicht eher zu uns kommen, Liesel, der Ärmste hatte viel Unglück in der Fremde. Nun glückte es ihm aber endlich doch, etwas zu erwerben, damit will er für uns alle eine gute Zukunft aufbauen.“

      Sie mahnte: „Begrüße doch deinen Vater, Liesel, er ist überglücklich, wieder bei uns zu sein.“

      Elisabeth bewegte sich mit bleiernen Füßen vorwärts.

      Es war da etwas in ihr, was es ihr schwer machte, in diesem ihr fremden Manne den Vater zu sehen.

      Sie dachte an die lange Wartezeit der Mutter, dachte daran, daß er die Mutter mit ihr, dem damals kleinen Mädchen, hilflos im Stiche gelassen.

      Er lächelte sie an: „Was bist du für ein wunderschönes Mädel geworden, Elisabeth. Ich werde ganz eitel und stolz auf dich sein!“

      Er streckte ihr die Arme entgegen und zog sie an sich, küßte sie auf die Wange.

      „Ich bin glücklich, euch beide so gefunden zu haben, wie ich es mir immer in schönen Träumen ausmalte, und ich denke, wir werden sehr zufrieden miteinander leben.“

      Elisabeth entzog sich ihm.

      „Verzeihung, Vater, aber ich möchte mich setzen. Ich war krank und bin noch nicht imstande, längere Zeit zu stehen.“

      Er führte sie, mit einem Ausdruck der Besorgnis auf dem Gesicht, zum Sofa und streifte dabei den Brief Heino Staufens, der auf der Tischecke lag, so daß er zu Boden flatterte.

      Er hob ihn sofort auf und reichte ihn Elisabeth, die danach langte und ihn in die Tasche ihres Hauskleides schob.

      „Unser Kind war krank?“ fragte er seine Frau und ließ sich auf dem Sofa neben Elisabeth nieder. „Erzähle doch, was fehlte ihr, Martheken?“

      Martha Tann errötete bei der Anrede „Martheken“ wie ein junges Mädchen.

      „Wir wollen später davon sprechen“, erwiderte sie, „denn es ist eine lange Geschichte. Jedenfalls erkrankte Liesel am Fieber. Sie hatte hohe Temperatur und phantasierte unausgesetzt. Sie hatte sich stark erkältet und dazu einen Nervenzusammenbruch.“

      Elisabeth fühlte förmlich den mitleidigen Blick des Vaters, obwohl sie ihn nicht ansah. Sie grübelte, es war wohl unrecht von ihr, den Vater so fremd und kühl begrüßt zu haben.

      Er hätte vor zehn Jahren nicht so davonlaufen dürfen, wie ein junger freier Bursche, er hätte nicht schweigen dürfen zehn lange Jahre, aber sie besaß eigentlich kein Recht, ihn zu verurteilen, wenn es die Mutter nicht tat.

      Sie hob den Kopf.

      „Der Vater soll die Wahrheit, wovon ich eigentlich krank wurde, lieber gleich erfahren. Dann ist das Thema wenigstens gleich erledigt und wir brauchen nicht mehr davon zu sprechen. Ich würde ja doch nur immer wieder aufs neue leiden.“

      Sie schöpfte tief Atem.

      „Ich hatte einen Mann lieb, Vater, er heißt Heino Staufen und war Buchhalter in der Getreidehandlung von Leonhard Mosbach. Mir wurde eine Stellung in Berlin angeboten mit vielen Vorteilen und ich wollte sie gern annehmen. Heino aber war dagegen, und als ich darauf bestand, wurde er heftig und lief davon, ließ mich einfach mitten auf der Straße stehen.“ Sie seufzte in der Erinnerung. „An jenem Mittag — er war aus seinem Bureau, ich aus Frau Vollhards Schneideratelier gekommen — sollte er zwanzigtausend Mark, die in einem versiegelten Umschlag lagen, im Auftrag von Mosbach zu einer anderen Firma tragen. Aber im Zorn, nachdem er mich stehen gelassen, vergaß er den Auftrag und lief, um sich auszutoben, in den Stadtwald.“

      Sie unterbrach ihre Erzählung, denn der Vater war sichtlich zusammengezuckt, als empfinde er plötzlichen Schmerz.

