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Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit. Gudbergur Bergsson
Читать онлайн.Название Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit
Год выпуска 0
isbn 9788711447765
Автор произведения Gudbergur Bergsson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nach dieser Suada machte er eine Pause und fügte dann traurig, als hätte er selbst einschlägige Enttäuschungen durchlitten, hinzu:
– Die größten Schufte bekommen die besten Frauen.
Wollte er damit bekunden, er sei nicht bösartig genug gewesen, um eine anständige Frau zu bekommen?
– Die Schufte schnappen sie einem vor der Nase weg, sagte ich.
– Das können sie, sagte er.
– Sie haben ja sonst nichts zu tun, sagte ich.
– Ich finde, es ist kein Wunder, daß die Welt ist, wie sie ist, bemerkte mein Vater sehr traurig. Die Frauen haben darin nichts zu sagen, weil sie nicht einmal ihre eigene Gutmütigkeit beherrschen können. Ich lasse mal beiseite, daß es natürlich auch schlimme Fuchteln gibt.
Obwohl er seinen Besitz nicht seinen eigenen Kindern verkaufen wollte und sagte: Ihr durftet euch hier aufhalten, als ihr klein wart, das sollte doch wohl reichen, ist es jetzt so weit mit ihm gekommen, daß er nicht mehr über Dinge bestimmt, die er früher ganz allein entschied. Das kommt nicht daher, daß ihm jemand die Entscheidungsgewalt abgenommen hat, sondern er ist einfach zu senil geworden, um noch aus eigener Vernunft zu entscheiden.
– Solange ich es noch kann, will ich das, was mir gehört, auf dem offenen Markt verkaufen, wo jeder ein Gebot auf mein Haus abgeben darf, sagte er mit der Überzeugung, die Menschen mit festem Glauben und gutem Gedächtnis auszeichnet. Sie erinnern sich noch haarklein an das, was ihnen zu ihrer Zeit von ihren »Lehrmeistern« beigebracht wurde – während diese Lehren schon längst Gegenstand eines Glaubenswechsels wurden. Als mein Vater während seiner Lehrjahre beigebogen bekam, wie die Dinge zu sein hätten, wenn alles gut und recht sein solle, legte er einen bedingungslosen Gehorsam an den Tag. Wenn es sich bei solchem Verhalten um einen kleinmütigen Menschen handelt, der seine Freiheit nur dazu nutzt, zu parieren, dann glaubt er am Ende, die Lehren, die er aus seinem langjährigen Gehorsam gezogen hat, seien die richtigen, so daß seine Überzeugungen ebenso unerschütterlich sind wie die seines Herrn. Obendrein finden Herr wie Knecht, es zähle nichts als ihr eigenes Befinden, und sie werden ungeheuer sensibel, ertragen beide nicht die geringste Kritik. Wenn man sich mit solchen Leuten anlegt, bekommen sie bald einen Herzschlag und reden von Verschwörung und Übergriffen, bis der Widersacher die Segel streicht. Kein gewöhnlicher, rechtschaffener Mensch will es sich auf sein Gewissen laden, jemanden mit einem Herzinfarkt ins Jenseits befördert zu haben, und sei es auch ein irregeleiteter Kleingeist oder einer der Wortführer, denn in einer zivilisierten Gesellschaft zählt ebenso wie in einer unzivilisierten das Recht des Kranken – selbst wenn er sich im Irrtum befindet – mehr als das des Richtigdenkenden, und es ist nicht zulässig, ihn durch Widerspruch einem Risiko auszusetzen. Deshalb ist die Welt stets in den Händen von Kranken und wird es auch weiterhin bleiben.
