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des jungen Römers eine eigene Rationalität. Hinzu kommt der Umstand, dass der Julier mit den Dûtiscen landen (V. 263) vertraut ist und den Mut und die Kampfkraft (ellen, V. 264) der dortigen Krieger kennt – want er in ir haimilîche was (V. 265), also: in ihrer Heimat gewesen war. Er betritt das Terrain der ‚Deutschen‘ also bereits zum wiederholten Male,21 und so ist es seine Erfahrung, die ihn die Zahl der ihm vom Senat bereitgestellten Kämpfer aus eigener Kraft auf 60.000 verdoppeln lässt, wohlwissend, dass auch diese Zahl ihm nicht zwangsläufig zum Vorteil gereicht (vgl. V. 257–266). Die solchermaßen begründete Nähe des Römers zu seinen transalpinen Gegnern erfährt mit Blick auf die vil edelen Franken (V. 345) eine Steigerung durch den Verweis auf eine gemeinsame Abstammung der Römer und der Franken von den Trojanern mit Aeneas und Franko als ihren jeweiligen Gründungsheroen. In dieser auch bereits im Annolied eingenommenen Perspektive erscheinen die Franken als die alten mâgen Caesars (V. 344),22 wobei die gemeinsame Abstammung von biderben vorderen (V. 346) eine prinzipielle Gleichwertigkeit impliziert, die eine Unterwerfung der Franken zu einer riskanten, weil potenziell instabilen militärisch-politischen Unternehmung macht, die größter Wachsamkeit auf Seiten des Römers bedarf (vgl. V. 377f.).

      Bei der Schilderung der Konfrontation Caesars mit seinen – aus der Perspektive Roms – transalpinen Opponenten wechselt der Text von einer „universalen Makro-“ zu einer „gentilen Mikrogeschichte“ (so Mathias Herweg mit Bezug auf das Annolied).23 War am Anfang der ‚Vita‘ noch vom Dûtisc volch die Rede, rücken nun die gentilen Verbände der Schwaben, der Baiern, der Sachsen und der Franken in den Blick. Zwar vermag Caesar alle vier Verbände zu bezwingen, doch sind die Konfrontationen durchaus unterschiedlich gestaltet. Beim Zusammenstoß mit den Schwaben wird die Härte betont, mit der Caesar vorgeht (michel ungenâde, V. 272), eine Härte, die in der entschiedenen Verteidigungsbereitschaft und Wehrkraft der Schwaben und insbesondere ihres Anführers Prenne ihr Pendant findet, wodurch viel Blut fließt. Zum Erfolg verhilft letztlich ein teidinge (V. 284), zu dem Caesar die Schwaben mit minnen (V. 283) bittet. Caesar strebt also eine vertragliche Lösung an, und es ist sein Verhandlungsgeschick, das ihm schließlich die Übergabe des Landes einbringt und es ihm erlaubt, seine Zelte auf dem für die gens vorgeblich namengebenden Berg Suevo respektive Swêrô (V. 288) aufzuschlagen. Die hervorragenden bairischen Kämpfer, zu denen Caesar auf Anraten der Schwaben gelangt (vgl. V. 297–299),24 leisten einen solchen Widerstand, dass der Römer sie nur mit größter Mühe überwinden kann; den Sieg muss er mit pluote sêre geltan (V. 324). Ganz vage bleibt die Kaiserchronik im Falle der Sachsen; hier heißt es zwar: Ihr […] grimmigez muot / tet im dô laides genuoc (V. 325f.), doch bleibt der Verlauf der Begegnung ebenso ausgespart wie die Umstände, die schlussendlich zur Unterwerfung der Sachsen führen. Ähnlich verhält es sich zunächst im Falle der Franken, von denen es heißt, dass ihre Landnahme niden bî dem Rîne erfolgte (V. 374). Hier wird lediglich konstatiert, dass sie Cêsari undertân wurden, dieser sich jedoch weiterhin vorsah (V. 377f.). Ein anderer Aspekt kommt erst zum Tragen, wenn der Text auf die Eroberung der stolzen Stadt Trier eingeht, die er […] an einem ende / in Franken lande, / in Bellicâ Gallîâ (V. 397–399) lokalisiert. Die Kühnheit ihrer Bewohner verhindert zunächst einen Sieg. Diesen kann Caesar nur auf dem Wege einer überlegten Taktik erreichen, mit der er sich nach einer mehr als vierjährigen Belagerung die Zwietracht der mächtigen Herren unter den Trierern zunutze macht. Die Kaiserchronik beleuchtet in diesen Passagen somit nicht nur das militärische Ingenium und die Durchschlagskraft des römischen Feldherrn, sondern zudem seine Fähigkeit zu umsichtiger Verhandlung und die rücksichtslose Klarsichtigkeit, mit der er die Schwäche der Gegner in den eigenen Vorteil umzumünzen versteht. Eine weitere dem Frankenabschnitt inserierte Passage (vgl. V. 379–394) bereichert das Caesar-Portrait um eine zusätzliche Facette, indem sie den Römer als Städtegründer zeigt, der am Rhein eine ganze Reihe von Herrschaftssitzen errichten lässt.

