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Dingen, die es erspürt und erfährt, zusammenbringt, zum einen nämlich die Mutter als ganz gewöhnliches Wesen zu erleben, zum anderen die an es gestellte Erwartung, von ihr als etwas ganz Einzigartigem zu denken und zu reden. Daraus resultiert die Angst des Kindes vor der Mutter ebenso wie die Angst der Mutter vor dem Kind. Das Kind fürchtet, es benehme sich dem Widerspruch entsprechend nicht gut genug, und die Mutter glaubt, sie habe ihm das Vexierbild von sich nicht tief genug eingeprägt.

      Die Mutter ist die wahre Wurzel der Angst.

      Als ich das meinem Vater darlegte, guckte er wie ein Schaf und sagte:

      – Ich verstehe dich nicht. Meine Mutter hat immer gesagt, ich wäre ihr liebstes Kind gewesen.

      Alle haben irgendwie Angst vor ihrer Mutter. Sie leiden an dem Schuldgefühl, ihr mit der Geburt die Freiheit geraubt zu haben, begreifen aber andererseits nicht, warum es ihr ein permanentes Anliegen ist, das Kind wieder loszuwerden. Die Mutter will ein uneingeschränktes Verfügungsrecht über ihren Körper, darüber, ob sie ein Kind bekommt oder nicht; hat sie aber erst einmal eines zur Welt gebracht, geht es darum, wie sie es, außer vielleicht am Abend, möglichst anderen aufhalst.

      Mütter leiden ebenfalls an Schuldgefühlen, weil sie meist froh waren, als sie das Kind endlich aus dem Mutterleib heraus hatten. Es sieht ganz so aus, als würde ihr Gewissen ihnen einflüstern, eine echte Mutter müsse ihr Kind ewig mit sich herumtragen, ohne es einmal in diese schlechte Welt zu setzen. Nach christlicher Auffassung scheint die Mutter ihren Leib als eine eigene Welt für sich anzusehen, in der sie den eingeborenen Sohn ein Leben lang mit sich herumtragen müsse oder zumindest so lange, bis er aufgrund gewisser Naturgesetze tot zur Welt kommt. Auf diese Weise erwürben sie vereint ein ewiges Leben bei Gott, dem einen, wahren Vater, der ihr großes Vorbild, die Jungfrau Maria, mit einem saftlosen und geschlechtslosen Engel befruchtete, seinem Einfall, den er zu dem Zweck vom Himmel gesandt hatte, um ihn über den Mann zu erheben, den sie von da an im Vergleich mit dem höchsten Vater im Himmel allenfalls noch als eine Art Scheinvater ansieht.

      Das war mein Vater

      Kaum waren die Geschwister auf den Beinen, schickte ihre Mutter sie vor die Tür, warnte sie aber davor, sich weiter vom Haus zu entfernen. Das Wetter war gut, und die ältesten Kinder gehorchten ihr so leidlich. Nur er durfte drinnen bleiben. Das kam ihm komisch vor, doch er war brav und hing am Rockzipfel seiner Mutter. Also stand er lange still am Fenster, hatte ein komisches Gefühl und ließ den Blick zwischen dem Einzelberg am Fjord und den hohen, steilen Bergketten im Landesinnern hin und her wandern. Es war noch früh am Morgen. Plötzlich sah er, wie sich gegen die Helligkeit ein Onkel von ihm näherte. Das Licht war sehr grell, und der Mann kam nur langsam über den Höhenzug in der Ferne und begann dann auf den Wiesen mit dem Mähen, ohne daß er, gegen seine übliche Gewohnheit, bei ihnen hereinschaute. Die Mutter hatte es gar nicht mitbekommen. Deshalb verließ er das Fenster und wollte zu dem Onkel hinauslaufen. Doch irgendwo aus den Tiefen des Hauses mußte die Mutter ihn beobachtet haben.

      – Bleib hier, sagte sie und rief ihn zu sich in das abgedunkelte Zimmer.

      Auf halbem Weg brachte sie ihn mit einem Schwall von Worten zum Stehen.

      – Du bleibst hier, sagte sie dann noch einmal.

      Er gehorchte, und darauf trat sie vor die Tür, beschattete die Augen mit einer Hand und spähte zu dem flachen Grasland hinüber. Dann kam sie zurück ins Haus. Der Morgen verstrich.

      Gegen Mittag ging der Onkel über den Höhenrücken nach Hause, kam aber nach der Mittagszeit wieder und setzte das Mähen fort.

      Der Junge bekam mit seinen Geschwistern ebenfalls zu essen, durfte aber, wie üblich, danach wieder nicht mit ihnen hinaus. Er wurde zappelig und versuchte sich aus dem Haus zu schleichen. Seine Mutter schien aber ständig aufzupassen. Sie hatte wohl sogar im Rücken Augen und sagte streng, ohne sich umzusehen:

      – Bleib hier!

