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Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit. Gudbergur Bergsson
Читать онлайн.Название Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit
Год выпуска 0
isbn 9788711447765
Автор произведения Gudbergur Bergsson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Im Frühjahr, als die Fangzeit zu Ende ging, durften wir weiter in Höfn wohnen bleiben. Wahrscheinlich weil die Hausbesitzer so nette Menschen waren, brauchten wir Matratze und Deckbett, den einen Topf zum Kartoffelkochen, die Waschschüssel, Milchkannen, Besteck und zwei Nachttöpfe nicht wieder vorübergehend in die Schule zu tragen, obwohl das nahegelegen hätte, denn von dort war es nicht weit zu der Stelle, an der mein Vater begonnen hatte, das dritte Heim seiner Ehe zu bauen. Wir blieben auch den nächsten Winter noch in Höfn. Bis dahin hatte mein Vater unser Haus sturmsicher unter Dach und abgedichtet und auf diese Weise der Ortschaft ein weiteres Gebäude hinzugefügt, die doch ziemlich weit vom Strand und den Fischerbooten entfernt stand, die am Ende der Saison fein säuberlich auf dem Flutkamm aufgereiht lagen und mit dem Bug zum Sonnenuntergang im Westen, mit dem Heck zum Sonnenaufgang im Osten zeigten.
Jeden Mittag brachte Mutter meinem Vater das Essen. Wir Brüder begleiteten sie in der Regel, um zu sehen, wie sich aus den Bretterstapeln allmählich unser zukünftiges Zuhause erhob und wie aus dem Formlosen eine sinnreiche Form erwuchs. Wir verfolgten jeden von Papas Handgriffen in der Hoffnung, auch einmal für einen kurzen Moment eines seiner Werkzeuge halten zu dürfen, vor allem die Sägen und Hobel, die einem mit ihren Zähnen und Zungen gefährlich werden konnten. Die Versuchung war groß, denn es hieß, man könne sich selbst und andere damit tödlich verletzen, und also waren es ganz besonders faszinierende Instrumente für unschuldige Kinder, die sich Waffen und Mordinstrumente ersehnten. Nicht zu einem besonderen Zweck, sondern einfach nur, um das Böse umzubringen: die anderen Kinder. In der Vorstellung von Kindern sind immer die anderen die Bösen. Liebe Kinder kennen keine berauschendere Vision als den bösen mit Hobeln, Sägen, Hämmern und Stecheisen zwischen Kopf und Schultern zu fahren.
Papa aber war eifersüchtig auf seine Mordwerkzeuge bedacht. Er lachte nur über die natürlichen Instinkte seiner Söhne und meinte, wir sollten mit dem Umbringen warten, bis wir groß genug dazu seien.
Wir wurden ungehalten und mochten nicht glauben, daß Größe und Alter beim siegreichen Einsatz und Töten auf dem Schlachtfeld der Gerechtigkeit eine Rolle spielen sollten.
– Erst müßt ihr mal arbeiten lernen, sagte er und meinte besonders das Arbeiten mit Holz.
Dazu hatte ich keine Lust. Ich merkte schnell, daß ich mich dabei recht geschickt anstellte, und von Kindesbeinen an vermochte ich keinen Grund dafür sehen, das zu tun, was ich bereits konnte. Viel lieber versuchte ich mich an Dingen, die immer wieder neues Bemühen, Geschicklichkeit und Verstand erforderten und gerade das abverlangten, was einem nicht leichtfiel. Durch Arbeit sollte man sich aneignen, was einem abgeht, und sich nicht mit dem zufriedengeben, was man ohnehin und als Geschenk von Gott erhalten hat. Ich war immer der Meinung, nur Dummköpfe wollen das tun, was ihnen sowieso leichtfällt.
– Ihr sollt beide einmal Zimmerleute werden, sagte Vater, obwohl er uns beim Zimmern gerade nicht um sich haben mochte, sondern nur in der Mittagspause.
– Dürfen wir dann die Sägezähne anfassen? fragten wir hinterlistig und meinten so, Interesse an unserem zukünftigen Beruf zu bekunden.
– Aus euch werden einmal armselige Zimmerleute, wenn ihr euch gleich zu Beginn mit Hobeln und Sägen umbringt, meinte er auf seine logische Art und scheuchte uns weg.
