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nachholen, das Leben genießen und Freude haben können, »wenn ich niemals geboren wäre«. So wurde die Geburt zu einer Art Sündenfall, ein allgemeines Verbrechen gegen die Frauen an sich, und vielleicht sind Zeugung und Geburt des Menschen in dieser Welt nichts anderes als eine böse Tat, ein übles Verbrechen der Natur gegen die Freiheit der Frau.

      Meine Mutter war auf die Erfüllung ihrer Pflichten bedacht, die unter anderem darin bestanden, ihren Mann mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen und nicht mit einer, die längst abgekühlt war, weil die Jungen vom Weg auf die Klippen hinausrannten, um eine Macht zu ärgern, die viel stärker war als sie. Wir stapften durch Sand und ausgewaschene Böschungen aufwärts, dann kamen oben steinige Flächen, in denen sich tiefe Löcher befinden sollten, obwohl es überhaupt keine gab außer in der Angst vor bodenlosen Klüften, von denen wir uns in der Phantasie ausmalten, wie sie sich plötzlich vor unseren Füßen öffneten, so daß uns die Erde mit Haut und Haar verschlang. In Wirklichkeit öffneten sich weder Löcher noch Klüfte, und wir mußten uns mit völliger Ereignislosigkeit abfinden, die wir höchstens mit ein bißchen Phantasie würzen konnten. Das tat ich ohne Unterlaß, nicht um der Spannung willen, sondern um eine geheimnisvolle Stimmung zu schaffen, bis wir uns atemlos unserem künftigen Haus und seinem Hausherrn näherten und ihn in einem Haufen von Sägespänen stehen sahen, an Händen und im Gesicht über und über mit Sägemehl gepudert.

      Dann sagte er:

      – Tja, da guckt ihr. Aber so sieht ein richtiger Vater aus.

      Wir nickten zustimmend.

      Und ich glaube, was er sagte, war vollkommen richtig. Denn kaum hatte er sich das Sägemehl abgebürstet, mit dem Henkelmann zwischen den Knien zum Essen niedergelassen und angefangen, mit der Gabel die Fischstücke herauszupicken, sah er kein bißchen mehr wie ein Vater aus, sondern lediglich wie ein gewöhnlicher hungriger Mann, der sich satt essen will wie alle anderen. Er war genauso geworden wie der Hausherr in Höfn, der am Küchentisch saß und ab und zu seine Jungen mit der Gabel piekste, wenn sie ihm die fettesten Bissen wegzufischen versuchten. Uns fiel es nicht im Traum ein, das zu probieren. Vater saß allein über seinem Essen aus dem Henkelmann, und wir sahen ihm beim Kauen zu.

      – Warum bekommt ihr erwachsenen Männer immer das Beste? fragten wir neidisch.

      – Weil wir verheiratet sind, antwortete Vater.

      Als wir das Wort »verheiratet« hörten, schwiegen wir eingeschüchtert und betreten.

      – Erst dann dürft ihr gierig die größten Brocken verschlingen, das zarte Brustfleisch und die Augen aus den Lammschädeln, wenn ihr verheiratet seid, eigene Boote auf Fang fahren laßt und Frau und Kinder habt. So ist es immer gewesen, sagte Vater und verteidigte sich und sein Essen im Henkelmann.

      Wir waren der Ansicht, lange warten und viel auf uns nehmen zu müssen, um endlich solche Privilegien zu erwerben, und wir dachten, wenn das wahr wäre und ein bißchen Brustfleisch einen so hohen Preis wie eine Ehe kostete, dann wäre es vielleicht besser, darauf ebenso zu verzichten wie auf die Augen aus den Lammköpfen, und statt dessen nur Fisch zu essen, dafür aber frei und ungebunden zu bleiben.

      Während Vater aß, erörterten wir noch weiter die berechtigten oder unberechtigten Ansprüche auf das Essen. Auch Mutter mischte sich in die Debatte. Sie setzte sich auf einen Stein und sagte:

      – Als ich in Reykjavík bei so vornehmen Herrschaften wie denen vom CVJM in Stellung war, bekam ich nichts anderes als Reste zu essen. Und die Frau des Hauses sagte immer noch zu mir: »Möge es dir wohl bekommen, aber vergiß nicht, draußen in der Küche dein Tischgebet zu sprechen, und laß vom Fischschwanz noch etwas für die Katze übrig!«

      Papa lachte über diese christliche Einstellung, und Mama fuhr fort:

      – Das war eine vornehme Madam, die sogar an gewöhnlichen Werktagen in einer gefältelten weißen Schürze herumlief, außer wenn sie aus dem Haus ging. Dann machte sie im Herd ihr Lockeneisen heiß und brannte sich auf einer Seite Locken. »Meine Gute, wenn deine Anstellung bei uns endet, darfst du das Brenneisen mitnehmen«, sagte sie zu mir. »Derartige Locken sind keine Sünde gegen Gott wie diese Dauerwellen, die jetzt in Mode kommen.« Später schenkte sie mir den Lockenstab als Dreingabe zu meinem Lohn, von dem sie zum Ausgleich ein wenig einbehielt.

