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Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit. Gudbergur Bergsson
Читать онлайн.Название Vater, Mutter und der Zauber der Kindheit
Год выпуска 0
isbn 9788711447765
Автор произведения Gudbergur Bergsson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
– Geh jetzt hinein und verabschiede dich von deinem Vater, sagte sie.
Er gehorchte und ging in das dunkle Zimmer, in dem sein Vater seit längerem vor sich hin dämmerte. Er wagte es nicht, ganz an das Bett zu treten, denn einmal hatte er mit angesehen, wie der Vater in panischem Schrecken den Mund aufriß und etwas Dickes, Braunes daraus hervorquoll und sich über Kissen und Decken ergoß. Die Mutter war hereingestürzt, und der Vater hatte ihn mit besudelter Hand weggewinkt. Es war, als hätte er ihn damit verstoßen.
Als er einen Moment neben seinem Vater gestanden hatte, ohne sich zu verabschieden, weil der Vater in seiner Bewußtlosigkeit die Anwesenheit des Sohnes nicht länger zu spüren schien, begann er einfach zu lauschen, hörte aber nichts als das dumpfe Brausen der Stille. Daran sollte er sich sein Leben lang erinnern. Dann ging er zu seiner Mutter zurück. Sie fragte nichts. Bis dahin hatte auch der Onkel den Mund nicht aufbekommen; jetzt aber atmete er einmal tief durch und verabschiedete sich.
– Ja, ja, Þorbjörg, mach’s gut, sagte er und mußte sich bücken, um mit dem Jungen auf dem Arm durch die Tür zu kommen.
Der Onkel hielt ihn unter dem Po und dicht an sich gedrückt, so daß er über seine Schulter die Mutter sehen konnte. Dann blieben sie und das Haus in der Ferne zurück. Er hopste ein wenig auf dem Arm. Auch die Geschwister blieben zurück. Sie spielten weiter vor dem Haus und sahen gar nicht zu ihm hin. Er sah das alles, während er auf dem Arm seines Onkels schaukelte. Für einen Moment sah er, wie die Mutter vor die Tür trat und die Geschwister dann hinter ihr in dem weiter zurückbleibenden Haus verschwanden. Das Haus war noch zu sehen, aber darum herum regte sich nichts mehr, und es zeigte sich kein Gesicht am Fenster.
Sie hatten jetzt die Wiese erreicht, auf der die Sense wie festgenagelt in der Erde steckte und gegen die Abendsonne aufragte. Der Onkel riß sie mit einem Ruck aus dem Boden und warf sie sich auf die andere Schulter, so daß das Blatt hinter seinem Hals hervorragte. Etwas Gras klebte an der Schneide und auf dem Rücken. Er sah es, weil das Blatt beim Gehen leicht hin und her wippte, manchmal war es dicht vor ihm. Die Sonne schien auf die Schneide und trocknete die Grashalme, die nach und nach abfielen. Der Onkel stapfte schwer über die großen Wiesenhöcker und sagte nichts, ehe sie den Bach erreichten. Mitten in der Strömung blieb er stehen, schaute auf seine Füße und sagte:
– Sieh mal, Junge, da ist eine Forelle ins Versteck geschossen.
Der Junge schaute ins Wasser und ihm wurde schwindlig.
– Irgendwann wirst du sie einmal angeln, sagte der Onkel. Nicht wahr?
Er antwortete nicht darauf, sondern blickte um sich, nachdem er den Mund eine Weile an die Schulter des Onkels gepreßt hatte. Das Schwindelgefühl ließ nach, und da entdeckte er etwas, nicht in der Strömung, sondern im stillen Wasser am Ufer, wo einige dunkle Schatten standen, die ruckartig durch das Wasser glitten und unter der überhängenden Böschung verschwanden. Scheu sah er den flinken Schatten nach, die der Onkel mit der Sense bedrohte, wobei er fröhlich wiederholte:
– Sieh mal, Junge, guck doch!
Schneide und Rücken der Sense tauchten naß und sauber aus dem Wasser, denn die letzten Grashalme waren abgespült worden und trieben mit den Wellen den Bach hinab. Als sich der Onkel wieder in Bewegung setzte und die Sense über die Schulter warf, beobachtete der Junge, wie das kalte Wasser schnell das Sensenblatt entlanglief und auf der anderen Halsseite von der Spitze tropfte. Einige Tropfen fielen weiter unten auf den Pullover, aber der Onkel schien den feuchten Fleck nicht zu spüren, der sich rasch auf seinem Rücken ausbreitete. So schaukelte der Junge in einschläferndem Takt auf dem Arm und nahm den Blick nicht von der Sense und dem dunklen, feuchten und langsam größer werdenden Fleck.