Aufgrund innerer Bedürfnisse, die sich nicht um äußerlichen Profit scheren, ging die Sache schließlich doch gut aus. Statt das Haus Bedürftigen auf dem freien Markt zu verscherbeln, lag es meinem Vater am Ende doch näher, eigene Wünsche zu befriedigen: die Rückkehr zum Ort der Kindheit. Und als er sein Ziel erreicht hatte, sich am richtigen Ort wieder in den Händen guter Frauen befand, da riskierte er es nicht mehr, sich daran zu erinnern, wie die Dinge eigentlich zu sein hatten, wenn man dem Gelernten folgen wollte, und die Zeit im Exil spielte überhaupt keine Rolle mehr. Unter diesem Blickwinkel interessierte ihn das Haus, das er mit allem, was sich darin befand, eigenhändig gebaut hatte, nicht mehr im geringsten. Lediglich das Bild mit dem Berg darauf nahm er von der Wand, den er nun täglich wieder vor Augen haben konnte, wenn er sich denn einmal von der Liege aufrichtete, auf der er in seiner Ehe jahrzehntelang in einem anderen Landesteil gelegen und stets mit Begeisterung von dem geredet hatte, was er lebendig vor seinem inneren Auge sah, während andere es lediglich auf dem Bild erblickten. Als er endlich wieder zu Hause war, konnte er sich zugleich am Anblick vom Tod des inneren wie äußeren Bildes weiden wie auch, bei einem Blick durch das Fenster, an dem Berg selbst, der in seiner ganzen Erhabenheit und Wahrhaftigkeit vor dem Himmel aufragte. War es da ein Wunder, daß er sich glücklich und zufrieden schätzte? Als ich ihn aber vorsichtig fragte, ob er jetzt nicht ständig am Fenster säße, um den Berg zu betrachten, sagte er:
– Nein. Ich habe das Bild aufhängen lassen und sehe ihn mir lieber darauf an. So kann ich ihn auch sehen, wenn ich liege.
– Das ist bequemer, sagte ich.
– Ja, ich weiß nicht, ich bin einfach wieder da, sagte er ein ums andere Mal, wenn ich ihn besuchte.
– Was soll mit dem Haus passieren, wenn du nicht zurückkehrst? Soll es den richtigen Leuten verkauft werden? fragte ich.
– Ich bin nach Hause gekommen, alles andere interessiert mich nicht mehr, das mußt du doch begreifen, wiederholte er ungeduldig und wollte keinen Unsinn mehr hören.
Trotz aller Anstellerei wußte er, daß nicht sein Wille nachließ, sondern sein Körper. Er verstand nicht, weshalb sein Geist sich ähnlich verhielt, obwohl sein Gedächtnis selbst nach einem Schlaganfall kaum beeinträchtigt war. Der Teil seines Geistes, der alles aus den Händen gleiten ließ, war nicht er selbst, sondern so etwas wie sein Lebenswille. Er hatte so gut wie alles Irdische bis auf das Dasein selbst aufgegeben, bis auf die Kunst, noch das zu erleben, was vom Leben nach der Wiederbegegnung mit dem, was er nie wirklich, sondern nur zeitweilig verlassen hatte, noch übrig war. Der Verstand begriff die Zusammenhänge nicht mehr und fand sich nicht mehr zurecht, wie wenn Dummheit die Überhand in ansonsten vernünftigen Dingen gewinnt.
Konnte das Alter womöglich die größte Dummheit des Lebens sein?
Ich saß an seiner Seite und hatte das Gefühl, im stillen seine Gedanken zu lesen.
Oft dämmerte er hinter den Mauern des Altersheims vor sich hin und dachte nicht mehr an den freien Markt, an wunderbare Frauen, die sich wegen ihrer Gutherzigkeit damit abrackern, den Schuften, die sie betrogen haben, wieder Boden unter die Füße zu geben, oder daran, ihnen zu ihrer Unterstützung Häuser zu überlassen. In ihrem hoffnungslosen Kampf der Hilfsbereitschaft gegen die Nichtsnutzigkeit war ihnen nicht mehr zu helfen. Die Frauen mußten zusehen, wie sie mit Tüchtigkeit und Anstand allein zurechtkamen, wie sie es immer getan hatten, und wie sie auf diese Weise leichter zu Gott kamen als die Männer, damit sie dort den Schuften das Himmelreich bereiten konnten.
Manchmal schlug Vater langsam die Augen auf wie nach einer Erleuchtung in seinem Dämmer und sagte:
– Daß die Kirche neuerdings weibliche Pfarrer zuläßt, dürfte den Frauen bei Gott den Vortritt einbringen.
Ich sperrte die Ohren auf und wartete, was jetzt weiter käme.
– Sonst ist ja wenig davon zu erwarten, jetzt Geistliche ohne Beutel den Klingelbeutel halten zu lassen, sagte er beinahe fröhlich.
Dann riß er die Augen auf, grinste über sein Wortspiel und sagte spöttisch:
– Da wird es wohl bald so weit sein, daß der Himmel voll ist von nackten Weibern, die sich Kinder von durchgedrehten Engeln anhängen lassen, denen auf einmal die Natur gekommen ist.
– Weißt du noch, ob du damals geträumt hast,