      Unterstützt wird das über den Tatenbericht generierte positive Caesarbild der Kaiserchronik auf symbolischer Ebene durch eine eigenwillige Umdeutung des Danieltraums (vgl. V. 526–590). Die komplexe Materie ist gut aufgearbeitet,25 sodass ich hier nur einige zentrale Punkte anspreche, welche die Funktion der Passage erhellen. Zu den Spezifika der in der Kaiserchronik anzutreffenden Version zählen die Einordnung der Passage in den Erzählzusammenhang, die Reihenfolge, in der über die vier wilden Tiere gehandelt wird, welche der Tradition gemäß die zur Gliederung der Geschichte herangezogenen Weltreiche vorstellen, sodann die Ausdeutung der einzelnen Tiere. Die Kaiserchronik inseriert den Danieltraum in die Caesar-‚Vita‘. Genauer gesagt: Sie bietet ihn im Anschluss an den Bericht über das Ende des römischen Bürgerkriegs und die erfolgreiche Etablierung von Caesars Alleinherrschaft und verfährt so signifikant anders als das Annolied, in dem die Danielvision auf den Bericht über das babylonische Reich folgt und dem Bericht über Caesar vorausgeht, der so unmittelbar und folgerichtig an die ‚bildliche‘ Repräsentanz des römischen Weltreichs anschließt.26 Damit weist die Version der Kaiserchronik so eklatante Unterschiede zur biblisch-hieronymianischen Tradition auf, dass an einer Umdeutung in programmatischer Absicht nicht zu zweifeln ist.27 Hatten hier Löwin, Bär, Leopard (Panther) und Eber die vier Weltreiche der Babylonier, der Meder und Perser, der Griechen sowie der Römer bezeichnet, begegnet in der Kaiserchronik die Abfolge Leopard (Panther), Bär, Eber und Löwin; die Weltreiche erscheinen in drei von vier Fällen durch mächtige Könige personifiziert. An die Spitze rückt unter dem Zeichen des Leopards mit Adlerflügeln der Grieche Alexander der Große. Der Bär mit drei Zahnreihen versinnbildlicht drei Königreiche, die sich bekriegten; eine weitergehende Konkretisierung erfolgt hier nicht.28 Der furchterregende Eber mit zehn Hörnern bezeichnet den tiurlîchen Juljum (V. 572), der alle seine Feinde niederwarf und unter seine Herrschaft brachte; das wilde swîn (V. 577) bringt so zum Ausdruck, daz daz rîche ze Rôme sol iemer frî sîn (V. 578). Die Löwin schließlich, mit menschlichem Verstand, menschlichen Augen und menschlichem Mund, ein nie dagewesenes Mischwesen, ausgestattet mit einem himmelwärts wachsenden Horn, steht für den Antichrist, der noh in die werlt kunftich ist, / den got mit sîner gewelte / hin ze der helle sol senden (V. 586–588). Entscheidend ist die Umordnung der römischen Weltherrschaft von der letzten an die vorletzte Position und damit eine Entkoppelung vom Kommen des Antichrist,29 welche eine ‚Entlastung‘ des römischen Reiches bewirkt.30 Dieser entspricht die eindeutig positive Wertung seines Begründers, des Feldherrn Julius Caesar, der in all seiner die Freiheit der Römer sichernden Kraft und Macht im Bild des Ebers31 beschworen wird. Die Neuinterpretation von Dan 7 (mit punktueller Bezugnahme auf Dan 2) akzentuiert demnach die auf Caesars Alleinherrschaft ruhende Etablierung römischer Weltherrschaft; zugleich öffnet sich „[ü]ber das heroisch-epische Bürgerkriegsszenario hinweg […] der Blick auf die heilsgeschichtliche Rolle des rîche im göttlichen Weltplan.“32

      Das in der Kaiserchronik entworfene Bild der ‚Deutschen‘ wird maßgeblich durch die enge Verbindung Caesars mit ihnen bestimmt. Ihr Verhältnis zueinander wandelt sich von einem zwischen Gegnern hin zu einem zwischen Verbündeten und ‚Freunden‘, wobei die Möglichkeit zu dieser Entwicklung durch die oben bereits angesprochene Konstruktion einer Vertrautheit, ja ‚Verwandtschaft‘ zwischen dem Römer und den ‚Deutschen‘ von Anfang an gegeben scheint. Allerdings wird diese Möglichkeit narrativ erst enthüllt, nachdem das Dûtisc volch (V. 246) zunächst in die Reihe derjenigen eingegliedert worden ist, die in der Vergangenheit den Römern […] gehôrsam / unde ze Rôme undertân (V. 215f.) wurden, sich dann jedoch wieder gegen sie erhoben. Die ‚Deutschen‘ müssen somit ein zweites Mal bekriegt und unterworfen werden. Nachdem Caesar das gelungen ist und er sie überdies zur Unterstützung im Kampf gegen Rom gewinnen und mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft33 erringen kann, sind sie zu seinen holden (V. 593) geworden, die für ihren überragenden Kriegseinsatz großzügig entlohnt werden. Dieser Umstand sichert, so der Erzähler, Dûtiske[n] man (V. 595) auf alle Zeit eine privilegierte Position in Rom: Sie waren von da an ze Rôme ie liep unt lobesam (V. 596). Die in der ersten Kaisergeschichte der Chronik vorgeführte ‚Karriere‘ der ‚Deutschen‘ an der Seite Caesars postuliert somit gleich zu Beginn des Textes ihre enge „Bindung an das römische Reich“34 und weist ihnen so von Anfang an und vor jedem Rekurs auf die Vorstellung einer Herrschaftsübertragung ihre bedeutende Position in der Geschichte

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