Sie kamen zu einem Hof und gingen hinein durch dunkle Gänge, die kein Ende zu nehmen schienen. Endlich öffneten sie sich zum Licht. Da setzte ihn der Onkel ab und ließ ihn in einem nach Westen weisenden Zimmer an einem Tisch unter dem Fenster Platz nehmen. Wie leicht zu hören war, gab es im Haus keine Kinder, sondern nur Stille. Eine unbekannte alte Frau war da und ein fremder alter Mann, der sich ständig die Hände an den Hosenbeinen rieb, und dann noch der Onkel. Er war viel jünger als die beiden anderen. Man ließ ihn allein am Fenster zurück, und, gewohnt zu gehorchen, blieb er lange auf seinem Stuhl sitzen. Die alte Frau kam zurück und setzte ihm kalte Blutwurst vor. Nachdem er gegessen hatte, blieb er weiter am Tisch sitzen. Der Tag ging zu Ende. Alles um ihn herum war fremd und still. Die Sonne näherte sich rötlich dem Horizont über dem Meer, und die Stille nahm noch zu. Schließlich warf die Sonne wie zum Abschiedsgruß einen Strahl auf seine Hand, die reglos auf dem Tisch lag. Er fühlte ihren warmen Händedruck, und als er seine Hand umdrehte, den Rücken nach unten, die Innenfläche mit leicht gekrümmten Fingern nach oben, da sah er, wie sich die Schale, die er so geformt hatte, mit Licht füllte. Das Licht wollte ihn verzaubern. Da schüttelte er den hellen Sonnenstrahl rasch aus der Hand, schob Teller und Besteck von sich und lief mit einem Schrei hinaus.
Die Frau versuchte ihm mit schnellen, aber steifen Schritten durch den Gang zu folgen, doch er hörte nicht und lief weinend um das Haus. Bald war auch der Onkel da, und die Frau blieb ihm auf den Fersen. Sie holten ihn rasch ein, konnten ihn aber nicht bändigen, denn er weinte laut in die Stille, in das Abendlicht und in seine eigene Leere hinein. Er fühlte, wie sie sich der Nacht entgegenstreckte, die noch weit entfernt war, aber doch näherkam.
– Na, das war knapp, sagte die Frau erschrocken, aber gutmütig.
Sein Schluchzen und Heulen war so laut, daß es in kürzester Zeit die Berge, die Gebäude und den Fjord wegwischte, so daß es bis auf das Weinen nichts mehr gab auf der Welt.
Schließlich bekam er einen heftigen Schluckauf und zuckte jedesmal zusammen. Weil er nicht gleichzeitig hicksen und weinen konnte, wurde er blaß, hörte auf zu weinen und hickste bloß noch. Dabei zerbrach die Leere in seinem Innern.
Die Frau sagte zu dem Onkel:
– Gib ihm etwas kaltes Wasser zu trinken, damit der Schluckauf aufhört.
Der Onkel rührte sich nicht, sondern sah ihn bloß nachdenklich an.
– So, sagte sie, als sie ihm selbst aus einer Tasse Wasser einflößte.
Während sie das Wasser geholt hatte, war der Onkel mit einem schlauen Einfall durch seine Trauer zu ihm durchgedrungen.
– Guck mal hier, mein kleines Kerlchen, sagte er und winkte mit einem Stück Holz und einem Taschenmesser vor seinem Gesicht.
– Jetzt wisch dir erst mal den Rotz ab, und dann fängst du an zu schnitzen und versprichst mir, nie wieder im Leben zu heulen. Wenn du nur genug schnitzt, brauchst du nie wieder zu weinen.
Er sah seinen Onkel an.
– Du heißt Bergur und wirst immer hart sein wie ein Berg, sagte der Onkel.
Er berührte ihn fast mit der Messerspitze. Dann drückte er ihm beides in die Hände, hielt das Holz und das Messer richtig und flüsterte ihm ins Ohr:
– So mußt du es machen. Schnitz, mein Junge, schnitz... So...
– Ich kann es allein, sagte er trotzig.
Als er das Geschenk nahm und das scharfe Messer ungeschickt ins Holz trieb, sah er, wie die Klinge tief in das harte Holz schnitt und etwas leicht wie eine Feder davonflog.
– Sieh mal, ein Vogel, der fliegt. So fliegt der Brachvogel auf, sagte der Onkel.
Jetzt beruhigte er sich und erlaubte dem Onkel, ihn wieder in den Arm zu nehmen und durch den langen Gang zu tragen, der ihm nicht mehr ganz so dunkel vorkam wie zuvor. Als sie in die Wohnstube gekommen waren, durfte er sich auf den gestampften Lehmboden vor dem Bett setzen, und bald war er ganz in sein Schnitzen versunken. Er hatte das Messer für sich allein, ihm gehörte auch das Holzstück, und er brauchte nichts mehr mit anderen zu teilen.
In der Folgezeit war er zwar nichts weiter als ein armes Ziehkind, aber