      Ihre Mutter hatte es auch bemerkt. Sie fragte besorgt: „Was hast du nur, Robert? Weshalb zucktest du eben so sehr zusammen?“

      Er lächelte schon wieder, aber Elisabeth fand, sein Gesicht wirkte jetzt fahl.

      Er erwiderte hastig: „Mir ist nichts, rein gar nichts, aber ich bin nervös vor Freude, wieder bei euch zu sein, das ist alles.“

      Seine Frau erhob sich.

      „Ich will jetzt für unser Mittagessen sorgen. Elisabeth wird dir derweil weitererzählen.“

      Robert Tann nickte ihr zu, warf ihr eine Kußhand nach und wandte sich dann an die Tochter:

      „Nur weiter, Liesel, ich bin sehr gespannt.“

      Und während Elisabeth wahrheitsgetreu alles berichtete, was ihr soviel Kummer geschaffen, saß er still neben ihr und seine Augen blickten geradeaus ins Leere.

      Erst nachdem sie geendet, kehrte sein Blick zu ihr zurück und nachdenklich fragte er: „Und glaubst du, liebes Kind, wenn die verhängnisvolle Sache mit dem Geld nicht geschehen wäre, ihr hättet euch wieder versöhnt?“

      Sie brauchte erst gar nicht zu überlegen.

      „Bestimmt hätten wir uns dann ausgesöhnt, ganz bestimmt. Das bezweifle ich gar nicht.“ Wie heimliches Weinen zog es durch ihre Stimme: „Er wurde durch seine Verhaftung zwei Tage lang davon zurückgehalten, mich zu treffen. Ich aber nahm an, es wäre nur Trotz von ihm, daß er sich nicht mehr sehen ließ, und trat die Stellung an. Als ich ihn dann im Gefängnis besuchte und er von mir hörte, ich hätte das lockende Angebot nicht ausgeschlagen, sondern sei schon in Berlin gewesen, wurde er sofort wieder zornig. Noch zorniger wie das erstemal. Er brach mit mir, ganz schroff tat er es.“

      Sie sprach immer unsicherer. Wellen der Erregung spülten über ihren von der Krankheit müden Körper hin, und zugleich empfand sie ein ganz unbeschreibliches Mitleid mit Heino Staufen.

      Sie klagte mit tränenfeuchten Augen: „Ich kann ihm nicht zürnen, denn er war überreizt durch sein Unglück und ist nun, weil man ihn wegen Mangels an Beweisen freisprach, ein armer Mensch, der schuldlos mit einem Schandmal herumläuft.“

      Sie ballte die im Schoß ruhenden Hände.

      „Ich wollte mir die Füße blutig laufen, wenn ich wüßte, ich fände den Menschen, der die Hauptschuld an seinem und meinem Unglück trägt!“

      „Und wer ist das nach deiner Meinung, mein Kind?“ fragte Robert Tann mit einem Blick, der dem ihren auswich.

      „Aber Vater, danach fragst du noch?“ sagte sie kopfschüttelnd. „Die Hauptschuld an dem Unglück trägt der Mensch, der das gefundene Geld unterschlagen hat. Das ist doch klar. O, wenn mein Wunsch Kraft hätte, in Erfüllung zu gehen! Ich wünschte diesem schlechten Menschen, daß ihm das Geld Unheil bringen möge, daß es ihn unglücklich machen soll und daß es ihm unter den Händen zerrinnt wie Hexengold.“

      Er hob abwehrend die Hand.

      „Aber Elisabeth, so hart darfst du nicht sein. Bedenke nur, wenn vielleicht ein ganz armer Teufel das Geld fand. Einer, der so bettelarm war, so verhungert, so heimatlos und elend, daß er wohl gar seinem Leben ein Ende machen wollte, und sich nun damit aus aller Not retten konnte.“

      Sie blickte ihn verwundert an.

      „Wie bist du nur darauf verfallen, Vater?“

      Er fuhr sich über die Stirn, die dünnes, aber noch dunkles Haar begrenzte, an dessen dunkler Farbe irgendein Friseur nicht ganz schuldlos schien.

      Es

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