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Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit. Gudbergur Bergsson
Читать онлайн.Название Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit
Год выпуска 0
isbn 9788711447765
Автор произведения Gudbergur Bergsson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
– Es ist nur ein Name und kommt nicht wirklich aus einer Kuh, sagte Mutter.
Ich fand auch das Wort Kuhfuß als solches merkwürdig, und es weckte mein Staunen. Der Kuhfuß als Werkzeug verlor darüber keineswegs seinen Wert. Im Gegenteil wurde er noch geheimnisvoller und blieb in meiner Vorstellung präsent. So staune ich noch immer über einen Kuhfuß mehr als über die mir bewiesene Tatsache, die ich als Autor, der Bücher in vier verschiedenen Verlagen veröffentlicht hat, zuerst nicht glauben wollte, daß nämlich Frauen aufgrund ihrer Genauigkeit die besseren Korrekturleser sind. Trotzdem hat es mich nie verlangt, mit Körperkraft einen Kuhfuß zu schwingen, um als gestandener Mann zu gelten. Doch wenn ich einmal bei der Arbeit eins einsetzen muß, durchrieselt mich ein seltsames Gefühl: Ich empfinde eine geheimnisvolle Erleichterung in Körper und Geist. Während die meisten Jungen davon träumten, einen Kuhfuß zu besitzen, um ihn täglich, so wie ein Krückstock einen Hinweis auf das lahme Bein eines Alten liefert, als Beweis ihrer Kraft in einer Hand mit sich herumzutragen, fand ich es viel geheimnisvoller und spannender, an der Hauswand zu sitzen und zu fühlen, wie trockener Sand in meiner geschlossenen Faust kitzelnd zwischen den Fingern hindurchrann, und zwar kitzelte es um so mehr, je leerer die Faust und je schneller das Rinnsal wurden, das meine Hand im Gegenzug mit Leere zu füllen schien. Darin drücken sich ein Gleichgewicht und eine Komplementarität zwischen Stofflichem und Nichtstofflichem aus, zwischen dem, was sich anfassen läßt, und dem, was sich nur mit dem Denken und den Sinnen erfassen läßt. Es ist der Zusammenfall von Form und Inhalt. Ich konnte Stunden so zubringen, manchmal ganze Tage, und dabei das Wohlgefühl genießen, Materie und Nicht-Materielles zugleich in meiner Hand und im Leben zu spüren und vielleicht auch noch die Kunst, den Zusammenklang von Form und Inhalt im Dasein.
Die ständige Anwesenheit des Meeres schlug das Auge in Bann und weckte nicht weniger den Wunsch nach Selbstvergessenheit als der Sand. Diese stets veränderliche und farbige Weite, die irgendeine innere Entsprechung in mir hatte. In meiner Erinnerung meine ich gesehen zu haben, wie sich, wenn wir meinem Vater das Essen brachten, ein weißer Nebel über die weite See legte, der sich dann langsam auflöste. Und das war nicht der gewöhnliche graue Nebel oder die kochende Gischt des Frühjahrs, die das Meer auf dem Weg ständig über uns stäubte, wenn hohe Brecher in die Felsnischen am Ufer rollten, in die Spalten im Fels gesaugt wurden und an den schwarzen Wänden brachen. Die See brüllte dann laut und wütend und schoß in weißen Fontänen gegen den Himmel und über das Land. Dem folgte ein nasser Schleier, der mit bloßem Auge zu sehen war, sobald er wie ein Wolkenbruch auf die Steine niederprasselte.
– Geht nicht zu nah ans Meer, sagte Mutter.
Ich dachte oft, jener mystische Nebel sei nichts anderes als aufsteigender Meeresdunst gewesen, weil er sich auf meine Erinnerungen legte und mich nicht weiter bedrohte. Doch im Lauf der Zeit bin ich dazu übergegangen, diesen Dunst als etwas jenem Nebel Ähnliches zu betrachten, in dem sich der Verstand eines Menschen so gern einmal verliert, weil er hofft, er käme unbeschadet wieder daraus hervor, den Kopf voll mit einem anderen und kreativeren Dunst, dem Meditation innewohnt und in dem umherschweifende Wörter für ein Werk bereitliegen.
Aus irgendwelchen Gründen nahm meine Mutter immer den steinigen Weg am Ufer entlang, obwohl es von Höfn aus auch einen zwar ebenfalls steinigen, aber halbwegs befahrbaren gegeben hätte. Doch den haben wir nie benutzt. Er führte streckenweise durch gespenstisches Gelände, nicht direkt ein Lavafeld, aber doch eine Anhäufung von Geröll, das zu unregelmäßigen Haufen aufgeworfen lag, so daß sich mit der Phantasie, die Kindern zum Ausmalen des Schrecklichen zu Gebote steht, leicht alle möglichen Gespenster darin erkennen ließen. »Die Könige« nannten wir das Gebiet. Einmal wollte ich mich ganz allein dort umsehen, weil ich wissen wollte, was die Könige so trieben, doch meine Mutter verbot uns, dort herumzustromern. Statt den bequemeren Weg zu nehmen, turnten wir also an den Felsnasen über dem Meer entlang, das manchmal nicht zu sehen war, wenn wir uns gerade in einer Mulde befanden; doch sein Tosen war hinter den felsigen Graten stets deutlich zu hören. Mein Bruder war mutiger als ich und wollte auf den Grat stürmen. Ich folgte ihm, nicht ganz so verwegen, um ebenfalls das Meer mit Steinwürfen zu reizen; aber das durften wir nicht.
