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sieht so aus, als kämen sie nur, um im Sommer hier zu brüten und zu beweisen, daß sie Grips genug im Kopf haben, sich früh genug im Herbst wieder davonzumachen und dem Winter aus dem Weg zu gehen.

      Können sie nicht woanders brüten?

      Nein.

      Warum nicht?

      Die Sorge treibt manche Vögel in die Ferne. Ich wäre auch in die Ferne geflogen, um euch Nahrung zu beschaffen, wenn ich Flügel hätte. – Diese Art innerer Dialog zwischen meinen verschiedenen erwachenden Charaktereigenschaften spielte sich in mir ab, nachdem ich wieder und wieder im Schlepptau meiner Mutter über Geröll- und Sandfelder und ausgewaschene Böschungen den langen Weg zu unserer künftigen Behausung zurückgelegt hatte.

      Wir jagten den Vögeln nach, um sie zu fangen. Sie liefen vor uns davon, blieben stehen, piepten und sahen sich rasch über einen Flügel um, ob wir ihnen auch folgten. Darauf ließen sie eine Schwinge hängen, schleppten sie über den Boden und taten so, als wären sie verletzt. Dann wußten wir, daß sie ein Nest gebaut hatten, und verfolgten sie nicht länger. Sie aber trippelten weiter über Geröll und Halden.

      Uns wurde erzählt, Zugvögel seien ganz besonders lebenserfahrene Tiere, die die räuberische Natur des Menschen kannten und verschiedene Methoden anwandten, uns in die Irre und von den Nestern mit den Eiern und später Jungen wegzulocken. Die Eier hatten die gleiche Färbung wie der Erdboden. Nur selten konnten wir eins finden, auch wenn es nur so von Vögeln wimmelte.

      Unser künftiger Nachbar kam zuweilen von seinem ebenfalls neu erbauten Haus zu uns herüber und beobachtete schweigend, wie schnell wir vorankamen; dann sagte er bedächtig:

      – Manche verstehen ihr Handwerk. Hier wird kein Pfusch getrieben.

      Sein Haus hatte Vater im Frühjahr und Sommer zuvor gebaut, während wir uns in der engen Schule einrichteten. Mein Bruder und ich hatten manchmal auf der Treppe des Nachbarn sitzen dürfen, um zu lernen, was es heißt, Höhenangst und Schwindel zu empfinden. Ich war der Jüngere und in größerer Gefahr, herunterzufallen. Der Nachbar hielt mich oben auf dem gegossenen Handlauf. Dann nahm er mich in den Arm und sagte:

      – Mein Junge.

      Er sagte kaum einmal etwas anderes. Seine Frau sprach noch weniger. Ihm wuchs beträchtlich viel Moos aus den Ohren und den Nasenlöchern, und er hatte die Angewohnheit, nicht tief gebückt, aber doch so vorgebeugt zu gehen, als würde er andauernd etwas suchen, zwergwüchsige Lämmer zum Beispiel. Aber er fand nie welche. Auf dem Kopf trug er, etwas schief gesetzt, stets die gleiche Schirmmütze, die er nie abnahm, außer bei Beerdigungen. Dann sah man, daß seine Stirn oberhalb eines roten Randes schneeweiß war und der Schädel flach nach hinten abfiel.

      War die Mütze so schwer?

      Papa sprach sehr laut mit ihm, damit die Worte durch den Hammerlärm und das Moos in den Ohren drangen. Ansonsten sah er selten von der Arbeit auf, und man konnte meinen, selbst wir, die wir ihm das Essen brachten, wären unwillkommene Besucher. Zweifellos waren wir in seinen Augen ebensolche Taugenichtse wie alle anderen, kaum in der Lage, ihm auch nur ein Brett anzureichen.

      – Ach, ich weiß selbst besser, wo es liegt, und hol’s mir lieber selber, sagte er, wenn wir uns Mühe gaben, das richtige Stück Holz zu finden und es ihm anzureichen, damit er schneller vorankam.

      Wenn wir mit unserem Bemühen fortfuhren, schob er uns schweigend zur Seite, sachte, aber bestimmt und mit der Handkante voran, so daß wir begriffen: »Kommt mir nicht zu nahe, faßt nichts an! Das ist meine Arbeit.«

      Er brauchte keine Handlanger, konnte alles allein bewältigen. Außer ihm sollte es am Ende niemanden geben, dem etwas zu danken war oder der sagen konnte: »Na ja, ich habe ja auch meinen Teil dazu beigetragen.« In allem, was er tat, achtete er peinlich genau auf sein alleiniges Urheberrecht. Solange er mit etwas beschäftigt war, ging seine Arbeit außer ihn niemanden etwas an; andererseits interessierte ihn das fertige Ergebnis kaum mehr, sobald es in die Hände derer übergeben war, in deren Auftrag er die ganze Zeit gearbeitet hatte. Was die Leute dann davon hielten, war ihm egal. Er hatte sein Bestes getan.