Wenn er arbeitete, wollte mein Vater für sich allein sein. Ich bemerkte es schon früh: Wenn er mit anderen Zusammenarbeiten mußte, dann haute er dermaßen rein, daß er sich völlig vergaß und kaum mit seinen Kollegen Pause machte. Der tiefste Beweggrund dafür bestand nicht, wie man annehmen könnte, in einer angeborenen Tüchtigkeit, sondern darin, daß er auf diese Weise auch unter den anderen ganz für sich sein konnte. Die Arbeit allein stillte sein ganzes Bedürfnis nach Gesellschaft. Ich glaube, daß ich daraus meine eigene Einstellung bezogen habe, die größte Gemeinschaftsleistung eines Menschen sollte darin bestehen, die Kunst zu beherrschen, bei der Arbeit ohne Einsamkeitsgefühle oder den Wunsch, etwas kaputtzuschlagen, mit sich allein sein zu können. Mein Vater war ungemein stark; doch ich weiß nicht, ob Kraft und Stärke einen zum Einzelgänger machen oder ob umgekehrt der Wunsch, allein zu sein, Kraft und Stärke verleihen – allerdings nicht solche, die Seele und Gefühl brauchen. Körperlich starke Menschen sind in ihrem Innern erstaunlich weich und ungefestigt und selten von starker psychischer Kraft. Kraft und Muskeln sind die einzigen Freunde und seelischen Genossen des körperlich Starken. So ist es mit den meisten Kraftprotzen auf allen möglichen Gebieten.
Nur während Vater das Essen in sich hineinschlang und ein wachsames Auge auf alles hatte, durften wir das Werkzeug näher betrachten. So konnten wir kaum einmal eines auch nur berühren, ehe er es schon bemerkte und mit dem Suppenlöffel nach uns schlug. Auf diese Weise bekamen wir eingebleut, daß es seine Werkzeuge waren, und das schmierte er uns auch oft genug aufs Butterbrot:
– Faßt nicht mein Werkzeug an! Nehmt die Flossen weg! Ihr könnt damit nicht umgehen und ruiniert mir nur den Schliff, ihr Dussel! Ich sehe schon, daß aus euch nie richtige Zimmerleute werden.
Er änderte schnell seine Meinungen. Seine Wünsche wechselten dauernd das Gesicht und widersprachen sich. Wir wußten nicht, wie wir mit diesem wetterwendischen Aufbrausen umgehen sollten, und wurden steif und übervorsichtig, wagten kaum, uns zu rühren, damit Hobel, Sägen und Stecheisen nicht durch unsere Ungeschicklichkeit oder Zerstörungswut den Schliff verloren. Da legte er gehässig und gemein noch einmal nach:
– Wie könnt ihr euch nur einbilden, daß Burschen wie ihr in einem Dorf, in dem es nicht einmal Möchtegerntischler gibt, etwas von Werkzeug verstehen?
Wäre ich Psychologe, dann würde ich sagen, daß ich mit der Zeit eine Aversion gegen seinen Werkzeugkasten entwickelt hätte. Nachdem das Haus fertig war, lockte es mich nämlich nur noch äußerst selten, mich auf den Dachboden zu schleichen und den Deckel von der Kiste zu heben, um einen Blick auf die vielerlei scharfen und faszinierenden Instrumente zu werfen, die niemand anfassen durfte, wenn ihm sein Leben lieb war. Ein Kind verlangt es nämlich nicht so sehr, täglich einen von Respekt erfüllten Blick auf die Werkzeugkiste seines Vaters zu werfen, sondern es möchte viel lieber hineingreifen, um seinen Eltern Ungehorsam zu zeigen und auf der Stelle unter grauenvollen Umständen und mit schrecklichem Blutverlust als Opfer böser Mächte zu sterben, darauf zu Gott auffahren und sich die Welt von oben aus dem Himmel betrachten, an der Seite dieses höchsten und gütigen Vaters, bei dem es seine Eltern für ihre Verständnislosigkeit und die erlittenen Mißhandlungen im Erdenleben anklagen kann.
– Ja, das verstehe ich gut, mein liebes Kind, sagt Gott dann. Wenn ich dein Papa auf Erden wäre, hättest du den lieben langen Tag hobeln und sägen dürfen wie das Jesuskind in der Werkstatt Josefs, seines Scheinvaters. Glaubst du etwa, ich hätte kein Verständnis für dich? fügt er noch verständnisvoll hinzu.
Im stillen war ich Gott dankbar und begann ungefragt, an ihn zu glauben, an den Vater im Himmel. Und dieser Glaube hatte seine Vorteile; zu wissen, daß jemand besser war als Papa.
An Stelle der Werkzeugkiste machte ich mich daher über die Knopfdose von Mama her, die ihr natürlich nicht weniger gehörte als Papa sein Werkzeugkasten. Der Unterschied zwischen ihnen bestand darin, daß Mutter in ihrer Kindheit immer alles mit ihren Geschwistern