– Ärgert die See nicht, laßt sie in Frieden! sagte Mutter streng.
– Warum? fragten wir, schon mit einem Stein in der Hand ausholend, um ihn einem Brecher an den Kopf zu werfen, der gerade gegen das Ufer heranschäumte.
– Man darf sie niemals ärgern, ebensowenig wie die Kühe. Denn es kann sein, daß sie dann beide nicht mehr geben.
Jemanden zu hänseln oder zu ärgern – manchmal die einzige Abwechslung, wenn es sonst gar nichts zu tun gab war in den Augen meiner Mutter das reinste Gift. Dabei sah es doch ganz so aus, als freue der Mensch den Menschen nur auf eine Weise, nämlich durch gegenseitige Provokation. Ein Mann fordert den anderen heraus und macht ihn fertig, wenn der es zuläßt und nicht selbst schneller ist. Frauen dagegen beglücken einander mit Eigenlob, ihren Krankheiten, vorgetäuschter Liebenswürdigkeit und übler Nachrede, die sie anstelle eigener Meinungen und Urteile weitergeben und auch in schwierigen Fragen und in der Politik bevorzugen. All diese Eigenschaften waren und sind vor allem der gut verhohlene Drang mancher Männer und Frauen, auf andere loszugehen. Frauen jedoch fühlen sich im Recht und meinen, aus diesem Gefühl heraus besonders Männer und Kinder zurechtweisen zu dürfen, andere Frauen aber mit der heiligen Wahrheit, die im boshaften Klatsch liegt.
Mama entschied sich wie in anderen Dingen gegen das Einfache oder das, was andere taten. Also durften wir das Meer nicht ärgern, ihm nichts Böses andichten, mußten so tun, als wären wir auf unserem täglichen Marsch über den schlechteren Weg in Gefahr geraten, dabei froh den Hang unterhalb des Hafenhauses hinabhüpfend. Dort lag eine tiefe Senke mit flachem Grund, aber steilen und schwer zu erklimmenden Rändern. Hatten wir sie hinter uns, stolperten wir, auf schon ein wenig müden Beinen, den nächsten Abhang hinab. Trotzdem war es bis dahin noch ganz lustig. Dann aber kam nur noch Plackerei. Es war unendlich mühevoll, in die nächste Senke hinab und wieder heraus zu klettern, dann kam der schmale Saumpfad mit Blick aufs Meer, in das wir nicht einmal Steinchen werfen durften.
Es mag ja noch Spaß machen, in so eine Senke hineinzulaufen, aber ihr größter Nachteil ist, daß man auch wieder heraus muß, schließlich will niemand sein Leben lang in einer Senke festsitzen, und die Löcher rund um Höfn waren gräßlich. Dazu kam, daß wir bei jedem Wetter in unförmig steifen schwarzen Regenmänteln gehen mußten, die stets ein paar Nummern zu groß gekauft wurden, damit wir nicht zu schnell aus dieser teuren, aber notwendigen Schutzkleidung herauswuchsen. Wenn sich im Frühling einmal die Sonne sehen ließ und auch ganz sicher kein Wachstuchmantelwetter im Anzug war, wurde Firnis auf den Stoff aufgetragen, damit er wasserdicht blieb. Dann wurden die Mäntel zum Trocknen auf die Leine gehängt. Da baumelten sie am Kragen in blassem Sonnenschein und Sturm und schaukelten hierhin und dorthin oder zappelten heftig wie der Leib eines Gehenkten am Strick. Wenn wir sie wieder überzogen, knarrten sie laut oder quietschten, wenn sich das ölgetränkte Gewebe so am Fleisch festsog, als sollten wir es nie wieder abbekommen und darin sterben, erstickt wie Herkules, der so dumm gewesen war, das Nessusgewand überzuziehen. Die Sagen, von denen man hörte, gewannen an Bedeutung, wenn sie einen Bezug zum eigenen Leben erhielten. Der Regenmantel aber duftete, und es fühlte sich toll an und gab einem ein künstlerisches Gefühl, den Geruch des frisch gewachsten Mantels tief einzuatmen.
Stets mußte man den Mantel anhaben oder ihn wenigstens über dem Arm tragen. Mutter sagte:
– Es kann immer mal einen Schauer geben.
Oder es konnte jederzeit Südwestwind aufkommen und ernsthaft zu regnen anfangen. Wir gehorchten und wußten, daß man allemal leichter im Regenmantel ging als in vollgesogenen