      Mama hatte immer etwas vom Fisch für die Katze übriggelassen, und auch das Rückgrat hob sie auf. Eine der Töchter spielte damit gern ein Spiel. Sie mußte es kurz in die Höhe halten, und dann wollte sie raten, wie viele Wirbel es hatte.

      – Sie war ganz schön pfiffig, sagte Mutter.

      – Wollte sie nicht lieber den Schwanz? fragte Papa.

      – Ich hatte Glück mit meiner Stellung, sagte Mutter und tat so, als hätte sie die Anspielung nicht verstanden. Wenn man bei Krämern in Stellung war, die nichts Kostbareres verhökerten als zum Beispiel Schnürsenkel, bekam man nie ein schlechteres Zimmer als eines im Keller oder neben der Waschküche. Meine Schwester aber, die stets nur bei feinen Leuten arbeitete wie den Thors oder dem Kinobesitzer Björn oder Snæbjörn mit der englischen Buchhandlung, weil sie sich dabei selber fein vorkam, mußte stets in einer fensterlosen Kammer hinter dem Trockenboden schlafen. Jeden Abend bückte sie sich unter der Unterwäsche durch, die sie selbst am Tage gewaschen hatte, und kroch mit nassem Bukkel ins Bett.

      – Das geschah ihr recht, dieser Arschkriecherin, sagte Vater.

      – Das war sie gar nicht, gab Mutter zurück. Sie wollte immer nur gern vornehmes Benehmen lernen.

      – Indem sie jede Nacht den Rücken von dem naß hatte, was den Thors oder dem Kinobesitzer aus der Unterhose tropfte? fragte Vater.

      – Auf mich tropfte jedenfalls nie anderes als Gottes Wort, sprach Mutter unbeirrt weiter. Die beiden Eheleute stammten aus den angesehensten Pfarrersfamilien des Landes und unterhielten sich ständig über Pastoren und irgendwelche Ausritte. Dagegen habe ich bei meiner Schwester nie etwas Vornehmes entdecken können. Wir sind einfach so verschieden.

      So setzten schon damals die endlosen Debatten zu Hause ein, die unterschiedlichen Ansichten, Geschmäcker und Eigenschaften, die miteinander in Widerstreit gerieten, die verschiedenartigen Erfahrungen, die nach Geltung und Anerkennung verlangten, Auseinandersetzungen über grundlegende Einstellungen und Überzeugungen, Streitereien – alles längst, bevor das Haus fertig wurde.

      In jenem Jahr kam der Frühling im Nieselregen langsam, aber so sicher, wie das Haus unter Vaters Händen wuchs. Er hatte das Fundament gegossen und damit begonnen, das Fachwerk aufzurichten. Es sollte ein mit Wellblech verkleidetes Holzhaus werden. Bei Sonnenschein blinkten die Stapel der grauen Bleche, und lange bevor wir die Baustelle erreichten, rochen wir schon den intensiven, süßlichen Duft ungehobelter Balken und Bohlen.

      Der Geruch von galvanisiertem Wellblech und der Duft frischer Hobelspäne von den Paneelbrettern sowie der schwache Geruch von Sägemehl überdeckten den Erdgeruch auf den offenen Schotterflächen, den starken Humusduft, den Gestank von Tang unten vom Ufer und den bitteren Geruch des hellbraunen Gerölls, obwohl der sich nicht überdecken ließ, sondern nach einem Frühlingsregen intensiv in der Luft hing. Die Zugvögel, die in meiner Erinnerung stets wie fremde, bunte Blumen waren, zogen in kleinen Schwärmen einer nach dem anderen mit Pfeifen, Trillern und Gesang über ein armes Land mit noch ärmerer Bevölkerung und ließen sich je nach genetischer Programmierung im Gelände nieder, tippelten auf hohen Stelzen einher oder flüchteten vor uns. Manche ähnelten gebückten alten Menschen oder wirkten einfach nur müde und abgekämpft von dem langen Flug. Mir ging einiges durch den Kopf, während ich ihnen zusah:

      Weshalb kommen diese hübschen, bunten Vögel hierher?

      Aus keinem besonderen Grund. Es ist ihre Natur. Alles, was schön ist, ist es nicht aus einem Grund, sondern weil die Schönheit zu seiner Natur gehört.

      Singen denn nur Zugvögel so schön?

      Ja. Niemand kann schön singen, der nicht weit in der Welt herumgekommen ist. Die Vögel, die das ganze Jahr hier auf den Geröllflächen bei uns ausharren, können lediglich krächzen oder kreischen.

      Manche piepen.

      Oder

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