      Etwa Ähnliches findet sich leicht bei Künstlern. Auch sie sondern sich ab, beschäftigen sich nur mit ihren eigenen Werken und wissen, daß kein anderer sie für sie vollbringen kann. So stehen und fallen sie allein mit ihren eigenen Fähigkeiten und Werken, und so sind Künstler stets allein, doch nie einsam. Sie brauchen keine Hilfe oder sind nicht auf die gleiche Weise auf Unterstützung angewiesen wie andere soziale Wesen.

      Meine Mutter hielt sich gewöhnlich mit dem Essen abseits und wartete. Sicher stand sie irgendwo im Windschatten und fürchtete, der Fisch könne kalt werden oder das Fett stocken, bevor es dem Herrn Gemahl beliebte, langsam und sorgsam das Werkzeug aus der Hand zu legen, sich die Hände abzuwischen und sich mit dem Besteck, das in einer alten Farbdose aufbewahrt wurde, ans Essen zu machen. Es war ihm in der Kindheit beigebracht worden, auch wenn einmal kaum Messer und Löffel vorhanden wären und gleich, wo er sich gerade befände, müsse er doch jederzeit so sauber zu Tisch gehen und mit derart tadellosen Manieren essen und kauen, als säße er an der Tafel des Königs in dessen Schloß und man servierte ihm einen zarten Jungvogel auf einem goldenen Teller.

      Auch wenn sie es sich nicht immer verkneifen konnte, bewirkte es nicht das geringste, wenn Mutter einmal sagte:

      – Willst du denn nicht essen, bevor alles kalt wird und das Fett stockt?

      Das brachte überhaupt nichts. Er ging stur nach seinem eigenen Kopf. Was den Umgang mit anderen betraf, war sie auf ihre Art ebenso eigenbrötlerisch wie er. Aufgewachsen in der Einsamkeit des Hochlands, war sie sich selbst genug. Daher haben wir, ihre Kinder, alle unser Erbteil mitbekommen, was das Bedürfnis nach Alleinsein angeht. Einmal war es eine der markantesten Eigenschaften von Menschen, die an der Küste oder auf dem Lande, aber nicht in größeren Siedlungen aufwuchsen, die es in diesem bevölkerungsarmen Land ohnehin kaum gab. Es entging niemandem und war leicht zu sehen, daß dies Menschen waren, von denen jeder für sich stand, in keinem anderen Schutz als dem, der sich bei ein paar Felsen finden läßt.

      – Die beste Gesellschaft finde ich in meiner Arbeit, sagte mein Vater manchmal.

      Meine Mutter ließ kaum eine Gelegenheit auf Geburtstagen und anderen Festen aus, etwas Unpassendes vom Stapel zu lassen. Wenn die Stimmung am höchsten schlug und jedes Klatschweib von anderen zu erzählen wußte, die gleichermaßen den Halt im Leben verloren und Dutzende von Fehlgeburten erlitten hatten, und wenn die Männer lauthals Seemannsgarn von riesigen Fangerträgen und endlosen Nachtwachen an Bord zum besten gaben, konnte sie plötzlich wie aus heiterem Himmel sagen:

      – Meine Welt ist mein Zuhause.

      Den Leuten blieb das Wort im Hals stecken und sie verstummten mitten in der Erzählung ihrer Heldentaten. Glücklicherweise hatte sie ihr Geschenk schon überreicht und konnte sich ohne weitere Peinlichkeiten verabschieden und gehen. Wir dagegen saßen noch betreten da und bekamen mit, daß sich die anderen Gäste der Feier offenbar fühlten, als hätten sie von der einzig wahren Hausfrau eine Ohrfeige bekommen. Alle Frauen sahen aus, als hätten sie einen Spontanabort erlitten, und die Männer gafften und verstanden nicht, wie jemand so ungesellig sein konnte. Die fröhlicheren unter den Frauen faßten die Bemerkung als an ihre Adresse gerichteten Affront auf.

      – Hat dieses Mensch denn gar kein Interesse an Fehlgeburten oder an der Fischerei? hieß es hier und da.

      Doch bald liefen die Leute wieder zu alter Form auf, die Zahl der Fehlgeburten ging nicht zurück, ebensowenig die Erträge der Fischerei, bis endlich alle müde wurden und die Redseligkeit allmählich in Gähnen und Rülpsen unterging.

      Ähnlich wie es Künstlern in ihrem Umgang mit anderen Menschen oder der Öffentlichkeit widerfährt, öffnete sich ein unsichtbarer Spalt zwischen unserem Vater und uns. Er ließ uns nur zu sich hinüber, wenn es ihm selbst paßte oder wenn er gerade bester Laune war. Meist folgten danach umgehend Verwürfe wegen unserer Untauglichkeit oder Faulheit, wir würden nichts für ihn tun, nie die Arbeiten erledigen, die er uns auftrug. Am häufigsten bekamen wir das im Herbst zu hören, wenn er von einer auswärtigen Saisonarbeit heimkehrte und sich die Ergebnisse

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