      Sie sprach immer in diesem strengen Tonfall, der ausreichte, ihn herumzukommandieren. Er gehorchte auch diesmal, sah aber ständig zu den Wiesen hinüber. Und so verging langsam dieser lange Tag. Dann senkte sich mehr abendliche Stille als wirklicher Abend herab. Die Sonne war zur Hälfte über den klaren Westhimmel vorgerückt, schien aber irgendwie auch in der Erde zu leuchten. Ihre Strahlen strichen über das Gras und erleuchteten es, als ob das ganze Land in grünflüssiges Gold getaucht wäre. Als er das sah, hielt es ihn nicht länger im Haus und er stahl sich rasch nach draußen, um das grüne Gold vor dem kleinen Fenster im Westgiebel zu betrachten und seine kühle Feuchte mit den Händen zu berühren. Es kam ihm so vor, als würde er ein Lied oder ein Gedicht anfassen. Seine Mutter merkte, daß er sich hinausgeschlichen hatte, und rief nach ihm.

      – Pfui, sagte sie kurz und bestimmt.

      Er nahm die Hand von dem märchenhaften Licht und folgte ihr zurück ins Dunkel.

      Manchmal wartete er, daß der Gesang bis ins Haus drang. Er hörte auch etwas, aber das war nur der Schatten des Gesangs, nicht der Gesang selbst. Also trat er wieder ans Fenster.

      – Komm her, sagte seine Mutter und winkte ihm mit dem Finger.

      Sie zog ihm die besten seiner abgetragenen Sachen an und rieb ihm mit einem feuchten Tuch die Hände sauber.

      – Zur Feier des Tages darfst du dich auf einen Stuhl stellen, während ich dich wasche, sagte sie mit schriller Stimme.

      Ihm wurde ganz plötzlich leicht ums Herz, weil er ihr beweisen durfte, daß er das Gleichgewicht halten konnte.

      Doch ihm blieb gar keine Zeit. Mit schnellem Griff hob seine Mutter ihn auf den Sitz eines schiefen Stuhls vor dem alten, verzogenen Küchentisch. Als er so hoch oben stand, sah er, daß ein kariertes Bündel auf der Tischkante lag, und weil die Haustür offenstand, roch er den Abendduft von trocknendem, frisch gemähtem Heu. Er sah auch die Wiese mit dem Onkel, wo die sinkende helle Sonne weiterhin vom Himmel wie aus der Erde leuchtete und das Gras erglühen ließ.

      Die Mutter hatte ihm gerade gründlich und fest über den Mund gewaschen.

      – Jetzt bist du sauber, sagte sie.

      Das Wasser trocknete noch kitzelnd auf seinem Gesicht, als der Onkel das Ende der Sense in die Erde stieß und auf das Haus zukam.

      – Komm einmal von deinem Stuhl herunter, allein und ohne Hilfe, aber vorsichtig, sagte die Mutter ungewöhnlich sanft.

      Sie reichte ihm nicht die Hand und versuchte, ihm zu helfen.

      – Ich sehe dir zu. Los jetzt, sagte sie aufmunternd.

      Diesmal gehorchte er nicht sofort, sondern sah aus der dunklen Küche in das helle Rechteck, das sich hinter der offenen Tür abzeichnete. Der Onkel war darin zu sehen und kam ständig näher. In seinem Gang lag etwas, das ihm angst machte, und er wagte kaum zu atmen, geschweige denn auf dem Stuhl zu hampeln, damit er nicht kaputtging. Er wußte, daß sich unter ihm der Sitz befand, der Kindern beibringen sollte, stillzusitzen und nicht immer Flöhe im Hintern zu haben.

      – Na los, sagte die Mutter und stupste ihn mit der Stimme.

      Draußen vom Vorplatz tönte das weinerliche Gekreisch der jüngeren Geschwister zusammen mit den Rufen und unablässigen Kommandos des älteren Bruders herein, während der Onkel schwerfällig den Hang hinaufstapfte, immer in dem hellen Rechteck. Da brachte er unwillkürlich den schweren Tritt mit dem Bündel auf dem Tisch in Verbindung und riß sich zusammen. Er kletterte gerade ohne Hilfe vom Stuhl, als der Onkel durch die Tür trat, ihn ohne Umstände auf den Arm nahm und wortlos mit der gleichen Hand das Bündel ergriff.

      Die Mutter reckte ihm das Gesicht entgegen, küßte ihn flüchtig auf die Backe und sagte:

      – Denk immer daran, ein guter Junge zu sein, denn dein Papi liegt im Sterben.

      Sie schneuzte sich mit den Fingern, und das Fleisch in ihrem Gesicht wurde ganz schlaff, nachdem sie das gesagt hatte. Er aber sagte nichts. Der Onkel rührte sich.

      – Dann ist es wohl soweit, sagte er.

      Die Mutter wich zur Seite, trat aber noch einmal zu ihm.

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